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# taz.de -- Gewalt gegen Frauen: Schutzraum im Villenviertel
> In Berlin-Grunewald wurde 1976 Deutschlands erstes Frauenhaus
> eingerichtet. Am Donnerstag erinnert man dort mit einer Gedenktafel
> daran.
Bild: In einer Villa im Grunewald konnten sich misshandelte Frauen in Sicherhei…
Berlin taz | Die von Bäumen gesäumte Richard-Strauss-Straße im Berliner
Villenviertel Grunewald liegt ruhig da. Vögel zwitschern, nur vereinzelt
durchbricht der Motor einer Luxuslimousine die gemächliche Ruhe. Zwischen
herrschaftlichen Anwesen und gepflegten Rasen befindet sich hinter einem
großen schmiedeeisernen Tor eine zweigeschossige Gründerzeitvilla. Ein
hoher Zaun mit Spitzen und Kameras soll unerwünschten Besuch fern halten.
Nichts an dem imposanten Bau lässt erahnen, welche Hölle seine ehemaligen
Bewohnerinnen einst durchmachen mussten.
Das soll sich ab diesem Donnerstag ändern. Eine Gedenktafel soll künftig
daran erinnern, dass hier [1][vor 46 Jahren das erste Frauenhaus
Deutschlands eröffnet] wurde. Zwei Jahre hatten Frauen aus der
[2][autonomen Frauenbewegung] für den Zufluchtsort für misshandelte Frauen
gekämpft, bis ihnen die Stadt die Villa im Grunewald zur Verfügung stellte.
Bund und Land finanzierten das Projekt zu gleichen Teilen. Alles andere als
selbstverständlich in einer Zeit, in der [3][Vergewaltigung in der Ehe
nicht strafbar] war und Frauen in Westdeutschland nur arbeiten gehen
durften, wenn das „mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war.
Häusliche Gewalt war bis dahin ein gesellschaftliches Tabuthema und Schutz
für die Betroffenen nicht vorhanden. [4][Der Bedarf war entsprechend groß].
„Das Haus hatte noch gar nicht eröffnet, da standen schon die ersten Frauen
vor der Tür“, erinnert sich Ilona Böttcher, die als Verwaltungsangestellte
im autonomen Frauenhaus gearbeitet hat. „Das Haus war im Nu voll.“
## Überfüllung, Feindseligkeiten, Angriffe
Auf 660 Quadratmetern gab es insgesamt zwölf Bewohnerinnenzimmer mit bis zu
acht Stockbetten. Da keine Frau in Not abgewiesen wurde, stieg die Zahl der
ursprünglich geplanten 70 Plätze innerhalb kürzester Zeit auf das Doppelte.
„Überall lagen Matratzen auf dem Boden, die Zimmer und Flure waren
vollgestopft mit Frauen und ihren Kindern“, erzählt die heute 75-Jährige.
Die seien jedoch froh gewesen, überhaupt irgendwohin zu können, wo sie in
Sicherheit sind.
Die gut situierten Grunewald-Bewohner*innen hätten zunächst sehr
feindselig auf ihre neuen Nachbar*innen reagiert, sagt Böttcher. Sogar
eine Bürger*inneninitiative gegen das Projekt habe sich gegründet.
Nach zahlreichen Informationsveranstaltungen und Fortbildungen im Kiez, in
der Schule und bei der Polizei sei die Akzeptanz dann aber gewachsen und
auch seien Hilfsnetzwerke entstanden.
Die Adresse des Frauenhauses war geheim, nur der Polizei und
Taxifahrer*innen war sie bekannt. Gefunden haben die Männer ihre Opfer
häufig aber trotzdem: „Misshandler sind über den Zaun geklettert und haben
die Tür eingeschlagen. Einer ist sogar bis ins Haus gekommen und hat eine
Mitarbeiterin bedroht“, so die ehemalige Mitarbeiterin.
## „Hauptsache wir sind weg vom Papa“
Demis Öz kam im Juli 1997 in das Frauenhaus. Die heute 60-Jährige, die in
Wirklichkeit anders heißt, war vor ihrem Mann geflohen, weil sie Angst
hatte, dass dieser ihre Kinder entführen könnte – nicht zu Unrecht, wie
sich später zeigen sollte. Obwohl damals bereits weitere Frauenhäuser
gegründet worden waren, war das erste autonome Frauenhaus noch immer
hoffnungslos überfüllt.
„Als ich mit meinen beiden Kindern in das Zimmer mit sechs Betten kam, die
mit Frauen und Kindern belegt waren, wollte ich nur weg“, erinnert sich Öz
im Gespräch mit der taz. Ihre zehnjährige Tochter habe ihr damals Mut
gemacht mit den Worten: „Hauptsache wir sind weg vom Papa und zusammen. Wir
schaffen das. – Und das haben wir dann auch.“
Einfach war das nicht. „Ich musste alles aufgeben. Meinen Job bei Siemens,
wo ich fast 20 Jahre gearbeitet habe, meine Wohnung, meine Freunde“, so Öz.
Auch für die Kinder sei es schwer gewesen, sie mussten raus aus ihrem
sozialen Umfeld, die Schule wechseln, durften keine Besuche empfangen. Ihr
Ex-Mann fand sie trotzdem. „Er stand drei Tage mit Bildern von uns vor dem
Haus und hat nach uns gefragt“, sagt Öz.
Nach einer Weile fühlte sich Demis Öz immer sicherer. Die
Bewohner*innen erledigten gemäß dem Prinzip der Selbstverwaltung alle
anfallenden Arbeiten selbst, vom Einkaufen über das Kochen und Putzen bis
hin zum Telefondienst und der Begleitung zu Ämtern oder in die ehemalige
Wohnung. „Was ich sehr positiv fand, war die Hilfe zur Selbsthilfe. Für
andere war das zum Teil überfordernd, ich konnte dadurch meine Geschichte
verarbeiten“, sagt die gebürtige Türkin.
## Gemeinsame Verarbeitung der Traumata
Oft saßen die Frauen auch zusammen, um über ihre Gewalterfahrungen zu
sprechen. „Es war gut für die gewaltbetroffenen Frauen, zu sehen: Ich bin
nicht die Einzige, der das passiert ist. Um wegzukommen von Schuldgefühlen
und dem Gefühl des Scheiterns hin zum Erkennen der eigenen Stärke“, sagt
Nadja Lehmann, die von 1994 bis 1998 Sozialarbeiterin im ersten autonomen
Frauenhaus war.
Dennoch blieben Konflikte unter den Bewohnerinnen, die aus allen
Altersgruppen, Klassen und Kulturen kamen, nicht aus. Das führte auch zu
Diskriminierungen unter den Bewohnerinnen. „Es gab Frauen, die sich von
migrantischen Frauen nicht ihr Zimmer zeigen lassen wollten“, sagt Lehmann.
Rassismus war jedoch nicht nur innerhalb des Hauses ein Problem. „Wenn ich
die Nachbarn etwas gefragt habe, haben sie die Straßenseite gewechselt“,
sagt die ehemalige Bewohnerin Demis Öz. Nach einem halben Jahr fand sie
dann eine eigene Wohnung und zog aus. Das Frauenhaus unterstützte sie
jedoch weiter – als Mitarbeiterin.
## Generationenkonflikt führt zur Schließung
Im Jahr 2000, 24 Jahre nach seiner Gründung, schloss das erste autonome
Frauenhaus seine Türen. Die ehemalige Mitarbeiterin Nadja Lehmann führt das
vor allem auf einen [5][Generationenkonflikt] zurück. Die Gründerinnen
hatten das Team paritätisch mit Lesben und Heteras besetzt, auch um den
Bewohnerinnen alternative Lebensmodelle zu vermitteln. Die neuere
Generation von Feministinnen pochte hingegen auf eine Migrantinnenquote
unter den Mitarbeiterinnen, um sensibler für Mehrfachdiskriminierungen zu
sein.
Auch das Prinzip der Selbstverwaltung wurde zunehmend zur Herausforderung.
Als die Senatsverwaltung dann darauf drängte, den Mietvertrag für das
mittlerweile stark renovierungsbedürftige Haus nicht mehr zu verlängern,
war das Aus besiegelt.
Heute gibt es in Deutschland rund 400 Frauenhäuser mit mehr als 7.000
Plätzen, die eigentlich immer alle belegt sind. Nadja Lehmann eröffnete mit
anderen ein Jahr nach der Schließung des ersten Frauenhauses ein
Nachfolgeprojekt mit dem konzeptionellen Fokus auf Migration. Auch die
ehemalige Bewohnerin Demis Öz arbeitet dort seit über 20 Jahren.
Mittlerweile sind noch ein Wohnprojekt mit Zufluchtswohnungen, eine
Beratungsstelle und seit vergangenem Jahr das erste barrierefreie
Frauenhaus Berlins dazugekommen.
Aus ihren Erfahrungen im ersten Frauenhaus hat Lehmann viel gelernt: Das
Team sei diverser, das Projekt ist mittlerweile [6][auch für Trans-Frauen]
und ältere Söhne bis 18 Jahren offen. Dass die Schutzsuchenden heute in
Einzelzimmern unterkommen, sieht sie positiv. Aber: „Jeden dritten Tag
stirbt in Deutschland eine Frau an den Folgen häuslicher Gewalt. Dass
regelmäßig Frauen abgewiesen werden müssen, weil es keine freien Plätze
gibt, fühlt sich für uns an wie unterlassene Hilfeleistung“, sagt Lehmann.
## Auch heute noch zu wenig Frauenhausplätze
Dabei sieht die Istanbul-Konvention des Europarats mindestens einen
Familienplatz, also für eine Frau plus Kinder, pro 10.000 Einwohner vor.
Ausgehend von der durchschnittlichen Geburtenrate von 1,5 Kindern
[7][fehlen in Deutschland rund 14.000 Betten]. In Berlin gibt es laut
Senatsgesundheitsverwaltung in den sieben Frauenhäusern aktuell 422 Plätze.
Hinzu kommen 450 Schutzplätze in Zufluchtswohnungen, die aber meist nicht
sofort zugänglich sind, sowie 30 Notwohnungen, die pandemiebedingt
eingerichtet wurden und nur bis Ende des Jahres zur Verfügung stehen. Macht
insgesamt knapp 870 Plätze, nötig wären mindestens 920.
„Der Schutz von Frauen vor Gewalt ist ein [8][zentrales Anliegen des
Berliner Senats]“, heißt es auf taz-Nachfrage aus der Senatsverwaltung.
Demnach soll im nächsten Jahr ein achtes Frauenhaus mit 40 Plätzen in
Betrieb genommen werden und weitere 15 Schutzplätze sollen entstehen. Für
Nadja Lehmann reicht das nicht aus. Gemäß dem Grundsatz des ersten
Autonomen Frauenhauses fordert sie: „Wir müssen angesichts der Femizide
dazu kommen, dass wir jederzeit allen Frauen Schutz vor Gewalt bieten
können, niemand darf abgewiesen werden.“
29 Sep 2022
## LINKS
[1] /Historikerin-ueber-Frauenhaeuser/!5808482
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[3] /Vergewaltigung-in-der-Ehe-strafbar/!1400251/
[4] /Wir-waren-schon-in-den-ersten-Tagen-ueberbelegt/!1143461/
[5] /Generationenkonflikt/!5432474
[6] /Wenn-der-Schutz-fehlt/!5466235/
[7] /Aus--und-Umbau-von-Frauenhaeusern/!5835848
[8] /Kampf-gegen-Femizid/!5874949
## AUTOREN
Marie Frank
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