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# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in Osnabrück: „Viel Arbeit vor uns“
> Führt der Lockdown zu einer Zunahme von Gewalt gegen Frauen? In Osnabrück
> drängt eine Ratsinitiative auf bessere Prävention und Intervention.
Bild: Ein gewaltfreies Leben ist für viele Frauen keine Selbstverständlichkei…
Osnabrück taz | Augenblicke wie dieser sind selten in Kommunalparlamenten:
Wenn am 9. März, einen Tag nach dem [1][Internationalen Frauentag], im Rat
der Stadt Osnabrück Tagesordnungspunkt 4. 7. aufgerufen wird – „Gewalt
gegen Frauen verhindern. Istanbul-Konvention in Osnabrück umsetzen“ –
werden sich alle einig sein. Eine Lehrstunde gegen die
Politikverdrossenheit.
Die Architektin dieser seltenen Einigkeit ist Diana Häs, die frauen- und
gleichstellungspolitische Sprecherin der Ratsfraktion der Grünen. Wenige
Stunden nur, dann waren sie alle mit im Boot, für einen interfraktionellen
Antrag: CDU und FDP, die Linke und die SPD, die Piraten, die Wählergruppe
UWG/UFO/bus. „Das setzt ein starkes Zeichen der Gemeinsamkeit“, sagt Häs.
„Da geht es nicht um Parteipolitik.“
Ihr Vorstoß, zu prüfen, „welche zusätzlichen Maßnahmen der Prävention und
Intervention zur besseren Vermeidung von Gewalt gegen Frauen beschlossen
werden können“, hat einen alarmierenden Hintergrund: 2020 haben 507 Frauen
in der Osnabrücker Frauenberatungsstelle angerufen, um in einer Krise Hilfe
zu finden; 2019 waren es nur 82. Häs ist sicher: „Corona hat die Lage
drastisch verschärft.“
„Jetzt müssen der Absichtsbekundung Maßnahmen folgen“, sagt Maria Meyer,
Traumaberaterin und Psychosoziale Prozessbegleiterin bei der
Frauenberatungsstelle. An 86 Hochrisikofällen hat die Beratungsstelle 2020
mitgearbeitet. „86 von Tötung bedrohte Frauen! Und das ist nur das
Hellfeld“, sagt Meyer. Dass die Zahl der Telefonkontakte so stark gestiegen
ist, sei eine Folge des Lockdowns, sagt sie. „Einfach aus dem Haus gehen
und persönlich zu uns kommen, ist ja jetzt schwer. Die Kids sind zu Hause,
der Mann vielleicht auch …“
## Mehr Opferberatung benötigt
Meyer hat klare Wünsche an die Politik. Einer davon: Kapazitätsausbau. Die
Umsetzung der Istanbul-Konvention beinhalte das Recht auf Opferberatung.
„Dieses Recht kann nur umgesetzt werden, wenn die Einrichtungen zur
Frauenunterstützung vor Ort ausreichend räumlich und personell ausgestattet
werden.“ Man brauche mehr Präventionsprojekte zu sexueller Belästigung im
öffentlichen Raum, die Fortbildung von MultiplikatorInnen zum Thema Gewalt
gegen Frauen. Dass die Frauenberatungsstelle Frauen abweisen muss, an
andere Stellen vermitteln, ist keine Seltenheit.
Das Autonome Frauenhaus Osnabrück, das jährlich rund 100 Frauen und Kinder
aufnimmt, gleichzeitig aber 250 ablehnen muss, sieht „dringenden Bedarf in
der Eröffnung eines autonomen Frauenhauses im Südkreis des Osnabrücker
Landes“, so Marion Kuhlmann, „da hier die laut Istanbul-Konvention
vorzuhaltenden Plätze nicht ausreichen“. Die Osnabrücker Politik müsse
zudem verstehen, „dass ein Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz
kontraproduktiv ist, da die Frauen die erlebte Gewalt beweisen müssten, um
den Anspruch zu begründen“.
An der örtlichen Kriminalstatistik lässt sich die Größe des Problems nur
bedingt ablesen. Stadt und Landkreis Osnabrück zusammengenommen, steigen
die Zahlen der „häuslichen Gewalt“ zwar seit Jahren, von 915 in 2015 bis
1.244 in 2019 – in rund 80 Prozent der Fälle sind die Opfer Frauen. „Das
heißt nicht unbedingt, dass auch die Zahl der Taten steigt“, sagt Maike
Ahlrichs, Opferschutzbeauftragte der Polizeiinspektion Osnabrück und
Leiterin des „Osnabrücker Fallmanagements bei Hochrisikofällen häuslicher
Gewalt“. „Aber in den letzten Jahren hat die Sensibilisierung stark
zugenommen.“
Die Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor. Aber es könnte sein, dass der
Lockdown sie nicht signifikant erhöht. Nicht, weil nichts passiert. „Aber
womöglich greift in Zeiten der gesamtgesellschaftlichen Krise das alte
Familienmodell wieder stärker“, sagt Ahlrichs. „Die Leidensfähigkeit der
Frauen steigt. Man holt sich keine Hilfe, obwohl man sie braucht.“
Die Konferenzen ihres „Fallmanagements“ sind etwas Besonderes in Osnabrücks
Hilfs-Infrastruktur. Institutionen vom Jugendamt über den Weißen Ring bis
zur Staatsanwaltschaft konzentrieren sich hier. Das führt, sagt Ahlrichs,
zu „kurzen Wegen, weil jeder jeden kennt“.
Der 9. März ist ein Tag, der „sichtbar macht“, sagt Diana Häs. „Aber die
eigentliche Arbeit folgt erst danach.“
9 Mar 2021
## LINKS
[1] /Frauenkampftag-in-Berlin/!5752392
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Osnabrück
Gewalt gegen Frauen
häusliche Gewalt
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Opferberatung
Lockdown
Schwerpunkt Femizide
häusliche Gewalt
Fremd und befremdlich
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Schwerpunkt Coronavirus
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