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# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in der Pandemie: „Bis er ausgerastet ist“
> In vielen Fällen eskaliert häusliche Gewalt während der Coronapandemie,
> berichten drei Leiterinnen von Frauenhäusern.
Bild: Draußen wie drinnen: Gewalt ist eine alltägliche Gefahr für Frauen
„Die Frauen würden nicht sagen, sie fliehen wegen Corona“, sagt Andrea
Hopperdietzel, die Leiterin des Frauenhauses im fränkischen Schwabach. „Die
würden sagen, sie fliehen wegen der Gewalt.“ Die gibt es in den
allermeisten Fällen schon sehr lange: in Paarbeziehungen im Schnitt sieben
Jahre, bevor die Frauen sich wirklich lösen. „So eine Beziehung eskaliert
an irgendeinem Punkt“, sagt Hopperdietzel. „Und für viele ist der eben
jetzt.“
Sowohl Hopperdietzel aus Bayern als auch andere Mitarbeiterinnen von
Frauenhäusern in Baden-Württemberg und Niedersachsen, [1][mit denen die taz
schon während des ersten Lockdowns gesprochen hat], berichten nun bei einem
zweiten Gespräch von vielen Fällen, in denen die [2][Gewalt der Partner in
den vergangenen Monaten] eskalierte.
Nachdem Alkohol im Spiel war, um der Anspannung und Nervosität zu begegnen.
Oder nachdem die Kinder, die nicht in die Kita oder Schule konnten, zu
Hause wild waren. „Bis er dann ausgerastet ist“, sagt Alexandra Gutmann von
der Heilbronner Mitternachtsmission.
Zwar sei die Anzahl der Frauen, die 2020 aufgenommen wurden, im Vergleich
zu Vorjahren etwa gleich, sagt Gutmann: 50 Frauen werden es dieses Jahr
voraussichtlich sein.
## Viele fallen jetzt durchs Raster
Wichtig sei aber ein zweiter Blick auf die Zahlen: Denn während der Anteil
akut bedrohter Frauen gestiegen sei, sei der Anteil derjenigen, die sich
erst einmal nur beraten lassen wollen, zurückgegangen. „Wir finden das sehr
bedenklich“, sagt Gutmann. „Unser Fazit ist, dass sich dieses Jahr fast nur
die melden, die gar nicht mehr können. Der Rest wird irgendwann danach
kommen.“
Viele Einrichtungen, die als Brücke in die Familien dienten, seien momentan
kaum präsent: Beratungsstellen, Ämter, Psycholog:innen. „Auch wir selbst
gehen nicht mehr an Schulen und machen dort auf uns aufmerksam“, sagt
Cordula Glanemann vom Sozialdienst katholischer Frauen, die das Frauen-
und Kinderschutzhaus Meppen leitet.
Normalerweise gebe es einen beträchtlichen Anteil von Frauen, die über die
externe Ansprache den Kontakt ins Frauenhaus fänden. „Aber jetzt“, sagt
Gutmann, „fallen die einfach durchs Raster.“
Ein Problem sei zudem, dass die Weitervermittlung in andere Häuser seit
März schwierig ist: Viele Einrichtungen mussten die Plätze reduzieren, weil
es immer wieder Verdachtsfälle gibt, die isoliert werden müssen. „Es gab
eine Phase, da hatte ich den Eindruck, ganz Deutschland ist dicht“, sagt
Hopperdietzel. Wegen negativer Tests, die viele Häuser verlangen, oder
Quarantäne, in die die Frauen zum Teil routinemäßig müssen.
## Von der Gewalt in die Isolation
Für die sei das eine besonders angespannte Situation. „Ein Frauenhaus lebt
von Gemeinschaft, in der die Frauen besprechen können, was sie zu Hause
erlebt haben“, sagt Hopperdietzel. „Wenn die von der Gewalt in die
Isolation müssen, sind sie völlig verängstigt. Welche emotionalen Folgen
die Pandemie hat, wird wenig thematisiert.“
Während die Leiterinnen der Frauenhäuser aus dem taz-Gespräch zu Beginn der
Pandemie inmitten des Schocks Vorkehrungen trafen, um ihre Arbeit überhaupt
weiterführen zu können, haben sie mittlerweile gewisse Routinen entwickelt.
„Klar: Ausflüge, Geburtstagskaffees, Bastelaktionen in der Adventszeit –
das fehlt uns alles total“, sagt Cordula Glanemann aus Meppen. „Aber
wenigstens unser Hygienekonzept steht.“
Trotzdem sei immer auch die Angst da, sagt Gutmann: „Jetzt in der
Erkältungszeit vergeht kein Tag, an dem nicht eine Husten oder Fieber hat.“
Jedes Mal müsse aufs Neue entschieden werden, wie die Situation
umorganisiert werden kann, wenn sich die Frau gerade mit zwei anderen eine
Wohneinheit teilt.
Manche Häuser konnten auch Bäder oder Zimmer umbauen – mit Geldern des
Investitionsprogramms des Bundes, das zwar nichts mit der Pandemie zu tun
hat, sondern längerfristig geplant war, nun aber gerade recht kommt.
## Wer bezahlt das?
In vielen Bereichen aber sei nach wie vor unklar, wer die Kosten der
Pandemie tragen wird, auch wenn es private Spenden gegeben habe: „Unser
Defizit wird mit jedem Tag größer“, sagt Gutmann.
Sie hat zusätzliche Räume in der Umgebung angemietet, um die Frauen sicher
unterbringen zu können. „Das wurde von der Bundespolitik gefordert. Es wäre
schön, wenn von politischer Seite nun auch die entsprechende finanzielle
Unterstützung käme.“ Das Land Baden-Württemberg hatte zwar Mittel
bereitgestellt, die hätten aber nur einen Teil der Kosten gedeckt.
„Wir stemmen diese Zeit irgendwie“, sagt Hopperdietzel. „Aber nicht nur f…
die Frauen, auch für die Mitarbeitenden ist die Pandemie ein Kraftakt.“ Die
privaten Kontakte seien reduziert und auch im Team sei es schwer, sich
gegenseitig zu ermutigen, wenn Abstand gehalten und nicht einmal die Hand
auf die Schulter gelegt werden kann.
Eine Erleichterung immerhin gibt es hier in Heilbronn: durchsichtige
Masken. „Dem Gegenüber ins Gesicht schauen zu können, macht die Sache
besser.“
25 Nov 2020
## LINKS
[1] /Haeusliche-Gewalt-und-Corona/!5682407
[2] https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/36053/
## AUTOREN
Patricia Hecht
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