# taz.de -- Schub für die Energiewende: Viel Wind um den Wind | |
> Niedersachsens Landesregierung hat einen neuen Windenergieerlass auf den | |
> Weg gebracht. Einigen geht er zu weit, anderen nicht weit genug. | |
Bild: Hat aus Sicht mancher Umweltschützer im Wald nichts zu suchen: Windkraft… | |
Osnabrück taz | Manchmal ist [1][Klimaschutz] unübersehbar: | |
Windkraftanlagen, manche so hoch wie 70 Stockwerke, prägen unsere | |
Landschaft. Bei tiefstehender Sonne fällt ihr Schatten fast eineinhalb | |
Kilometer weit, ihre Positionslichter leuchten wie rote Augen in der Nacht. | |
Rund 6.350 Anlagen sind in Niedersachsen erfasst, mit rund 11,4 Gigawatt | |
(GW) Leistung. | |
Und um die Energiewende zu erreichen, sollen nach Niedersachsens Umwelt- | |
und Energieminister Olaf Lies (SPD) bald weitere dazu kommen. Nachdem die | |
[2][Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)] der Bundesregierung | |
2017 den Ökostromausbau unter SPD-Beteiligung hart ausgebremst hatte, | |
schlägt Niedersachsen, Deutschlands Windland Nummer 1, nun neue Pflöcke | |
ein. | |
Der jüngst im Hannoveraner Kabinett beschlossene Windenergieerlass „Planung | |
und Genehmigung von Windenergieanlagen an Land in Niedersachsen“ soll den | |
Ausbau wieder „in Schwung bringen“. So verspricht es die Staatskanzlei. Der | |
Bund habe „zu viele Stolpersteine nicht aus dem Weg geräumt“, sagt Lies. | |
„Wir müssen schneller beim Ausbau der Windenergie werden, um die Klimaziele | |
zu erreichen.“ Der Erlass garantiere die dafür notwendige Rechts- und | |
Planungssicherheit. | |
20 GW Windenergie an Land sollen es bis 2030 werden. Dann sollen 2,1 | |
Prozent der Landesfläche für den Ausbau der Windenergie zur Verfügung | |
stehen – für bis zu 30 GW. Spätestens bis 2040 will Niedersachsen den | |
Energiebedarf komplett aus erneuerbaren Energien decken. | |
## Konfliktthema Wald | |
Die Grünen im Landtag stellen den Erlass in Frage. Er sei „zwar kein | |
Rückschritt“, sagt ihre [3][energiepolitische Sprecherin Imke Byl] der taz, | |
„aber die Verbesserungen sind marginal“. Ihre Hauptkritik: „Es fehlen | |
verpflichtende Flächenziele für die Landkreise.“ Die 2,1 Prozent seien nur | |
eine Empfehlung. Wer sie nicht umsetzen wolle, der macht es eben nicht. | |
Außerdem sei 2030 viel zu spät, so Byl: „Wir brauchen das sofort!“ | |
Ein Konfliktthema des Erlasses ist die „behutsame Öffnung des Waldes“, wie | |
Lies es ausdrückt, als Standort für Windenergieanlagen. Behutsam? Matthias | |
Eichler, Sprecher des Umweltministeriums, erklärt, was das zulässt: | |
„Forststandorte grundsätzlich einzubeziehen“, wobei „besonders wertvolle | |
Waldflächen außen vor bleiben“, was immer das heißt. Im | |
Landesraumordnungsprogramm, das derzeit überarbeitet wird, wird Wald | |
jedenfalls als „Potenzialfläche“ betrachtet, auch wenn im Offenland noch | |
Flächen zur Verfügung stehen. | |
Heikel sei das, sagt Byl. „Es kommt ja immer drauf an, was für ein Wald das | |
ist. Wenn das ein ökologisch wertvoller Bestand wäre, wäre das | |
problematisch. Eine Forstplantage ist da was anderes.“ Byl will den Wald | |
unangetastet lassen, solange noch Offenland zur Verfügung steht. | |
Manche befürchten, dass der neue Windenergieerlass es Bürgerinitiativen | |
schwerer machen könnte, gegen Windkraftanlagen zu opponieren. Byl glaubt | |
das nicht. „Außerdem hat die Windenergie ja im Grunde gar keine | |
Akzeptanzprobleme. Selbst bei unmittelbaren Anwohnern solcher Anlagen | |
nicht.“ Matthias Elsner, Vorsitzender des Anti-Windkraft-Netzwerks | |
„Vernunftkraft Niedersachsen“, sieht das anders und kündigt weiteren | |
Protest an. | |
Er sagt, im Spannungsfeld zwischen Artenschutz, Biodiversität, Wirtschaft | |
und Energieversorgung habe sich die Landesregierung „völlig einseitig und | |
undifferenziert dem Ausbau der Windkraft verschrieben und dient somit | |
vorwiegend den Interessen der Windindustrie“. „Vernunftkraft“-Eingaben zum | |
Erlass seien nebst juristischer Expertise und europäischer Vorgaben zum | |
Artenschutz „schlicht ignoriert“ worden. | |
Auf die [4][Initiative „Vernunftkraft“], auf Bundesebene geführt von | |
Nikolai Ziegler, reagiert Byl allergisch. Oft gebe sich Widerstand nur den | |
Anschein einer Bürgerinitiative, mache in Wirklichkeit aber Lobbyismus pro | |
Fossilenergie. Sprechend sei ja auch, dass Ziegler im | |
Bundeswirtschaftsministerium arbeite. „Das tut alles, um uns abhängig von | |
den fossilen Brennstoffen zu halten.“ | |
Auch Holger Buschmann, Nabu-Landesvorsitzender aus Niedersachsen, sieht den | |
Erlass mit Ernüchterung. Gerade was das Thema Wald angehe, weiche er von | |
dem, ab, was im Beteiligungsprozess besprochen wurde. „Da wird jetzt viel | |
mehr freigegeben als vereinbart. Außerdem bleibt all das sehr vage und ist | |
nicht sauber definiert.“ | |
In Wäldern in Autobahndreiecken könnte Buschmann sich Windkraftanlagen | |
vorstellen, in Bergbaufolgelandschaften, auf Deponien, an Gewerbegebieten. | |
Aber einfach mitten in einen Wald stellen, mit großen Rodungen, breiten | |
Zuwegungen? Selbst im Kalamitätswald, geschädigt durch Trockenheit, sei das | |
nicht Sinn der Sache. Da soll sich ja wieder Holz entwickeln, auch als | |
CO2-Speicher. | |
Auf Minister Lies ist Buschmann nicht gut zu sprechen. „Er hat uns ja | |
vorgeworfen, der Hauptbremser des Windanlagenbaus zu sein, durch unsere | |
Artenschutzklagen. Das ist natürlich falsch: Geklagt haben wir bei weniger | |
als 1 Prozent der neuen Anlagen.“ Und alle Klagen waren ein Sieg. | |
21 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Wirtschaftsminister-ueber-Klimaschutz/!5711862 | |
[2] /Neues-Erneuerbare-Energien-Gesetz/!5739709 | |
[3] https://imke-byl.de/ | |
[4] https://www.vernunftkraft.de/ | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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