# taz.de -- Häusliche Gewalt: Frauenhäusern platzt der Kragen | |
> In Niedersachsen protestieren Frauenhäuser und Beratungsstellen: Ihre | |
> Finanzierung bleibt prekär – dabei steigt der Bedarf. | |
Bild: Mehr als 100 Frauen protestierten vor dem Landtag | |
HANNOVER taz | Bei den Frauenhäusern und Beratungsstellen in Niedersachsen | |
brodelt es. Das wurde am Donnerstag bei einer Protestaktion vor dem Landtag | |
deutlich. Unter dem Motto „Lasst uns nicht im Regen stehen“ versammelten | |
sich Berater*innen und Unterstützer*innen auf dem | |
Hannah-Arendt-Platz. | |
In diesen Tagen geschehen zwei Dinge, die ihre Arbeit betreffen: Zum einen | |
ist das Sozialministerium dabei, die Finanzierungsrichtlinie zu | |
überarbeiten, zum anderen stehen die Haushaltsberatungen an. | |
In beiden Diskussionen fühlen sich die Praktiker*innen gegängelt und | |
über den Tisch gezogen – und das, obwohl in den vergangenen Monaten immer | |
wieder berichtet wurde, wie [1][die Pandemie zu einem Anstieg häuslicher- | |
und sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder beigetragen hat.] | |
Die Ausgangslage ist kompliziert. Das liegt daran, dass sich seit | |
Jahrzehnten Bund, Land und Kommunen die Verantwortung hin und her schieben | |
und die Finanzierung an jedem Ort anders aussieht. | |
Und nicht nur das: „Eines unserer zentralen Probleme ist, dass dies sowohl | |
beim Land als auch bei den Kommunen immer noch als freiwillige Leistung | |
gilt“, erläutert Marion Lenz, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der | |
Gleichstellungsbeauftragten. „Dadurch sind wir ständig von Kürzungen | |
bedroht.“ Spätestens seit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention müsse | |
das eine staatliche Pflichtaufgabe sein. | |
## Sollen die Frauen nach 3 Monaten vor die Tür gesetzt werden? | |
Eigentlich, sagt Lenz, sei es ja schon bezeichnend, dass man hier nun auch | |
wieder mit der Sozialministerin spreche und nicht mit der Justizministerin. | |
Sonst gehöre der Schutz von Gewaltopfern ja eigentlich in ihr Ressort, aber | |
häusliche Gewalt werde eben immer noch als privates, bestenfalls soziales | |
Problem begriffen – anders als „richtige“ Kriminalität. | |
Es geht den Frauen hier aber nicht nur um Grundsatzkritik. Der Gesamtetat | |
für diesen Bereich hat sich seit 2017 nicht wesentlich geändert. Und | |
während Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) darauf verweist, dass sie | |
immerhin Kürzungsbegehren abgewehrt hat und den Etat gehalten hat, | |
verweisen die betroffenen Praktiker*innen darauf, dass dies de facto | |
eben auf Kürzungen hinausläuft. | |
Die Kostensteigerungen bei Lohn, Bau und Lebenshaltungskosten werden | |
nämlich so nicht aufgefangen. Gleichzeitig sei jedoch nicht nur der Bedarf | |
gestiegen, sondern auch die Anzahl der Plätze, weil Kommunen dafür | |
Fördermittel vom Bund beantragen konnten. | |
Auch bei den Details der überarbeiteten Richtlinie gibt es aus Sicht der | |
Berater*innen einiges zu beanstanden: So sieht das Papier | |
beispielsweise eine Begrenzung des Frauenhausaufenthalts auf drei Monate | |
vor. | |
In dieser Zeit, argumentieren die Frauenhäuser, könne man vielleicht ein | |
paar Anträge ausfüllen und den Lebensunterhalt absichern, aber eine neue | |
Wohnung zu finden, werde in Ballungsräumen schon schwierig. Von einer | |
soliden psychosozialen Betreuung und Stabilisierung der Frauen und ihrer | |
häufig traumatisierten Kinder könne da gar keine Rede sein. | |
Das Sozialministerium argumentiert, es handele sich lediglich um eine | |
Soll-Bestimmung, letztlich entscheide das Frauenhaus. Niemand werde vor die | |
Tür gesetzt und auch finanziell habe eine Überschreitung keine | |
Konsequenzen. Warum diese Bestimmung dann überhaupt sein müsse, fragen die | |
Aktivist*innen misstrauisch. Nun ja, man habe eben signalisieren | |
wollen, dass Frauenhäuser eine Einrichtung zur Akutversorgung und keine | |
Dauerlösung sein sollen, lautet die Antwort. | |
## Hoffen auf den großen Wurf | |
Einige argwöhnen, dass diese Regelungen vor allem die autonomen | |
Frauenhäuser treffen soll. Dort ist die Verweildauer oft länger, weil das | |
dem Konzept von Selbstbestimmtheit entspricht. Mit dem angestrebten | |
Personalschlüssel von einer Vollzeitkraft für acht Frauen haben aber auch | |
andere ein Problem, denn häufig haben diese Frauen ja auch noch mehrere | |
Kinder, die ebenfalls betreut werden müssen. | |
Der Entwurf der Richtlinie gehe jetzt erst in die Beratungen, versucht | |
Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) ihre Kritiker*innen zu | |
beschwichtigen. Auch die Interessenverbände hätten da etwas zu sagen. | |
Im Übrigen setze sie große Hoffnungen auf die nächsthöhere Ebene. [2][Bund | |
und Länder haben sich im Frühjahr darauf geeinigt], dass es ein eigenes | |
Gesetz geben soll, in dem der Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz | |
festgelegt wird und mit dem dann auch die Finanzierung neu geregelt werden | |
müsste. Das muss die kommende Bundesregierung dann allerdings erst einmal | |
umsetzen. | |
17 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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