# taz.de -- Klimapolitik der Christdemokraten: Kein frischer Wind in NRW | |
> Beim Klimaschutz fährt die CDU zweigleisig: Auf Wahlplakaten wird die | |
> Energiewende gepriesen. Doch die Bilanz von Armin Laschet in NRW ist | |
> verheerend. | |
Bild: Gut fürs Klima, aber verboten: Die Blockade der Kohle-Infrastruktur in N… | |
Auf den Wahlplakaten ist die Sache klar. „Klima schützen, Jobs schaffen“, | |
prangt auf einem der Motive, die CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak am | |
Dienstag vorgestellt hat. Doch dass der behelmte Mann, der darauf scheinbar | |
ein Solarmodul aufs Dach montiert, kein echter Handwerker ist, ist nicht | |
der einzige Widerspruch zwischen Schein und Sein, der bei der Union beim | |
Thema Klimaschutz herrscht. | |
Während die „KlimaUnion“, eine neue parteiinterne Lobbygruppe für | |
entschlossene Klimapolitik, eine „Argumentationshilfe“ mit radikalen | |
Forderungen vorlegt, bleibt Kanzlerkandidat Armin Laschet bei dem Thema | |
gern im Ungefähren – und bremst zu Hause in Nordrhein-Westfalen die | |
erneuerbaren Energien sogar aktiv aus. | |
Ausgerechnet mit dem Klimaschutzgesetz, das in der vergangenen Wochen von | |
der schwarz-gelben Koalition im Düsseldorfer Landtag verabschiedet wurde, | |
werde der Windkraftausbau im Land künftig massiv behindert, kritisieren | |
Umwelt- und Branchenverbände. Denn darin wird Gemeinden nicht nur erlaubt, | |
einen Mindestabstand von 1.000 Metern von Windrädern zu Wohnbebauung | |
festzulegen, sondern dieser soll im Gegensatz zu ähnlichen Regelungen in | |
anderen Bundesländern schon zu Mini-Siedlungen mit nur drei Gebäuden | |
gelten. | |
Die Auswirkungen dürften dramatisch sein. „Langfristig ist damit jeder | |
zweite Windkraftstandort in NRW gefährdet“, sagt der Vorsitzende des | |
Landesverbands Erneuerbare Energien, Reiner Priggen. Besonders | |
problematisch: Die Regelung bezieht sich auch auf das Repowering, also den | |
Ersatz alter Windräder durch neue. „Konkret bedeutet das: Selbst bei | |
bestehenden Windkraftanlagen können Kommunen verhindern, dass Altanlagen | |
durch neue Windräder ersetzt werden“, erklärt Priggen, der bis 2015 | |
Fraktionsvorsitzender der Grünen im Düsseldorfer Landtag war. Er spricht | |
deshalb von einem „schwarzen Tag“ für die Windkraft. Die versprochenen | |
„neuen Jobs“ dürften so nicht zu schaffen sein. | |
## Ausbau der Windkraft in NRW verläuft schleppend | |
Deutlich macht die Folgen des NRW-Klimaschutzgesetzes auch der | |
Bürgermeister der sauerländischen Kommune Ense, die sich als | |
Windkraftpionier versteht: „Wäre dieser Abstand in der Vergangenheit schon | |
auf die Windenergieplanung anzuwenden gewesen, wären in Ense nicht die | |
aktuell 40 Windenergieanlagen entstanden, sondern lediglich 3“, sagte der | |
parteilose Rainer Busemann dem WDR. | |
Dabei erklärt die Union in ihrem Bundestagswahlprogramm, das beim Thema | |
Klima insgesamt extrem unkonkret bleibt, zumindest eins: Man wolle die | |
erneuerbaren Energien „deutlich schneller ausbauen“, heißt es. Eine Zahl | |
wird nicht genannt. Aber einen Hinweis gibt es: „Wir regieren NRW so, wie | |
ich es mir auch für den Bund vorstellen würde“, hat Armin Laschet | |
angekündigt. | |
„Für die Energie- und Klimapolitik macht uns das Angst“, kommentiert Reiner | |
Priggen diese Aussage. Denn erst vor zwei Wochen fand eine Statistik der | |
„Stiftung Klimaneutralität“, dass NRW das Schlusslicht beim Ausbau der | |
Erneuerbaren ist: Während Flächenländer wie Brandenburg oder | |
Schleswig-Holstein mehr Ökostrom erzeugen, als sie überhaupt Strom | |
verbrauchen, liegt der Ökonstromteil-Anteil an Rhein und Ruhr nur bei 16 | |
Prozent. | |
Und schon vor den neuen Beschränkungen ist der Ausbau der Windkraft in NRW | |
viel zu schleppend gelaufen. Nur 6,2 Gigawatt betrug die Leistung der knapp | |
3.800 Windräder im Land Ende 2020. Durch die neue Abstandsregelung scheinen | |
selbst die von der Regierung für 2030 geplanten 10,5 Gigawatt unerreichbar, | |
meint Priggen – ganz zu schweigen von den 17 Gigawatt, die erforderlich | |
wären, um das von der Bundesregierung ausgegebene Ziel zu erreichen, die | |
Emissionen bis 2030 um 65 Prozent zu senken. | |
## Zögern und Verzögern im Team Laschet | |
Dabei langt selbst dieses Ziel nicht, um dafür zu sorgen, dass Deutschland | |
einen fairen Anteil zum Erreichen des Pariser Klimaziels beiträgt. Das ist | |
auch innerhalb von CDU und CSU einigen bekannt, nämlich den Mitgliedern der | |
kürzlich gegründeten „KlimaUnion“. Die Forderungen dieser kleinen und noch | |
relativ machtlosen Ökolobby innerhalb der Union stehen im krassen Gegensatz | |
zum Zögern und Verzögern im Team Laschet: Bis 2030 will sie auf 100 Prozent | |
erneuerbare Energien umsteigen, und zwar in allen Sektoren; die | |
Bundesregierung plant bisher nur 65 Prozent im Stromsektor. | |
Weil Ökostrom immer billiger werde, verspricht das Programm die | |
„Energiewende zum Nulltarif“, elektrisches Autofahren, das billiger ist als | |
heute, und ein riesiges Investitionsprogramm mit privatem Geld. Dafür | |
müsste „in den nächsten 10 Jahren jährlich so viel erneuerbare Leistung | |
gebaut werden, wie heute installiert“ ist. Die bereits sehr ehrgeizigen | |
Pläne zur Klimaneutralität bis 2045, etwa vom Thinktank Agora Energiewende, | |
wirken dagegen mickrig. Und die Realität erst recht: 2020 wuchs die | |
Leistung der Wind- und Solaranlagen nur um 6,5 Gigawatt – die KlimaUnion | |
will jedes Jahr etwa 120 Gigawatt. | |
Der Weg dahin ist für die Öko-Konservativen die „Entfesselung des | |
Energiemarktes“, schreibt die KlimaUnion. Dass es die Union selbst war, die | |
in den letzten 16 Jahren diesen Markt erst gefesselt hat, steht da | |
allerdings nicht. In der Gruppe sind neben unbekannten Unionsmitgliedern | |
auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Wissenschaftsministerin Anja | |
Karliczek als „Gründungspaten“ dabei, die sich allerdings die weitgehenden | |
Forderungen nicht zu eigen machen. | |
Bei Laschet ist der Kontrast zu den radikalen Ankündigungen noch sehr viel | |
größer. Sein gerade verabschiedetes Landesklimaschutzgesetz sieht für 2030 | |
keine Klimaneutralität vor, wie von der KlimaUnion gefordert, und auch | |
keinen Rückgang der CO2-Emissionen um 65 Prozent, wie sie auf Bundesebene | |
geplant sind. Sondern gerade mal 55 Prozent. Umweltschützer*innen aus | |
Laschets Heimatland halten die auf den Wahlplakaten inszenierte Verbindung | |
von Ökologie und Ökonomie darum schlicht für Desinformation, für Fake. Das | |
nordrhein-westfälische Klimaschutzgesetz sei „verfassungswidrig“, meint | |
Dirk Jansen, NRW-Geschäftsleiter des BUND, mit Blick auf das | |
Klimaschutzurteil des Verfassungsgerichts vom Mai. | |
## Auch Klimaproteste werden deutlich erschwert | |
Das hatte geurteilt, auch beim Klimaschutz müssten die „Freiheitschancen“ | |
junger Menschen beachtet werde. Die notwendigen Treibhausgas-Reduktionen | |
dürften die „nachfolgenden Generationen“ nicht übermäßig belasten. Von | |
solchen Klima-Klagen will NRW allerdings nichts wissen: Die | |
Klimaschutzziele des Landes „begründen keine subjektiven Rechte und | |
klagbaren Rechtspositionen“, heißt es in der Gesetzesbegründung. | |
Und nicht nur Klagen will die von Laschet geführte Regierung nach | |
Möglichkeit verhindern – auch Klimaproteste werden deutlich erschwert. Im | |
neuen Versammlungsgesetz, das vom Kabinett bereits gebilligt, aber noch | |
nicht vom Landtag beschlossen wurde, soll das Tragen von „uniformähnlichen | |
Kleidungsstücken“ bei Demonstrationen verboten werden, sofern dies | |
„einschüchternd“ wirke. Als Beispiel dafür nennt die Gesetzesbegründung | |
ausdrücklich die „gleichfarbigen Overalls“, die die Teilnehmer*innen | |
bei den Kohle-Protesten der Initiative „Ende Gelände“ tragen – und zwar … | |
einem Atemzug mit Hitlers SA und SS. | |
Die Kriminalisierung der Kohle-Proteste knüpft an den riesigen | |
Polizeieinsatz gegen die Klimaschützer*innen im Hambacher Wald an: | |
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Ministerpäsident hatte Laschet dort | |
die Baumhäuser der Besetzer*innen auf rechtlich fragwürdiger Basis | |
räumen lassen, um den Wald für den Kohletagebau fällen zu können – ein | |
Plan, der mittlerweile vom Bund gestoppt wurde. Trotzdem dürfte in NRW wohl | |
noch länger gegen die Kohle protestiert werden – denn Laschet will bis 2038 | |
noch über 750 Millionen Tonnen der extrem klimaschädlichen Braunkohle | |
fördern lassen – Paris-kompatibel wären dem BUND zufolge maximal 280 | |
Millionen Tonnen. | |
Auch in der Verkehrspolitik hat sich der CDU-Kanzlerkandidat kaum bewegt. | |
Zwar gab es 2020 satte 1,5 Milliarden Euro für das marode NRW-Schienennetz | |
der Bahn – aber die stammen vom Bund. Milliarden aus NRW flossen 2020 | |
dagegen in Straßen, für Radwege gab es mit 54 Millionen Euro nur Peanuts. | |
Selbst Vorzeigeprojekte wie der Radschnellweg Ruhr kommen nicht voran. Und | |
ein Tempolimit lehnt Laschet weiter entschieden ab. | |
## Ein Satz wie eine Drohung | |
Der Initiator der Klimaunion, der ehemalige Fahrradaktivist Heinrich | |
Strößenreuther sagt zu diesen klimapolitischen Bremsmanövern, es gebe eben | |
„unterschiedliche Strömungen“ in der Volkspartei, und Laschet sei nicht | |
frei von „Lobbyinteressen in seinem Umfeld“. Strößenreuther hofft, dass | |
sich die Gewichte verschieben. „Der Wandel in der Union ist im Gang“, sagt | |
er. „Das treiben wir voran, sind aber nicht die Union und können natürlich | |
nichts versprechen.“ Das Werben für einen 1,5-Grad-Kurs der Union laufe | |
„erfolgreicher als gedacht“. | |
Mit deutlich mehr Sorge blickt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für | |
Klimafolgenforschung auf Laschets Positionen. Denn der hatte sich am | |
Freitag im Landtag ausdrücklich hinter eine Position der AfD gestellt. | |
„Immer wenn jemand ankommt und sagt, ‚Die Wissenschaft sagt‘, ist man klug | |
beraten zu hinterfragen, was dieser gerade im Schilde führt“, so Laschet. | |
„Denn ‚die Wissenschaft‘ hat immer auch Minderheiten, und wenn es ein | |
einzelner ist.“ | |
Wenn man diesen Satz, den Laschet im Zusammenhang mit Corona sagte, aufs | |
Klima bezieht, klingt er wie eine Drohung. Denn auch dort wird der breite | |
Konsens nur von Einzelpersonen in Frage gestellt. Dementsprechend meint | |
Klimaforscher Rahmstorf, sei es „erschütternd, wenn ein Kanzlerkandidat den | |
Wissenschaftsleugnern der AfD ausgerechnet in ihrer Haltung zur | |
Wissenschaft zustimmt“. | |
Korrekturhinweis: Zunächst stand in diesem Text irrtümlicherweise, dass das | |
neue Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen bereits beschlossen worden | |
sei. Es ist bisher allerdings nur vom Kabinett gebilligt und in den Landtag | |
eingebracht, dort aber noch nicht beschlossen worden. Weiterhin will Armin | |
Laschet nicht bis 2028 noch Millionen Tonnen Braunkohle fördern lassen, | |
sondern bis 2038. Wir bitten die Fehler zu entschuldigen. | |
7 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
Bernhard Pötter | |
Andreas Wyputta | |
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