# taz.de -- Berlin-Wahl 2021: Franziska Giffeys rote Linien | |
> Außen- gegen Innenstadt, die SPD gegen ihre Koalitionspartner, ihre | |
> Spitzenkandidatin gegen die eigene Partei: Was für ein Wahlkampf! | |
Bild: Franziska Giffey isst rot. Hinter ihr die SPD-Kandiaten Kevin Kühnert (l… | |
BERLIN taz | Das ist die erste Wahl seit Langem, bei der keiner weiß, was | |
am Ende herauskommt. Nicht einmal die Parteien selbst scheinen es zu | |
wissen: Warum sonst würde die SPD so verwirrende Sätze auf ihre Plakate | |
schreiben wie diesen: „Wer Giffey will, wählt SPD“. | |
Soll das die Wählerinnen und Wähler daran erinnern, dass die ehemalige | |
Bundesfamilienministerin noch keine eigene Liste gegründet hat, sondern | |
nach wie vor die Spitzenkandidatin der Berliner SPD ist? Oder ist es gar | |
ein versteckter Hinweis darauf, dass Giffey und die SPD bald getrennte Wege | |
gehen könnten? Dann könnte man es so lesen: Wer SPD wählt, wählt Giffey – | |
aber ob die SPD dann noch eine Rolle spielt, steht auf einem anderen Blatt. | |
Keiner weiß es, nicht einmal die Wählerinnen und Wähler. Volatil nennt sie | |
die Demoskopie, wohl auch, um das böse Wort opportunistisch zu vermeiden. | |
Jedenfalls schieben immer mehr dieser Opportunisten ihre Wahlentscheidung | |
nach hinten, weil sie bis kurz vor Schluss beobachten wollen, wie sich die | |
Dinge entwickeln. | |
So könnten, auf Bundesebene, selbst eingefleischte Grüne am Ende der SPD | |
ihre Stimme geben, weil sie einen Kanzler Armin Laschet verhindern wollen. | |
Und wenn Giffey in Berlin weiter so erfolgreich performt und eine grüne | |
Regierende Bürgermeisterin Bettina Jarasch immer unwahrscheinlicher wird, | |
kann man auch gleich dem Kultursenator und Spitzenkandidaten der Linken, | |
Klaus Lederer, als Kandidaten der Herzen seine Stimme geben. | |
## Oder kommt die Ampel? | |
Oder etwa doch nicht, weil am Ende auch eine Ampel herauskommen könnte? | |
Dann wäre es natürlich hilfreich, wenn die Grünen deutlich vor der FDP | |
lägen. | |
Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz diesmal. Man merkt es auch daran, dass | |
keiner mehr Koch-und-Kellner-Debatten führt. Die waren nur spannend, | |
solange klar war, dass die SPD den Regierungschef stellt und dessen | |
Koalitionspartner darauf bestanden, bei den Koalitionsverhandlungen nicht | |
abgewatscht zu werden. | |
Was aber, wenn die Köchin Giffey ihre Partner in spe schon vor den Wahlen | |
Kaffee holen schickt? Nix mit [1][Mobilitätsgesetz], nix mit [2][grünen | |
Dächern], nix mit der [3][Charta Stadtgrün]. Selbst Gerhard Schröder hat | |
sich sein Basta für die Zeit nach den Wahlen aufgehoben. | |
Als was wird sich Franziska Giffey dann entpuppen, zieht sie erst ins Rote | |
Rathaus ein? Eine Domina im roten Kostüm und der Peitsche in der Hand? Die | |
Frage ist nur, wer da gepeitscht werden soll: die neuen Partner oder die | |
eigene Parteibasis? | |
Lange Zeit wiegten uns die Demoskopen in den Schlaf mit dem wenig | |
überraschenden Befund, dass es in Berlin eine strukturelle Mehrheit für | |
SPD, Linke und Grüne gebe. Daran ist bis heute nichts falsch – was aber | |
nicht bedeutet, dass es richtig sein muss. Vor allem dann nicht, wenn der | |
eine dieser strukturellen Mehrheit nicht mehr mit den anderen will. | |
[4][Rote Linien] jedenfalls hat Giffey schon formuliert. Keine Koalition | |
mit Enteignern zum Beispiel. Das ging in Richtung Linke und deren | |
Unterstützung für den Enteignungs-Volksentscheid. | |
Nach außen mag Franziska Giffey einnehmend lächeln können. Aber sie weiß | |
auch, wie man mit der Faust auf den Tisch haut. Erst spät haben Grüne und | |
Linke gemerkt, dass sie das auch mal üben sollten. | |
Kleben Linke und Grüne also demnächst Aufkleber auf die SPD-Plakate: „Wer | |
Giffey wählt, wählt CDU und FDP“? Eher nicht, denn wenn einer von ihnen | |
dabei erwischt werden würde, wäre das ein gefundenes Fressen für die neue | |
Law-and-Order-Partei SPD. | |
Das heißt aber nicht, dass die Warnung vor einer [5][Deutschlandkoalition] | |
unbegründet wäre. Vieles von dem, was die SPD in der Verkehrspolitik | |
fordert, unterstützen auch CDU und FDP. Vielleicht sollten die Demoskopen | |
mal untersuchen, ob es in der Hauptstadt eine strukturelle Mehrheit für | |
eine Deutschland- koalition gibt. | |
## Die Rückholaktion | |
Gut möglich, dass die Meinungsforscher dann antworten: Klar gibt es die. In | |
Frohnau und Mariendorf. Janz weit draußen also, dort, wo Giffey die größte | |
Rückholaktion in der Geschichte der Berliner SPD gestartet hat. Zurück in | |
den Schoß der ehemaligen Arbeiterpartei sollen die Abgehängten und | |
Unverstandenen, mit einem Bekenntnis zum Auto, zur Polizei und neuen | |
U-Bahnen. Denn ein Lagerwahlkampf ist das Ringen um die Macht nur zwischen | |
Außen- und Innenstadt, nicht mehr zwischen der bestehenden Koalition und | |
der Opposition. | |
Giffeys Bruder im Geiste, Raed Saleh, hat schon zu Jahresbeginn | |
diesbezüglich aufgerüstet. Die Lieblingsgegner des | |
SPD-Fraktionsvorsitzenden und Co-Landeschefs sind inzwischen die Grünen. | |
Ganz im Gestus einer Sahra Wagenknecht ist ihm [6][Latte macchiato] zum | |
liebsten politischen Kampfbegriff geworden. | |
Und jene 99 Prozent aller Genossinnen und Genossen (also alle außer Saleh), | |
die gerne mal Kaffee mit geschäumter Milch zu sich nehmen, beißen sich auf | |
die Lippen. Bloß nichts Falsches sagen: Wenn Giffey gewinnt, war alles | |
richtig. Sollte sie verlieren, fliegen die Fäuste. Dann kann es sein, dass | |
sich die Partei so zerlegt wie die Grünen nach der verlorenen Künast-Wahl | |
2011. | |
Vielleicht liegen Raed Saleh und Franziska Giffey, auch das gilt es | |
einzuräumen, gar nicht so falsch mit ihrer Strategie. Berlin ist nicht nur | |
der Kollwitzplatz, auch wenn es der Bullerbü-Fraktion schwerfällt, das | |
einzuräumen. Aber Berlin ist eben auch nicht nur Marienfelde. Außenstadt | |
und Innenstadt gegeneinander auszuspielen, wie es die SPD macht, hilft | |
Berlin nicht weiter. | |
Aber wie können beide Teile der Stadt zusammen gedacht werden? Jetzt rächt | |
es sich vielleicht, dass SPD und CDU, als sie zuletzt von 2011 bis 2016 | |
miteinander koalierten, die [7][Internationale Bauausstellung „Draußenstadt | |
wird Drinnenstadt“] abgesagt haben. Dabei wäre eine solche IBA ein | |
großartiges Format gewesen, um zu zeigen, was Berlin jenseits des | |
S-Bahn-Rings braucht. Doch das wollten ausgerechnet jene beiden Parteien | |
nicht, die nun so wortreich gegen das Bullerbü der Innenstadtbezirke | |
stänkern. | |
Aber das hat natürlich nur noch am Rande mit dem Kreuz zu tun, das am 26. | |
September fällig ist. Vielleicht hilft ja denen, die den Wahlkampf zwar | |
spannend, aber auch reichlich verwirrend finden, ein Blick ins | |
Kleingedruckte und nicht nur auf die Plakate. | |
11 Sep 2021 | |
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[7] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/staedtebau/baukultur/iba/ | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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