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# taz.de -- Naturschutz contra erneuerbare Energie: Ökos gegen Öko
> „Solar gehört aufs Dach!“ steht auf dem Plakat. Will heißen: nicht auf
> Acker und gerodeten Wald, schon gar nicht im Osten Sachsens.
Ein Polizeiauto, zwei Polizisten, eine kleine Menschenansammlung – die
Kundgebung an diesem kühlen Maiabend ist überschaubar, friedlich und für
die lokale Bürgerinitiative ein kleiner Sieg. Statt der angemeldeten 50
Menschen sind 80 gekommen. „Solar gehört aufs Dach“ heißt es auf
handgemalten Pappen, „Grüne Energie durch Rodung? Nein“ und „Hände weg …
den Hochkippen“.
Die Mulkwitzer Hochkippen, zwischen den Dörfern Rohne und Mulkwitz ganz im
Osten Sachsens nahe der polnischen Grenze gelegen, sind ehemalige,
renaturierte Abraumhalden; die Verwaltungsgemeinschaft Schleife, ein
Zusammenschluss von sieben Ortschaften im Landkreis Görlitz, befindet sich
im Braunkohlerevier der Oberlausitz. Es ist das Land des Stromerzeugers
LEAG, des Tagebaus von Nochten und des Kraftwerks Schwarze Pumpe. Noch –
spätestens 2038, so ist es beschlossen, läuft die Stromgewinnung aus
fossilen Brennstoffen aus. Die Region muss sich neu erfinden.
Was liegt näher, als auf neue Technologien und erneuerbare Energien zu
setzen? Wie sonst soll man den Strukturwandel in der entindustrialisierten
Region stemmen? Was also spricht gegen Pläne, auf den Mulkwitzer Hochkippen
zwei Solarparks zu errichten?
## Zweifel an Solaranlagen auf der Kundgebung
Die kleine Kundgebung vor dem Sorbischen Kulturzentrum in Schleife nimmt
mit Trommeln und Reden ruhige Fahrt auf. Um sechs will der Gemeinderat
zusammenkommen und über die Aufstellung eines Bauleitplans für das
Investorenvorhaben beraten. Keine parteipolitischen Reden, bittet einer der
Organisatoren der Kundgebung. Was folgt, ist eine sehr persönliche
Ansprache.
Hubertus Scammell, ehemaliger Revierförster, erinnert daran, wie nach der
Wende arbeitslos gewordene Schichtarbeiter „Pionierbaumarten“ und
wurzelintensive Sträucher gepflanzt haben, um die Erosion des Bodens zu
verhindern. Es handele sich keineswegs um ökologisch minderwertige Flächen,
erklärt der Mann mit dem grauen Pferdeschwanz und Norwegermütze – es gehe
um Feuchtgebiete, seltene Pflanzen- und Tierarten, teilweise auf der Roten
Liste, um bestehende intakte Ökosysteme. „Wie werden solche Flächen durch
Solaranlagen aufgewertet?“ fragt Scammell.
Der Gemeinderat beschließt gleich zu Beginn seiner Sitzung, den
Tagesordnungspunkt Solarpark auszusetzen. „Wir sollten an der Sache
orientiert diskutieren, bis alle Fragen beantwortet sind“, sagt
Bürgermeister Jörg Funda (CDU). „Ich habe die Hoffnung, dass es darüber
nicht zu einer Spaltung kommt.“ Einige Dörfer waren jahrelang von Abriss
und Umsiedlung bedroht, wie damit umzugehen sei, schürte viele Ängste und
schuf [1][Zerwürfnisse]. Die Menschen sind mürbe, misstrauisch, aber auch
wachsam geworden.
Manja Bartz und Daniel Jakubik rollen draußen ihr Transparent ein, es ist
noch hell. Sie werten das Aussetzen des Tagesordnungspunktes als „Erfolg“.
Bartz und Jakubik gehören zum Organisations-Team der Interessengemeinschaft
(IG) [2][Mulkwitzer Hochkippen], die sich im März gegründet und eine
Unterschriftenliste zum Erhalt dieser Landschaft organisiert hat. 1.200
waren es an diesem Tag, inzwischen sind es 2.100.
## Ist Wildnis erhaltenswert?
Doch ausgesetzt heißt nur verschoben – ausgestanden ist die Sache nicht. Es
geht um ein Gebiet von rund 410 Hektar, umgerechnet 574 Fußballfelder, also
ganz schön groß. Eingefasst ist es von einer West- und einer Ostkippe, wo
auf Teilflächen jeweils ein Solarpark mittlerer Größe entstehen soll. Wo
aber in den vergangenen Jahrzehnten eine Art Wildnis entstanden ist, die
nicht unter Naturschutz steht, da das Gebiet noch als Erschließungsgebiet
für den Tagebau im Regionalplan steht. An der Westkippe will die Solizer
GmbH bauen, ein Hamburger Unternehmen; an der Ostkippe plant die Kronos
GmbH, eine Firma mit Hauptsitz in München und Büro in Leipzig.
Das Terrain, das in der DDR als Staatsforst galt und nach der Wende zur
Treuhand kam, wurde Mitte der 1990er an zwei Privatleute verkauft. Der eine
betrieb anfangs Landwirtschaft auf dem Hochplateau, der andere
veranstaltete Jagdgesellschaften, erzählt man sich im Dorf. Es ist Zufall,
dass nun beide Besitzer ihr Gelände veräußern beziehungsweise verpachten
wollen. Und es ist Zufall, dass nun zwei Investoren zur gleichen Zeit an
die Gemeinde mit Solarenergievorhaben herantreten. Ihre Pläne sind auf der
[3][Webseite der Gemeinde] zu finden.
Es ist sicher kein Zufall, dass gerade jetzt, da die erneuerbare Energien
ausgebaut werden sollen, Unternehmens-Scouts Ausschau nach Standorten für
Windkraftanlagen und Solarparks halten. Und in der Lausitz, wo bald die
Bagger stillstehen und die Unsicherheit groß ist, was kommen wird und was
kommen soll, gibt es geeignetes Land.
„Die Infrastruktur ist bereits vorhanden“, sagt Lars Büsching,
Geschäftsführer von Solizer, am Telefon und klingt so schwärmerisch, dass
zu merken ist, dass es ihm hier um etwas geht: „Die Stromtrasse ist da, das
Umspannwerk, und es gibt die Hochspannungsleitungen vom Kraftwerk Schwarze
Pumpe, wo sich der Strom einspeisen ließe. Das ist ökologisch und
ökonomisch sinnvoll.“
Wie die Kronos GmbH will Solizer ohne Förderung durch das
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bauen und den erzeugten Strom frei auf
den Markt bringen. Die Firma bewirbt sich um zwei weitere Standorte in der
Nähe: an einer stillgelegten Bahntrasse und am Umspannwerk.
Büsching nimmt sich Zeit für das Gespräch. Seit 13 Jahren arbeitet er in
der Solarbranche, 2014 hat er sich selbstständig gemacht. Die Unruhe, die
Missverständnisse vor Ort verursachen ihm „ein schlechtes Bauchgefühl“.
„Wir haben nichts Falsches vor“, versichert er. „Wir sind noch ganz am
Anfang.“ 15 Großprojekte in Deutschland plant seine Firma derzeit.
„Vorhaben und Pläne werden ausgelegt, jeder darf Einwände geltend machen“,
erklärt Büsching. „Das sei urdemokratisch und sehr sinnvoll. „Außerdem w…
es Auflagen geben, die wir zu befolgen haben.“
Solizer baue „nur auf Freiflächen“ und prinzipiell nicht in
Naturschutzgebieten oder auf hochwertigen Ackerflächen. Und was ist mit dem
Waldbestand auf der Westkippe, von dem etwa hundert Hektar gerodet werden
müssten? „Dafür würden wir zweihundert Hektar aufforsten“, rechnet Büsc…
vor. „Wir wollen den Wald umwandeln und nachhaltig verbessern.“
Waldverbesserung ist so ein Wort, das bei Hubertus Scammell, könnte er
zuhören, deutliches Stirnrunzeln hervorrufen würde. „So einfach ist das mit
der Waldumwandlung nicht“, erklärt der 63-Jährige bei einem Rundgang über
die Mulkwitzer Hochkippen. „Das sind Lebensräume, die sich über 30 bis 80
Jahre entwickelt haben.“ Er zeigt auf eine licht stehende Gruppe von
Kiefern, das sei zum Beispiel waldbaulich falsch. „Nimmt die Vergrasung
zwischen den Bäumen zu, weil es zu viel Licht gibt, entzieht das Gras den
Baumwurzeln die Feuchtigkeit.“ Man müsse oben wie unten durchforsten.
15 Jahre lang hat Scammell das Gebiet nicht besucht, wo er in den 1990ern
als Revierförster selbst Hand angelegt hat. Der Mann mit dem verblichenen
grünen Parka, seinen Hund Ramses zur Seite, steht vor den Schildern am
Eingang zum Hochplateau. „Die haben wir noch mit der Hand geschrieben“,
erzählt er. „Das Schöne war, du konntest damals Landschaft gestalten, ich
hatte fast alle Freiheiten. Wir haben die alten Ortsverbindungen
erschlossen, Mischwälder mit Remise, Dauergrünland für das Wild und
Wanderwege angelegt. Ich glaube, das sollte der Wald der Zukunft sein!“
Scammell entstammt einer Dynastie von Förstern. Wo sich heute die
Hochkippen befinden, gab es bis in die 1970er Jahre einen Eichenwald, der
unter dem Abraum des Nochtener Tagebaus begraben wurde. Scammells Vater kam
die Aufgabe der Renaturierung des Gebietes zu, er ließ Kiefern, Eichen,
Robinien, Birken, Erlen pflanzen, mischte damals schon den Wald auf, auch
wenn der Staatssozialismus auf Kiefer und Holzwirtschaft setzte; nach der
Wende mussten die Schäden beseitigt werden.
Fünf Feuchtgebiete entstanden, Biotope, die seltenen Vögeln,
Schmetterlingsarten und Pflanzen bis heute eine Heimstätte bieten. Die
Hochkippen sind ein Terrain, wo man genauer hingucken, suchen muss.
Unansehnliche Wildnis für die einen, ein Paradies für seltene Pflanzen und
Tierarten für die anderen; minderwertige Böden, argumentieren die
Investoren. Hubertus Scammell erspäht mit geübtem Jägerblick einen
Seeadler, der sich auf einem Feld niedergelassen hat, wo er auf Beute
lauert.
„In den fünfzig Jahren sind Lebensräume entstanden“, sagt er. „Die zu
zerschneiden und zu zerstören ist falsch. Man muss das als einen Lebensraum
betrachten.“ Etwa Zwei Drittel der Hochkippen sind bewaldet, ein Drittel
Ackerland. Am Waldrand stehen Pappeln und hohe Sanddornsträucher, die den
Wildschweinen Futter bieten. Plötzlich fegt ein ein Rudel Rotwild über den
Acker, an die 50 Tiere – wie ein flüchtiger Kondensstreifen am nicht so
fernen Horizont. Fünf Minuten später galoppiert eine Wildschweinrotte der
Mutter hinterher, ein kleines Borstenschwein als Nachhut. Scammells Hund
Ramses setzt hinterher. Es gelingt mit Mühe, den Hund zurückzuholen. Nur
der Wolf lässt sich an diesem Tag nicht blicken.
„Es sollte uns eine Verpflichtung sein, die letzte vorhandene Natur hier zu
bewahren“, sagt Daniel Jakubik von der IG Mulkwitzer Hochkippen. „Wir
gehören zu der Region in Ostdeutschland, die am meisten durch die
Braunkohle zerstört ist.“ Jakubik, 45, im Hauptberuf Notfallsanitäter, ist
Naturfotograf und ehrenamtlicher Naturschützer. Andere aus der BI sind
Schmetterlingsexperten, Pflanzenspezialisten oder wie Manja Bartz schlicht
ihrer Heimat verbunden. Die Heilpraktikerin aus Spremberg liebt „die Ruhe“
der Hochkippen. „Der Charme der Wildnis würde verloren gehen.“
## Der Ärger mit den Anrufen
Als ausgesprochen uncharmant empfand sie den Anruf eines Mitarbeiters der
Kronos GmbH. Die Bürgerinitiative hatte ihre Facebook-Seite gerade online
gestellt. “Gehören Sie zu der BI?“, hätte der Anrufer gefragt. „Dann h�…
Sie auf, solche Lügen zu verbreiten!“ Es sei keine offensichtliche Drohung,
aber „eindrücklich“ gewesen, erinnert sich Bartz, die das Gespräch abbrac…
Der Verdacht, dass es der Firma nur ums Investment und nicht um die Sache
geht, hat sich bei den Mitgliedern der BI so eher verstärkt. Zwei weitere
Mitglieder der Kerngruppe erhielten ähnliche Anrufe. „Die Art und Weise der
Anrufe war darauf ausgerichtet zu sagen: Hört auf!“, sagt Bartz.
Fragt man bei der Kronos GmbH nach, ruft der Geschäftsführer persönlich
zurück. Über 80 Parks hat seine Firma weltweit realisiert. „Wir versuchen
proaktiv zu sein“, erklärt Alexander Arcache am Telefon das Vorgehen. „Wir
sprechen die Bürger aktiv an. Der größte Fehler wäre, wenn wir nicht sauber
kommunizieren. Wir wollen, dass Fakten auf dem Tisch liegen.“ Fakt ist für
ihn: „Es handelt sich um eine der besten Flächen Deutschlands für einen
Solarpark.“
Die Bodenqualität des ehemaligen Ackerlandes auf der Ostkippe, wo der
Kronos-Solarpark entstehen soll, sei „minderwertig“, das hätten Analysen
bestätigt; es werde dort ökologischer Mehrwert entstehen. „Im besten Fall
entsteht Naturschutz durch erneuerbare Energien.“ Arcache spielt einen
weiteren Trumpf aus: „Bei uns wird kein Baum gefällt.“
## Umweltschützer empfehlen alternative Standortsuche
Die [4][Regionalgruppe Weißwasser des Naturschutzbund] (Nabu) hat sich das
angeblich minderwertige Ackerland der Osthalde angeschaut. Es handele sich
um eine Konversionsfläche, erklärt Büroleiter Christian Hoffmann am
Telefon, konventionell genutzter Acker, vermutlich nicht stark
pestizidbelastet. Rein fachlich sei die Wahl der Flächen dort gut
vorbereitet. Aber: „Je älter eine künstlich geschaffene Fläche, desto
interessanter ist sie für die Natur“, gibt er zu bedenken. „Sie stört sich
nicht daran, dass der Boden minderwertig ist. Sie bekommt Reife.“ Auf den
Mulkwitzer Hochkippen ist mit den Jahren eine vielfältige
Acker-Wildkraut-Flora gereift, Nahrungsgrundlage für Kraniche, Feldlerchen
und andere Tiere.
Der Nabu spricht die Empfehlung aus, alternative Standorte zu suchen, er
hält die Flächen für „nicht genehmigungsfähig“, da die „bereits hohe
Wertigkeit für Pflanzen- und Tierwelt durch Fotovoltaik-Anlagen kaum noch
erhöht“ werden könne. Von einer Klage würde Hoffmann nach jetzigem Stand
jedoch absehen.
Der Nabu wäre einer von 48 Trägern öffentlicher Belange, die, falls es zu
einem Aufstellungsbeschluss käme, Stellung beziehen können. „Ich habe mit
der Bürgerinitiative das mögliche Planverfahren erläutert“, sagt
Bürgermeister Jörg Funda. „Da wird geprüft, ob das alles überhaupt geht. …
bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Antrag durchgeht.“ Funda sieht
notwendige Kriterien wie: die Blühwiese erhalten, Kranichbrutplätze und
Löschwasserteiche sichern, die Einzäunung durchlässig halten, Wanderwege
instandhalten. „Wir wollen die Natur erhalten und pflegen“, sagt er. „Es
gibt aber auch die Chance, mit dem dort verdienten Geld den Naturschutz zu
gestalten und so Ökologie und Ökonomie zu verbinden.“
In welcher Weise aber könnte die Gemeinde profitieren? Arbeitsplätze werden
durch die neuen Solarparks nicht viele entstehen. Bauaufträge, Wartung,
Instandhaltung sollen an lokale Firmen gehen, versprechen die Investoren.
Es dürften Gewerbesteuern anfallen, die in der Kommune verbleiben. Der
Bundestag hat ein neues Gesetz für das komplizierte Regelwerk im
Energiesektor auf den Weg gebracht, das die Standort-Kommunen künftig
besser stellen will. Und beide Firmen versprechen, eine [5][freiwillige
Konzessionsabgabe] leisten zu wollen.
Bürgermeister Funda sieht Chancen für die gebeutelte Region: „Wir sitzen an
der Nahtstelle“, sagt er über die Oberlausitz. „Wir haben den Wandel der
Energieerzeugung direkt vor der Tür.“ Als Gemeinde verfüge man über die
Planungshoheit und damit über Gestaltungsmöglichkeiten. Es passt gut, dass
die nordsächsische egNEOS, eine Energiegenossenschaft mit 350 Mitgliedern,
eine Absichtserklärung über eine Kooperation mit der Kronos GmbH
unterzeichnet hat. „Kronos ist auf uns zugekommen“, bestätigt
Geschäftsführerin Susanne Koschker in Dresden am Telefon, „ob wir die
Bürgerbeteiligung in Schleife gewährleisten wollen“.
## Anteile kaufen, Bilanztricks verhindern
Die lokale Bevölkerung soll Anteile von mindestens 500 Euro bei der egNEOS
erwerben können, die dann mit zehn Prozent am Solarparkprojekt der Kronos
GmbH beteiligt wäre. Der Vorteil für die Gemeinde: „Die Firma kann nicht
mehr abwandern“, erklärt Koschker. Die Energiegenossenschaft besäße eine
Sperrminorität. „Außerdem fallen bei solchen Modellen eines
Bürgersolarparks jährlich Gewerbesteuern an“, erklärt Koschker, „von den…
70 Prozent in der Gemeinde bleiben. Bilanztricks sind hier nicht möglich.“
Auch das Modell von Solizer sieht einen Bürgersparbrief vor.
Bürgerbeteiligung ist gefragt, weiß Koschker: „Viele Leute wollen etwas
aktiv für den Umweltschutz tun und sich an der Energiewende beteiligen.
Außerdem steigt so die Akzeptanz für die größer werdenden Projekte der
Solarenergie.“ Eine Chance für die kleine Energiegenossenschaft, die zwar
Solar auf Dächer bringt, aber keine Großanlagen aus eigener Kraft stemmen
kann.
Bürgerbeteiligung ist etwas, das alle Beteiligten fordern oder fördern
möchten – so wie die erneuerbaren Energien im Prinzip auch. Bürgermeister
Jörg Funda spricht von „gemeinsamer Gestaltung“. Der Nabu empfiehlt einen
Bürgerrat. Die Bürgerinitiative möchte schließlich gehört werden und den
Aufstellungsbeschluss verhindern. Hubertus Scammell sagt: „Es müsste
öffentliches Interesse geweckt werden, dass dies ein schützenswertes Gebiet
ist.“
Jörg Funda winkt ab: “Dazu habe ich andere Erkenntnisse.“ Die
Naturschutzbehörde habe das Thema nicht auf der Tagesordnung. Die
Investoren beteuern, alle Einwände und Vorgaben zu respektieren. Die
Grünen-Politikerin Annett Jagiela aus Görlitz sagt: „Das Wort
Bürgerbeteiligung ist schwierig. Die Amtsträger*innen in der Region
können sich darunter nicht so viel vorstellen. Es bedeutet eben nicht nur
Information, sondern Einbeziehung.“
Jagiela, 44, die in Görlitz als Direktkandidatin für den Bundestag antritt,
empfiehlt: Tempo rausnehmen. „Ich frage mich, wo kommt der Druck für die
Gemeinde her?“ Jagiela hat sich über die Mulkwitzer Hochkippen führen
lassen und war vom Artenreichtum beeindruckt. „Die Natur ist einer der
Standortfaktoren der Region“, sagt sie, „das muss man anerkennen. Der
Naturschutz ist heute Teil des Strukturwandels.“ Deswegen hält sie nicht
viel von einer „Pendeldiplomatie“, nach alter Schule von einem Akteur zum
nächsten zu laufen und zu versuchen, alle Positionen unter einen Hut zu
bekommen. „Man sollte von Anfang an alle an einen Tisch setzen. Sich als
Gruppe verstehen, als Partner und nicht als Störfaktoren wahrnehmen.“
Wann die Solarparks das nächste Mal auf die Tagesordnung des Gemeinderats
in Schleife kommen, ist unklar, vielleicht schon im Juli. Noch stammt in
Sachsen nur ein Viertel des Stroms aus erneuerbaren Energien. Das
sächsische Umweltministerium, in Händen der Grünen, hat soeben ein
Energie-Klima-Programm verabschiedet, das die regionalen Planungsverbände
verstärkt für Solar- und Windenergie in die Pflicht nehmen will. Es wird
die bereits in anderen Bundesländern gültige Regelung übernehmen, dass
Fotovoltaik-Anlagen auf landwirtschaftlichen Flächen „in benachteiligten
Gebieten“ gefördert werden. Die Oberlausitz hat viele solcher
benachteiligter Gebiete. In Zukunft könnten hier Solarparks aus dem Boden
sprießen. Solarzellen wären dann fast überall erlaubt außer in unter Schutz
stehenden Gebieten.
Die Mulkwitzer Hochkippen sind kein Naturschutzgebiet. Aber ein Gebiet, das
schützenswert wäre.
8 Jun 2021
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[1] /Siedlung-soll-der-Braunkohle-weichen/!5641126
[2] http://www.hochkippen.de
[3] https://www.schleife-slepo.de/seite/515184/solarparks-hochkippen-rohne-und-…
[4] https://nabu-wsw.jimdofree.com
[5] https://www.bne-online.de/de/news/detail/bne-unterstuetzt-appell-unternehme…
## AUTOREN
Sabine Seifert
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