# taz.de -- Historikerin über Frauenhäuser: „Ehemänner legten sogar Feuer�… | |
> 1976 eröffnete das erste Frauenhaus in Westberlin. Schon vor der | |
> Eröffnung sei es überfüllt gewesen, sagt die Historikerin Franziska | |
> Benkel. | |
Bild: Schon vor der offiziellen Eröffnung überfüllt: Das erste Frauenhaus in… | |
taz: Frau Benkel, am 1. November 1976 hat das erste deutsche Frauenhaus in | |
Westberlin eröffnet. Wer war die Erste, die aufgenommen wurde? | |
Franziska Benkel: Die Frau eines hochrangigen Richters. Mehr geben die | |
Aufnahmebücher von damals nicht her. | |
Wie war die Lage für gewaltbetroffene Frauen bis dahin in der BRD? | |
Schlecht. Frauen waren strukturell abhängig von Männern. Das erschwerte den | |
[1][Ausstieg aus gewalttätigen Beziehungen] deutlich. | |
Inwiefern? | |
Ein Ehemann konnte beispielsweise ohne Zustimmung den Job der Ehefrau | |
kündigen. Scheidung war in den 1970er Jahren deutlich schwieriger und die | |
zumeist männlichen Anwälte forderten hohe Summen, um sich der Fälle | |
überhaupt anzunehmen. Für eine Strafanzeige wurden Aussagen von | |
Zeug*innen verlangt, die es oft nicht gab. | |
Nahm eine Frau aufgrund der psychischen Belastung Medikamente, konnte das | |
vor Gericht gegen sie verwendet werden. Ehemänner konnten Ehefrauen | |
zwangseinweisen und regelrecht wegsperren lassen. Und schließlich mussten | |
die Frauen fürchten, ihre Kinder zu verlieren. Falls sie es schafften, von | |
zu Hause zu entkommen und die Kinder mitzunehmen, wurde ihnen das vor | |
Gericht oft als Kidnapping ausgelegt. Die Kernfamilie sollte um jeden Preis | |
erhalten werden. | |
Wohin konnten gewaltbetroffene Frauen überhaupt fliehen? | |
Unterkommen konnten sie außer bei [2][Verwandten und Freund*innen] fast | |
nirgends. Es gab zwar Krankenhäuser, in denen misshandelte Frauen behandelt | |
wurden, danach blieb aber eigentlich nur das Obdachlosenasyl. | |
Welche Rolle spielte die Polizei? | |
Sie konnte wenig ausrichten und agierte häufig rassistisch und sexistisch. | |
Ein Kripobeamter sagte Mitte der 1970er: Er gehe selbst auch trinken, und | |
[3][wenn seine Frau „mosere“, müsse sie „hinter die Ohren kriegen“]. E… | |
seit 1987 werden bei der Polizei überhaupt Frauen eingestellt, erst seitdem | |
wird der Umgang mit häuslicher Gewalt trainiert. Gewalt gegen Frauen war | |
bis in die 1970er Jahre hinein gesellschaftliche Normalität. | |
Wie kam es, dass die Frauen sich organisierten? | |
Die wichtigsten Impulse kamen von den lesbischen und Schwarzen | |
Frauenbewegungen, die das vorherrschende Frauenbild neu verhandelten. Auch | |
die politische Linke war ja Anfang der 1970er noch immer sehr patriarchal | |
geprägt. Bürgerliche Feminist*innen merkten dann, dass sie nicht in | |
Hausfrauenehen weiter leben wollten. Sie suchten alternative Formen der | |
Kindererziehung und des Zusammenlebens. Zentral für all diese | |
Frauenbewegungen war es, selbstbestimmte Orte zu gründen. | |
Welche Orte waren das? | |
In Frauenzentren, -cafés und -verlagen wurden sichere Räume geschaffen, um | |
über das Private zu sprechen und Erfahrungen auszutauschen. Viele Frauen | |
hatten geschlechtsspezifische Gewalt erlebt. Jetzt fanden sie eine | |
gemeinsame Sprache: Sie merkten, dass nicht sie selbst das Problem sind – | |
sondern die Strukturen, die sie unterdrückten. Damals wie heute ist zentral | |
für die Feminismen: Das Private ist politisch. | |
Waren diese Orte Vorläufer des ersten Frauenhauses? | |
Ja. Die Initiativgruppe des Frauenhauses, die Gruppe „Gegen Gewalt gegen | |
Frauen“, hatte sich unter anderem im Frauenzentrum in der Hornstraße in | |
Berlin-Kreuzberg zusammen geschlossen. Eine weitere relevante Gruppe war | |
die dortige Medienarbeitsgruppe, denn die Presse spielte eine zentrale | |
Rolle für die Eröffnung des ersten Hauses. Berichte und Interviews über | |
Misshandlungen in Paarbeziehungen entstanden, in denen Frauen von ihren | |
gewalttätigen Beziehungen berichteten und Polizisten, Ärzte und | |
Sozialarbeitende zu Wort kamen. So entstand [4][enormer Druck auf die | |
Politik.] | |
Half der Druck dabei, das Haus auf die Beine zu stellen? | |
Er löste Handlung aus. Der Kampf um das Haus dauerte zwei Jahre. Die | |
Initiativgruppe wollte kein besetztes Haus, wie es eines in London gab. Die | |
Westberliner Gruppe sagte: Wir wollen für unsere Arbeit bezahlt werden. Wir | |
kümmern uns um Probleme, die durch das Patriarchat entstehen. Finanzielle | |
Abhängigkeit ist einer der Ursprünge häuslicher Gewalt. Genau das wollen | |
wir ändern. | |
Wie gingen sie also vor? | |
Sie gingen auf die Straße, demonstrierten und informierten über | |
Vergewaltigung, häusliche und strukturelle Gewalt. Schwierig war, ein | |
geeignetes Haus zu finden. Alle Berliner Bezirke wurden angefragt, alle | |
sagten ab. Durch viel Öffentlichkeitsarbeit öffnete sich schließlich die | |
politische Ebene bis hin zum Bund. Familienministerin Katharina Focke (SPD) | |
suchte zwar erst die Schuld bei den Frauen, die es nicht wagten, sich zu | |
trennen – erkannte dann aber die strukturelle Unterdrückung und pushte das | |
Projekt. Das öffnete Türen. Das DRK stieg ein, Bund und Land finanzierten. | |
Schließlich fand die Gruppe eine alte Villa im Grunewald. | |
Wurde das Haus angenommen? | |
Es war schon vor der offiziellen Eröffnung überfüllt. Rohre mussten noch | |
verlegt werden, es gab noch keine Möbel. Aber die Frauen, die nicht mehr | |
nach Hause wollten, standen Schlange. Über die feministischen Netzwerke | |
hatte sich herumgesprochen, wo es ist. Und es ging ja schließlich um | |
Soforthilfe, um Schlafplätze. | |
Wie kann man sich die Situation vorstellen? | |
Das größte Zimmer hatte 20 Quadratmeter, da schliefen teils 15 Frauen auf | |
Matratzen auf dem Boden mit ebenso vielen Kindern. Das war laut und eng, | |
und die Gründerzeitvilla war ja gar nicht auf so viele Menschen | |
ausgerichtet. Das sind Menschen in absoluten Krisensituationen, aus | |
schlimmsten Gewaltverhältnissen heraus, oft traumatisiert. Und nun schlafen | |
sie zum Teil auf den Fluren. Da gab es auch viel Streit und Gewalt | |
untereinander. | |
Wie reagierte die Öffentlichkeit? | |
Das Haus stand der Idee des unbedingten Erhalts der Ehe und Kernfamilie | |
entgegen. Ein Ort, der die Autonomie von Frauen und Kindern stärkte, stieß | |
auf massiven Widerstand. Es war wie eine allergische Reaktion. Die | |
Springerpresse lancierte diffamierende Artikel. Irgendwann veröffentlichte | |
sie sogar die Adresse. Die Nachbarschaft war sowieso ziemlich genervt. | |
Ehemänner machten zum Teil Telefonterror aus der Telefonzelle vor dem Haus, | |
kletterten über die angrenzenden Gartenzäune, um ins Haus zu gelangen und | |
legten sogar Feuer. | |
Gibt es das Haus heute noch? | |
Die Villa steht noch. Sie ist beeindruckend, aber auch etwas beängstigend. | |
Heute wohnt dort ein Ehepaar. Ich habe beim Berliner Senat einen Antrag | |
eingereicht, damit dort mit Unterstützung des Aktiven Museums ein | |
Erinnerungsort mit Plakette entstehen kann. | |
Welche Bedeutung hatte das Haus für die Frauen? | |
Das Haus galt immer als das Haus der dort lebenden Frauen. Sie beteiligten | |
sich an Telefondiensten, Aufnahmen und Plena. Gleichzeitig sollte es ein | |
Ort werden um anzukommen, aufzutanken und Pläne für eine eigene Zukunft zu | |
schmieden. Auch für Frauen generell hatte es eine sehr große Bedeutung: Zum | |
ersten Mal wurde an einem massiv überfüllten Frauenhaus sichtbar, was für | |
ein enormes Problem geschlechtsspezifische Gewalt ist. Auf diese Bewegung | |
ist zurückzuführen, dass es heute Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen und | |
Frauennotrufe gibt. | |
Funktionieren die heutigen Häuser ähnlich? | |
Natürlich musste vieles aus der feministischen Idee erstmal in eine Praxis | |
überführt werden. Es gab ja kaum Vorbilder. Aber damals wie heute geht es | |
zuerst darum, Soforthilfe zu leisten, also einen Schutzraum zu geben. Dann | |
werden Frauen und ihre Kinder ermutigt, ein eigenes Leben aufzubauen. Ein | |
wichtiger Punkt war und ist die Öffentlichkeitsarbeit, um | |
geschlechtsspezifische Gewalt gesamtgesellschaftlich abzuschaffen. | |
Was ist in den Jahren seit der Gründung besser geworden? | |
Gewaltdynamiken sind besser erforscht, und es gibt ein Bewusstsein von | |
Gewalt gegen Frauen. Seit 2017 hat Deutschland die Istanbulkonvention gegen | |
Gewalt gegen Frauen ratifiziert, die dazu verpflichtet, diese umfassend zu | |
bekämpfen. Trotzdem passiert es noch heute, dass von | |
„Familienstreitigkeiten“ oder „Familiendrama“ die Rede ist – selbst, … | |
Frauen dabei umkommen. Auch heute wird jeden dritten Tag eine Frau von | |
ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Aus historischer Perspektive ist | |
das eine Kontinuität. | |
Was muss sich ändern? | |
Die Ursachen müssen bekämpft werden. Es darf keine geschlechtsspezifischen | |
Lücken mehr in der Bezahlung von Lohnarbeit und in der Aufteilung von | |
Fürsorge-Arbeit geben. Wohnraum muss zugänglich und bezahlbar sein. Frauen, | |
die einen Aufenthaltsstatus über ihren Ehemann haben, müssen sich scheiden | |
lassen können, ohne Gefahr zu laufen, abgeschoben zu werden. Laut | |
Empfehlung der [5][Istanbulkonvention] fehlen knapp 13.000 Plätze in | |
Frauenhäusern in Deutschland. Frauenhäuser sind heute noch immer | |
[6][chronisch unterfinanziert], auch Beratungsstellen brauchen sichere | |
Finanzierung. 45 Jahre nach der Gründung des ersten Hauses ist die | |
Notwendigkeit solcher Orte immer noch nicht politisch angekommen. | |
26 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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