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# taz.de -- Rechte Chats bei Polizei Frankfurt: „Neue Dimension“ im SEK-Ska…
> Hessens Innenminister räumt ein, dass mehr Polizisten in der rechten
> Chatgruppe waren als angenommen. Die Opposition ist empört, die Grünen
> schweigen.
Bild: Unter Verdacht: Peter Beuth und Polizisten des SEK Frankfurt 2017
Wiesbaden taz | Zu der rechten Chatgruppe von hessischen Polizisten,
[1][die Anfang Juni aufgeflogen ist], hatten weit mehr Beamte Zugang als
bisher bekannt. Das räumte der Landesinnenminister Peter Beuth, CDU, vor
dem Innenausschuss des Hessischen Landtags ein. In der Gruppe wurden
neonazistische, rassistische und volksverhetzende Posts geteilt.
Neben den 20 aktiven und ehemaligen Angehörigen des Frankfurter
SEK-Kommandos, gegen die Ermittlungen aufgenommen wurden, gehörten
mindestens 29 weitere hessische Polizeibeamte zu dieser Chatgruppe. Gegen
neun von ihnen laufen inzwischen Disziplinarverfahren, ihre Beiträge seien
allerdings nicht strafbar, berichtete der Minister. Schon vor zwei Jahren
war zufällig eine Chatgruppe mit rechtsextremen Nachrichten im
Polizeipräsidium Frankfurt aufgeflogen.
Im Frankfurter SEK-Kommando habe die „Führungs- und Fehlerkultur
vollständig versagt“, bekannte Beuth am Mittwoch und begründete so die von
ihm verfügte [2][Auflösung der Einheit]; zum Wochenbeginn habe er die
Beamten zur Bereitschaftspolizei in Mainz-Kastel versetzt. Ein Neuanfang
sei unabdingbar.
Laut Beuth erfuhr sein Haus am 25. April dieses Jahres erstmals vom
Innenministerium Rheinland-Pfalz, dass gegen ein ehemaliges Mitglied des
SEK Frankfurt wegen volksverhetzender und rechtsextremer Chats ermittelt
werde. Der 38-jährige in Rheinland-Pfalz wohnhafte Mann war wegen des
Besitzes und der Verbreitung kinderpornografischen Materials ins Fadenkreuz
der Polizei geraten. Bei der Auswertung seiner Datenträger und Handys
stießen die Mainzer Ermittler auf die Chatgruppe und schlugen Alarm.
## Eine „spezielle Atmosphäre“
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft erwirkte nach verdeckten Ermittlungen am
3. Juni Durchsuchungsbefehle. Gegen 20 Mitglieder des SEK bejahte sie einen
Anfangsverdacht. Darunter sind laut Beuth drei Vorgesetzte, denen
Strafvereitlung im Amt vorgeworfen wird. Einer der Beschuldigten war 2018
vom SEK in die Polizeiakademie versetzt worden. Dort durfte er angehende
Polizeibeamte ausbilden.
Nur auf hartnäckiges Nachfragen bekamen die Abgeordneten am Mittwoch im
Innenausschuss einen Eindruck vom „falsch verstandenen Corpsgeist“ der
aufgelösten SEK-Truppe. So erläuterte der von Beuth eingesetzte neue Chef
der SEK-Beamten, der Wiesbadener Polizeipräsident Stefan Müller, weshalb
die Einheit aus Frankfurt nach Mainz-Kastel umziehen muss. Die Diensträume
im Frankfurter Polizeipräsidium hätten sich bei einer Inspektion als für
einen Neustart „ungeeignet“ erweisen, sagte er. Er habe dort eine
„spezielle Atmosphäre“ ausgemacht.
Als Beispiel nannte er das überlebensgroße Foto eines im Einsatz zu Tode
gekommenen Kollegen am Ende eines Flures und sprach von einer „falschen
Trauerkultur“. Die Wände seien mit Fotos posierender SEK-Beamter bedeckt
gewesen, dazu überall Trophäen und Pokale.
Aufgefallen seien ihm Bilder und Poster aus dem umstrittenen Actionfilm
„300“, der den Kampf der Spartaner gegen die Perser verherrlicht. Dass
dabei auch Symbole der Identitären Bewegung zur Schau gestellt worden sein
könnten, wollte Müller nicht ausschließen. Die Wände müssten „neu
gestrichen“ werden, bilanzierte der neue Chef.
## 13 der Beschuldigten in Hanau im Einsatz
Und auch der bisherige Chef, der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard
Bereswill, mochte nicht widersprechen. Er habe sich am vergangenen Sonntag
selbst einen Eindruck verschafft, sagte er und sprach von einer roten Linie
der Selbstbeweihräucherung, die dort überschritten worden sei.
Beuth bestätigte am Mittwoch auch Berichte, dass 13 der jetzt beschuldigten
SEK-Mitglieder nach dem rassistisch motivierten Mordanschlag in Hanau im
Einsatz gewesen seien. Der Einsatz steht in der Kritik, weil das SEK das
Wohnhaus des Attentäters erst Stunden nach den Morden gestürmt hatte.
Die Chataktivitäten der jetzt aufgeflogenen Gruppe waren Anfang 2019 zum
Erliegen gekommen, wohl wegen der Ermittlungen im Zusammenhang mit den
[3][„NSU 2.0“-Drohschreiben]. Gleichwohl sind die Inhalte der Chats, die im
Mainzer Ermittlungsverfahren dokumentiert wurden, offenbar schwerwiegend
und nicht verjährt. Jetzt werden die Anfang Juni sichergestellten
Datenträger ausgewertet. Dass sich dabei neue Ansatzpunkte ergeben könnten,
wollten Minister und Staatsanwaltschaft nicht ausschließen. Bislang gebe es
lediglich einen Zwischenstand.
Von einer „neuen Dimension“ des Skandals sprach am Ende der Sitzung des
Innenausschusses die SPD-Landesvorsitzende Nancy Faeser.
Linken-Fraktionschefin Janine Wissler sagte, sie sei fassungslos.
Deutliche Kritik kam auch vom Ausschussmitglied Jörg-Uwe Hahn, FDP. Der
frühere hessische Justizminister fragte den seit 2014 regierenden
Innenminister Beuth: „Was soll denn noch passieren?“ Immer wieder müsse der
Minister über Skandale berichten, kündige Neustarts und konsequente
Maßnahmen an. „Es passiert nichts!“, sagte Hahn; er fordere keinen
Rücktritt, aber Beuth müsse sich doch langsam die Frage nach seiner eigenen
Verantwortung stellen. „Ich bin müde!“ Von Beuths aktuellem
Koalitionspartner, den Abgeordneten der Grünen, gab es dagegen keine
einzige kritische Nachfrage.
16 Jun 2021
## LINKS
[1] /Wegen-rechtsextremer-Chats/!5778140
[2] /Nach-Nazi-Chats-bei-Spezialeinheit/!5778281
[3] /Festnahme-im-NSU-20-Fall/!5770359
## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Rechtsextremismus
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Peter Beuth
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Janine Wissler
Polizei Hessen
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