| # taz.de -- Windkraftanlagen mit weniger Dezibel: Beim Infraschall verrechnet | |
| > Eine Behörde korrigiert ihre von Windkraftgegnern oft zitierte Studie zum | |
| > Infraschall. Die Ergebnisse lagen vieltausendfach zu hoch. | |
| Bild: Windkraft im Ohr, hier eine Neubausiedlung in Baden-Württemberg | |
| Freiburg taz | Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) | |
| hat ein von [1][Windkraftgegnern] oft angeführtes Argument gegen die | |
| Rotoren kurzerhand pulverisiert: Etwas verschämt musste die | |
| Bundesfachbehörde dieser Tage einräumen, dass sie in einer seit Jahren | |
| vielzitierten Studie über Infraschall „einen systematischen Fehler“ gemacht | |
| habe: Die veröffentlichten Schallwerte seien um „36 Dezibel zu hoch“ | |
| gewesen. Da die Skala logarithmisch ist – das heißt: 10 Dezibel mehr | |
| bedeuten eine Verzehnfachung – beläuft sich der Fehler auf einen Faktor von | |
| mehreren tausend. | |
| Ausgerechnet diese fehlerhafte Studie aus dem Jahr 2005 hatte großen Anteil | |
| daran, dass der Infraschall im Zusammenhang mit Windkraftanlagen populär | |
| wurde. Windkraftgegner warnten immer wieder vor dem nicht hörbaren Schall | |
| (dessen Frequenz unterhalb von 16 bis 20 Hertz liegt) und verliehen ihm | |
| aufgrund seiner vermeintlichen Intensität ein fast dämonisches Image. Er | |
| entsteht nicht nur durch technische Geräte, sondern auch in der Natur, etwa | |
| durch Windböen. | |
| In ihrer Studie ermittelten BGR-Forscher Lars Ceranna und zwei Kollegen im | |
| Umfeld einer Windkraftanlage Infraschallwerte von mehr als 100 Dezibel. | |
| Erst Jahre später kamen andere Wissenschaftler darauf, dass die | |
| Berechnungen nicht stimmen konnten. Denn wären sie korrekt gewesen, hätte | |
| alleine im Infraschall mehr Energie gesteckt als im gesamten vorhandenen | |
| Schallsignal – physikalisch unmöglich. | |
| Vor allem Stefan Holzheu, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität | |
| Bayreuth, hatte sich um Klärung bemüht. Er hatte einen „schwerwiegenden | |
| Rechenfehler“ in der Studie erkannt, den er – recht zielgenau – „auf ei… | |
| Faktor 1.000 bis 10.000“ bezifferte. Seit März 2020 stand er deswegen mit | |
| der BGR im Kontakt. | |
| ## Stur gegenüber allen Einwänden | |
| Doch die blieb stur gegenüber allen Einwänden. Dabei hatte längst auch die | |
| Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) deutlich niedrigere Werte | |
| ermittelt. Als die taz im Februar die BGR mit diesen Unstimmigkeiten | |
| konfrontierte, erklärte diese noch, die Diskrepanz lasse „unterschiedliche | |
| Herangehensweisen bei den Messungen und Auswertungen“ vermuten. | |
| Zugleich konnte sich die BGR den süffisanten Hinweis nicht verkneifen, dass | |
| „die LUBW für ihre Studie die Expertise der BGR als führende Institution in | |
| Deutschland auf dem Gebiet der Messung von Infraschall nicht nachgefragt“ | |
| habe. Heute weiß man: Es hätte wohl eher die BGR bei der LUBW um Expertise | |
| bitten müssen. | |
| Wissenschaftler Holzheu veranschaulicht den Fall gerne, indem er diesen mit | |
| dem Wiegen eines Brots vergleicht: Wenn dieses einmal ein Kilo wiegt, | |
| woanders aber 1.000 Kilo, werfe das Fragen auf. Wenn dann jene Institution, | |
| deren Messung in der Kritik steht, auf Nachfrage sagt, sie könne die | |
| Differenz nicht erklären, weil sie keinen Einblick in die Messmethoden des | |
| Anderen habe, ist das befremdlich. Doch exakt auf diese Weise blockte die | |
| BGR Nachfragen über Monate hinweg ab und verwies stets darauf, dass ihre | |
| Ergebnisse 2016 einen Peer-Review-Prozess eines Fachjournals durchlaufen | |
| hätten – ein Verfahren zur Qualitätssicherung wissenschaftlicher Arbeit. | |
| Dennoch wurden die Stimmen von Kritikern immer lauter. Als ein weiterer | |
| Wissenschaftler sich jüngst an die Physikalisch-Technische Bundesanstalt | |
| wandte, die dann ihrerseits die BGR-Berechnungen zerpflückte, sah diese | |
| sich gezwungen, einzulenken. Sie versichert nun, die Studie („Der unhörbare | |
| Lärm von Windkraftanlagen“) werde überarbeitet und zur Publikation werde es | |
| „ein Korrigendum“ geben. | |
| ## Hochpolitische Zahlen | |
| Die falschen Zahlen waren längst hochpolitisch geworden. Windkraftgegner | |
| hätten darin den Beleg gesehen, „dass das Umweltbundesamt und die | |
| Landesämter mit ihren deutlich niedrigeren (aber richtigen) Werten | |
| verschleiern und manipulieren“, sagt Holzheu. Auf seiner Internetseite | |
| begrüßt er nun, „dass die BGR ihren Rechenfehler nach 16 Jahren endlich | |
| erkennt“. Damit entfalle für Windkraftgegner, die sich unter Namen wie | |
| Vernunftkraft und Windwahn sammeln, „eine ganz wichtige | |
| Argumentationsgrundlage“. | |
| Erst in diesen Tagen hatte der Vernunftkraft e.V. eine Resolution zur | |
| Bundestagswahl verfasst, in der es heißt, es gebe „die Gefahr eines | |
| erheblichen Gesundheitsrisikos durch den von Windenergieanlagen ausgehenden | |
| Infraschall“. Auf Anfrage der taz erklärte der Verein nun: „Sollte sich aus | |
| einer neuen Veröffentlichung Korrekturbedarf ergeben, würden wir diesen | |
| berücksichtigen.“ Den Link zur Studie der BGR gibt es nach wie vor auf der | |
| Seite des Vereins – aber er läuft mittlerweile ins Leere. | |
| 22 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernward Janzing | |
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