# taz.de -- Ein Jahr Corona in Berlin: Wenn der Partner zuschlägt | |
> Mehr Anrufe bei den Beratungsstellen deuten auf ein Ansteigen von | |
> häuslicher Gewalt. Auch die Hilfe bei digitaler Gewalt wird vermehrt | |
> angefragt. | |
Bild: Da ist schon mehr kaputt als nur ein Teller | |
Berlin taz | Hat die häusliche Gewalt in der Pandemie zugenommen? Eine | |
eindeutige Antwort darauf gibt es nicht, weil es noch an repräsentativen | |
Studien fehlt. Doch die Anrufe von Gewaltbetroffenen bei Hilfetelefonen | |
nehmen zu. „Wir haben noch keine detaillierten Auswertungen, aber wir | |
merken eine Steigerung“, sagt Doris Felbinger, Geschäftsführerin der | |
Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e. V.). | |
Bei der BIG-Hotline, die Frauen und Kinder bei häuslicher Gewalt berät, | |
gingen in den ersten beiden Wochen nach dem ersten Lockdown vergangenes | |
Jahr über 30 Prozent mehr Anrufe ein als im Vorjahreszeitraum. | |
Wie auch andere Beratungsstellen stellt Felbinger fest, dass die Anfragen | |
vor allem in Wellen erfolgen, die mit den Lockdowns zusammenhängen. Wer | |
nicht rausgehen darf, kann auch nicht unauffällig die BIG-Hotline anrufen, | |
während der Täter im Nebenzimmer sitzt. | |
Für digitale Treffen wurde deshalb ein unauffälliges Signal in Kanada | |
erdacht, das auch in Deutschland immer bekannter wird: Die | |
Gewaltbetroffenen strecken die Handfläche zum Bildschirm aus, legen den | |
Daumen hinein und umschließen ihn mit den restlichen Fingern. Wenn die | |
Person Kopfhörer trägt, kann man ihr Fragen stellen, die sie mit Ja oder | |
Nein beantworten kann: Soll eine Hilfestelle informiert werden? Soll die | |
Polizei gerufen werden? | |
Bei der bislang einzigen repräsentativen [1][Studie zu häuslicher Gewalt in | |
der Pandemie] wurden deutschlandweit zwischen April und Mai 3.800 Frauen im | |
Auftrag der TU München befragt. Das Ergebnis: Etwa 3 Prozent der Frauen | |
wurden innerhalb eines Monats geschlagen, sexuell vergewaltigt und erfuhren | |
andere Formen der Gewalt. Vergleichen lässt sich diese Zahl mit anderen | |
Studien nicht, weil oft andere Zeiträume abgefragt werden. Doch 3 Prozent | |
innerhalb eines Monats – das scheint nicht wirklich wenig. Und es könnten | |
im Fortschreiten der Pandemie noch viel mehr geworden sein. | |
Was tun, wenn der (Ex-)Partner zuschlägt? In Berlin gibt es die | |
Möglichkeit, in eines von sechs Frauenhäusern zu ziehen. Eines davon ist | |
das Caritas-Frauenhaus, das seit seiner Gründung 1983 von Gabriele Kriegs | |
geleitet wird. Sie hat schon viele Frauen kommen und wieder gehen sehen. | |
Kriegs weiß: Nicht alle, die Hilfe brauchen, suchen sie sich. Ihre Arbeit | |
im Frauenhaus zeigt nur einen Ausschnitt der Gewalt. „Viele melden sich gar | |
nicht bei uns“, sagt Kriegs. Die Dunkelziffer ist hoch, viele schämen sich | |
oder kennen die Hilfenotrufe nicht. | |
Wegen der Pandemie gibt es im Caritas-Frauenhaus ein strenges | |
Hygienekonzept. Statt 20 Plätzen gibt es derzeit dort auch nur noch 18 | |
Plätze. Deswegen sei die Auslastung des Frauenhauses während der Pandemie | |
um 10 Prozent zurückgegangen. „Das sind knapp unter 10 Frauen, es ist also | |
nicht so wesentlich“, sagt Kriegs. Überrascht das Kriegs? „Ich habe es mir | |
schlimmer vorgestellt. Ich war ganz erstaunt, dass es trotzdem noch | |
funktioniert hat“, sagt sie. | |
Außerdem blieben die Frauen länger im Caritas-Frauenhaus. Vor der Pandemie | |
hätte es auch Frauen gegeben, die ins Haus gekommen seien, um ihren | |
Partnern einen „Denkzettel“ zu verpassen, so Kriegs. Sie zogen am Morgen | |
ein und am Abend wieder aus. „Das passiert während der Pandemie nicht“, | |
sagt Kriegs. „Im Gegenteil: Kurz vor Weihnachten zog hier eine Frau aus, | |
von der ich dachte: Bei der Gewalt, die sie erfahren hat? Das passt gar | |
nicht.“ Doch die Frau habe zu große Angst vor dem anstehenden Lockdown, | |
einer Corona-Infektion und der sozialen Isolation gehabt und wäre deshalb | |
zurück zu ihrem Mann gezogen. „Das ist ein Einzelfall, aber es kommt vor“, | |
so Kriegs. | |
Im Juni vergangenen Jahres warnten die UN vor häuslicher Gewalt als | |
„[2][Schattenpandemie]“. Also als massenhaftes Phänomen, das die | |
Coronavirus-Pandemie mit sich trägt. | |
Das Digitale bleibt dabei oft unerwähnt: Das Friedrichshainer | |
Frieda-Frauenzentrum e. V. ist Trägerverein des | |
„[3][Anti-Stalking-Projekts]“. Es berät Frauen, die von digitaler Gewalt | |
betroffen sind. | |
In Zeiten von Zoom-Meetings sei das eine besondere Herausforderung: „Es ist | |
eine Form der Gewalt, die alle treffen kann“, sagt Maria Koch, | |
Geschäftsführerin des Frieda e. V. So wird in der bereits genannten Studie | |
der TU München bei 4,6 Prozent der Frauen festgestellt, dass ihre digitalen | |
Kontakte vom Partner kontrolliert werden. | |
Häufig richten (Ex-)Partner die Betriebssysteme auf dem Handy der | |
Partnerinnen ein, haben die Passwörter und können sehen, was auf dem Handy | |
passiert. Inklusive Standort. Laut Koch sind etwa 80 Prozent der Personen, | |
die Frauen mit digitaler Gewalt belästigen, männlich. | |
Das Anti-Stalking-Projekt bietet an drei Tagen in der Woche | |
Beratungstermine an. Sie sind weit im Voraus ausgebucht. Neben den | |
einfacheren Maßnahmen wie dem Ändern von Passwörtern und dem Ausschalten | |
des GPS kann in Beratungsterminen auch nach Spyware gesucht werden – um | |
sie zu entfernen. | |
Besonders stark trifft digitale Gewalt mehrfach Diskriminierte. Eine | |
[4][Studie des Kinderhilfswerks Plan International] stellte fest, dass | |
Mädchen und junge Frauen vor allem dann digitale Gewalt und Belästigung | |
erleben, wenn sie eine Behinderung haben, politisch aktiv, BPoC oder | |
[5][queer] sind. | |
Die Pandemie hat auf diejenigen, die von digitaler Gewalt betroffen sind, | |
einen besonderen Einfluss: Sie haben teilweise den Wunsch, sich aus dem | |
digitalen Raum zurückzuziehen. Auch wenn sie das nicht haben, ist ein | |
sozialer Raum außerhalb des Computers wichtig. Deswegen war es besonders | |
bedauerlich, dass das Frieda-Frauenzentrum wegen der | |
Coronakontaktbeschränkungen nur telefonisch und digital beraten durfte. | |
„Wir sind froh, dass wir wieder Beratungen vor Ort anbieten können“, sagt | |
Koch. | |
„Die Aufmerksamkeit zum Thema Gewalt gegen Frauen ist [6][im Zuge der | |
Pandemie größer geworden]“, beobachtet Koch. Sie findet es wichtig, dass | |
auch hier die Maßnahmen und Mittel mehr werden. Doch müsse man, so Koch, | |
auch Maßnahmen treffen, dass Gewalt gar nicht erst ausgeübt werde. „Es | |
braucht ein gesellschaftliches Umdenken und politisches Handeln, damit | |
patriarchale Gewalt eingedämmt wird.“ | |
2 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hfp.tum.de/globalhealth/forschung/covid-19-and-domestic-violenc… | |
[2] https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/polen-haeusliche-gewalt-waehrend… | |
[3] https://www.anti-stalking-projekt.de/ | |
[4] https://plan-international.org/file/46061/download?token=pH3r4scC | |
[5] /Gewalt-gegen-LGBTIQ-Community/!5738694 | |
[6] /Queerfeminismus-in-Berlin/!5748635 | |
## AUTOREN | |
Nicole Opitz | |
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