# taz.de -- Schwarzer in Gewahrsam schwer verletzt: Ermittlungen gegen Polizist… | |
> Einem Schwarzen wird in der Polizeiwache Potsdam ein Fingerglied | |
> abgeklemmt und später amputiert. Die Ermittlungen wurden eingestellt. | |
Bild: Fingerkuppe verloren – der verantwortliche Polizist kommt fast straffre… | |
BERLIN taz | Es war eine folgenschwere Nacht. Am 27. Oktober 2019 wurde | |
Patrick Yuma (Name geändert) in Potsdam nach einem Wortgefecht mit einer | |
Jugendgruppe festgenommen. Auf der Polizeiinspektion wurde der damals | |
18-jährige Schwarze rabiat eingesperrt, sein rechter Mittelfinger [1][in | |
der Zellentür eingequetscht.] Trotz Hilferufen und Blutungen ließen die | |
Beamten den gebürtigen Kenianer Yuma über Stunden allein – am nächsten | |
Morgen musste seine Fingerkuppe amputiert werden. | |
Anderthalb Jahre wurde deshalb gegen einen Polizisten wegen des Verdachts | |
der Körperverletzung ermittelt. Yuma hatte den Fall über die taz öffentlich | |
gemacht. Nun bestätigte die Staatsanwaltschaft Potsdam der taz, dass das | |
Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt wurde. Der Beamte habe einen | |
niedrigen vierstelligen Betrag an eine gemeinnützige Organisation gezahlt. | |
Genauer wollte sie sich nicht äußern. | |
Eine vorsätzliche Tat habe sich in den Ermittlungen nicht bestätigt, teilte | |
ein Sprecher der Staatsanwaltschaft mit. Nach allen Zeugenaussagen und | |
einem rechtsmedizinischen Gutachten sei das festgestellte Verletzungsbild | |
„nicht in jeder Hinsicht mit den Angaben des Tatopfers zum Tathergang zu | |
vereinbaren“. | |
Auch sei der Betroffene damals „sehr aufgebracht“ gewesen, habe „den | |
polizeilichen Anweisungen nicht vollumfänglich Folge geleistet“ und eine | |
„atypische Bewegung“ ausgeführt, die mit zur Verletzung geführt habe. | |
Deshalb bleibe gegen den Polizisten nur ein „Fahrlässigkeitsvorwurf“, für | |
den eine Geldauflage angemessen sei. Das Amtsgericht Potsdam habe dem | |
„vollumfänglich“ zugestimmt. | |
## Nicht mehr als Schmerzensgeld | |
Patrick Yuma reagierte empört auf die Einstellung. „Er ist absolut | |
fassungslos und verzweifelt“, sagte sein Opferberater Julian Muckel vom | |
Verein Opferperspektive. „Er hatte sehr gehofft, dass dieser Fall vor | |
Gericht landet und keiner anderen Person so etwas passiert wie ihm.“ | |
Angesichts der Verletzung, die Yuma ein Leben lang verfolgen werde, sei die | |
Einstellung nicht nachvollziehbar. „Ob die Staatsanwaltschaft hier objektiv | |
gehandelt hat, bezweifele ich stark.“ | |
Yuma hatte geschildert, dass er in der damaligen Nacht von einer Gruppe | |
Jugendlicher beleidigt worden sei. Nach einem Wortwechsel sei die Polizei | |
gekommen und habe ihn als Einzigen mit auf die Wache genommen, weil er | |
einen Joint und Pfefferspray und keine Papiere dabei hatte. Dort hieß es, | |
er müsse über Nacht bleiben, um Straftaten von ihm zu verhindern – wogegen | |
er protestiert habe, nachdem er bis dahin allem Folge geleistet habe. | |
Die „atypische Bewegung“ war nach seiner Auskunft ein Festhalten am Rahmen | |
der Zellentür, nachdem er beim Hineinstoßen gestolpert war. Nach der | |
Verletzung habe er laut um Hilfe gerufen, sei aber erst am nächsten Morgen | |
ins Krankenhaus gefahren worden – wo die Fingerkuppe nicht mehr gerettet | |
werden konnte. Yuma glaubt, dass die Beamten ihn auch wegen seiner | |
Hautfarbe so behandelt haben. | |
Auch sein Anwalt Falko Drescher hält die Darstellung der | |
Staatsanwaltschaft zur Tatnacht für „sehr gewagt“. „Es werden ausgerechn… | |
die Schutzbehauptungen der beschuldigten Polizeibeamten übernommen.“ | |
Drescher und Muckel halten mindestens die unterlassene Hilfe nach der | |
Verletzung für vorsätzlich. „Warum es keine Hilfe gab, ist völlig | |
ungeklärt“, kritisiert Muckel. Die Staatsanwaltschaft erklärte hierzu nur | |
pauschal, dass sich in diesem Punkt „ein hinreichender Tatverdacht“ gegen | |
die PolizistInnen „nicht begründen“ ließ. | |
Das Land Brandenburg stimmt aber zumindest einem Schmerzensgeld für Yuma | |
zu. Der 19-Jährige hatte 10.000 Euro für seine Verletzung gefordert. „Die | |
Polizei hat den Anspruch auf Schmerzensgeld dem Grunde nach bestätigt“, | |
erklärte das Brandenburger Polizeipräsidium. Die Höhe werde aber noch | |
geprüft. Der Ausgang des Disziplinarverfahrens gegen den Beamten sei noch | |
offen. | |
Yumas Anwalt Drescher spricht beim Schmerzensgeld von „einem kleinen | |
Erfolg“, auch was die Geldauflage für den Beamten betrifft. Zumeist werde | |
[2][Polizeigewalt] ja „komplett abgetan“. Dennoch: „Man stelle sich vor, … | |
wäre anders herum gelaufen und dem Beamten würde jetzt ein Stück des | |
Fingers fehlen. Dafür hätte es ziemlich sicher eine Freiheitsstrafe | |
gegeben.“ | |
Für Patrick Yuma bleibe Enttäuschung, sagt dessen Opferberater Muckel. „Bis | |
heute zuckt er zusammen, wenn er Sirenen hört. Die Verfahrenseinstellung | |
macht die Verarbeitung der Nacht jetzt nochmal um einiges schwerer. Er ist | |
in seinem Glauben an den Rechtsstaat durchaus desillusioniert.“ | |
18 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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