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# taz.de -- Sexuelle Belästigung im Alltag: Warum ändern sich die Männer nic…
> Mit 18 wurde ich begrabscht und verbal belästigt. Das ist lange her, aber
> es hat sich seitdem nichts geändert. Es ist Zeit, noch wütender zu
> werden.
Bild: Aktion gegen Belästigung in Mainz: Eine Aktivistin schreibt auf, was Fra…
Letzte Woche unterhielt ich mich mit einer Siebzehnjährigen, die sehr
aufgebracht war. Ein ungefähr vierzigjähriger Mann hatte sich ihr in den
Weg gestellt, sie blöd angequatscht und sie dann auch noch verfolgt. Es
geschah am Tage und sie hatte auch nicht viel Angst dabei, aber sie hätte
die Nase so voll, erklärte sie mir, denn so etwas passiere ihr ständig. Sie
hielten im Auto neben ihr an und kommentierten ihren Körper, sie
versperrten ihr den Weg und machten ihr Angebote oder sagten ihr, was sie
gern mit ihr täten. „Männer sind solche Schweine!“, stieß sie hervor,
ratlos, angewidert, verzweifelt, und ich hatte auch keine Lösung parat.
Ich bin einundfünfzig Jahre alt und habe solche Erlebnisse seltener. Dachte
ich vielleicht, dass sich das Verhalten der Männer mittlerweile geändert,
dass es eine Entwicklung gegeben hat? Als ich als Achtzehnjährige in der
Landwirtschaft arbeiten musste, empfand ich es als „normal“, dass ich immer
wieder am Busen oder am Po begrabscht wurde. Es war „normal“ in meiner
Welt, in der, wie ich glaubte, Männer nicht anders konnten.
Das war damals. Aber wie ist es heute? Heute, so lese ich in unzähligen
Kommentaren zu ähnlichen Erfahrungsberichten von Frauen, sollten diese
Frauen doch froh sein, dass „Mann“ sie attraktiv finde, sie begehre. Die so
etwas sagen und denken sind übrigens Arschlöcher, egal welchen Geschlechts.
Als ich siebzehn war, ging ich einmal wöchentlich schwimmen. Ich war eine
gute Schwimmerin, aber es war auch etwas sehr Schlimmes an diesen
Schwimmbadbesuchen. Denn ich hatte einen großen Busen. Ich trug, aus diesem
Grund, nie einen Bikini, sondern immer feste, sportliche Badeanzüge.
Dennoch war der Schritt von den Umkleideräumen in das Bad immer ein sehr
schwieriger. Würden viele Männer im Schwimmbad sein? Würden sie wieder
pfeifen und grölen? Ich habe mich nicht vom Schwimmen abhalten lassen. Aber
das Demütigende daran, die Wut und Scham, bis ich in das Wasser tauchen
konnte, das kann ich nicht vergessen.
All das ist nicht nur unangenehm, es ist eine Form von Machtausübung, von
Gewalt. Wenn ein Mann gegenüber einer Frau, zu der er keine intime
Beziehung hat, Bemerkungen über ihren Körper macht, dann übt er bereits
Gewalt aus. Wenn ein Mann auf der Straße daherkommt und einer vollkommen
fremden Frau mitteilt, dass sie „hübsch“ ist, dann ist er zweifelsfrei ein
Arschloch. Es ist nichts anderes, als wenn er ihr seinen Schwanz ins
Gesicht hält, und nichts anderes hat es auch zu bedeuten.
Was soll man aber jetzt einem jungen Mädchen raten, das nicht mehr glaubt,
wie ich damals, dass Männer „halt so sind“, sondern weiß, dass jeder Mann
die Möglichkeit hat, sich zwischen arschlöchigem und nicht arschlöchigem
Verhalten zu entscheiden? Was nützen diesem Mädchen diese Informationen auf
den Straßen dieser Stadt, die leider immer noch voller Arschlöcher sind?
Hat sie vielleicht nicht das Recht, unbelästigt ihren Weg zu gehen?
Natürlich gibt es praktische Tipps und so weiter. Aber warum braucht sie
Tipps, warum ändern sich Männer nicht?
Und das ist nur eines von vielen Dingen, die sich einfach nicht bessern,
obwohl wir hier doch diese Gleichberechtigung haben. Heute, da ich dies
schreibe, ist Weltfrauentag. In der DDR gab es an diesem Tag Nelken und
Weinbrandbohnen für unsere Mutti, morgens, bevor sie zur Arbeit ging.
Was es im Westen an diesem Tag früher gab, weiß ich nicht. Aktuell sind
jedenfalls ein paar Frauen in den Nachrichten abgebildet, die was geschafft
oder was geworden sind. Guck mal einer an, eine Frau kann auch was werden.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius erzählt derweil dem NDR zur
Entwicklung häuslicher Gewalt in Pandemiezeiten: „Der Trend zeigt nach
oben. Das heißt: mehr Taten.“ Der Status quo: [1][Jede dritte Frau in der
EU hat schon körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt]. Allen Frauen und
Mädchen wünsche ich zum Frauentag, dass sie sich niemals an diese
„Normalitäten“ im Leben einer Frau „gewöhnen“, sondern wütend bleibe…
sogar noch viel wütender werden.
10 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.big-berlin.info/news/524
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Fremd und befremdlich
sexuelle Belästigung
Männer
Frauen
Sexualität
Patriarchat
Feminismus
Schwerpunkt #metoo
Osnabrück
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