Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jeff Kwasi Klein über Cop Culture: „Die Hemmschwelle scheint nie…
> „Schwarze Lebensrealitäten und die Berliner Polizei“ heißt der neue
> Bericht des Berliner Vereins EOTO. Jeff Kwasi Klein hat daran
> mitgearbeitet.
Bild: Kundgebung auf dem Alexanderplatz aus Anlass des gewaltsamen Todes von Ge…
taz: Herr Klein, Ihr Verein EOTO hat gerade einen Bericht vorgelegt über
„Schwarze Lebensrealitäten und die Berliner Polizei“. Was sind Ihre
Erkenntnisse?
Jeff Kwasi Klein: Die Lebensrealität in Bezug auf die Polizei sieht für
Schwarze Menschen so aus, dass sie häufig einem sehr starken Kontrolldruck
unterstehen – durch die Polizei, aber auch durch andere
Sicherheitsorganisationen, etwa Securityunternehmen im öffentlichen
Personenverkehr oder Geflüchtetenunterkünften. Bei der Polizei zeigt sich
der Kontrolldruck zum einen durch Racial Profiling, das vor allem an
„kriminalitätsbelasten Orten“ (kbO) stattfindet, zum anderen im
alltäglichen Aufeinandertreffen. Hier sind es oft diskriminierende
Situationen, während derer unnötig – oft auch körperlich – gewaltvoll
eskaliert wird.
Wie das?
Wir erleben es zum Beispiel häufiger, dass Schwarze Menschen in
rassistische Polizeikontrollen geraten, plötzlich festgenommen und dann
besonders brutal angegangen werden, obwohl sie sich nicht gegen die
Festnahme wehren. Gerade bei Schwarzen Männern und trans Frauen scheint
häufig die Hemmschwelle bei der Polizei niedriger zu liegen, was in
Beleidigungen, Erniedrigungen und teilweise extremen Gewaltanwendungen
mündet. In solchen Fällen kann es vorkommen, dass unverhältnismäßig viele
Polizist_innen Betroffene zu Boden drücken, auf Köpfen und Rücken knien und
zuschlagen.
Ihr Bericht geht auch auf die Demonstration vor einem Jahr zum Tod von
George Floyd am Alexanderplatz ein. Wie bewerten Sie die Ereignisse im
Rückblick?
Wir haben dazu Berichte, auch aus der taz, Meldungen anderer
Antidiskriminierungsstellen sowie Videos ausgewertet. Auffällig war in der
Tat, dass vor allem Schwarze Jugendliche von der Polizei unverhältnismäßig
gewaltsam angegangen wurden. Das ging so weit, dass Beamte nach
Jugendlichen geschlagen haben, weil sie sich nach Aussage eines Sprechers
der Berliner Polizeigewerkschaft von den Schildern provoziert gefühlt
haben. Dabei entstanden lebensbedrohliche Situationen, die gesundheitliche
und traumatische Folgen für die Betroffenen hatten: Menschen wurden auf dem
Boden fixiert, sodass sie keine Luft bekamen. Auf ihre Beschwerden wurde
ihnen gesagt, dass sie Ruhe geben sollten. Es fielen Aussagen wie „Ich
kriege keine Luft“ – die direkte Parallele zu Fällen von rassistischer
Polizeigewalt in den USA, wie bei Eric Garner oder George Floyd.
Hören Sie in der Beratung von EOTO öfter solche Berichte von schwerer
körperlicher Gewalt durch die Polizei?
Ja, solche gewaltvollen Einsätze sind keine Seltenheit. Und ich muss noch
mal betonen: Das passiert oft im Rahmen von Racial Profiling, also ohne
Verdacht. Es ist oft zunächst nichts vorgefallen, dennoch wird so eine
harte Gangart von der Polizei gewählt.
Raten Sie den Menschen in solchen Fällen zur Anzeige?
Natürlich reden wir in der Beratung über diese Option. Allerdings ist bei
vielen eine berechtigte Zurückhaltung vorhanden. Einmal ist das mit hohen
Hürden, etwa Anwaltskosten, verbunden. Zum anderen gibt es viele
Erfahrungen, die innerhalb der Communitys weitererzählt werden, dass solche
Anzeigen nichts bringen oder sogar die geschädigte Schwarze Person selbst
auf die Anklagebank kommt. Das beobachten wir oft: dass Polizist_innen,
die angezeigt werden, eine Gegenanzeige stellen. Vor Gericht ist es meist
so, dass den Menschen nicht geglaubt wird, wenn sie sagen, dass sie
diskriminiert wurden – man glaubt eher den Polizist_innen, deren Aussagen
als neutral oder objektiv gewertet werden, selbst wenn sie Konfliktpartei
sind.
Wie oft kommen solche Fälle vor Gericht?
Zahlen kann ich nicht nennen, aber sehr selten. Noch viel seltener kommt es
zu einem Urteil im Sinne der Betroffenen.
Seit einem Jahr gibt es das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), das
Menschen, die von Behörden diskriminiert werden, mehr Möglichkeiten gibt,
sich zu wehren. Hat das etwas gebracht?
Es hat auf jeden Fall etwas gebracht in dem Sinne, dass es Menschen eine
Handlungsoption bringt. Wie wirksam das LADG aber wirklich ist, wird sich
erst nach einigen Jahren zeigen. Wie beim Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz wird es dauern, bis Leute Vertrauen bekommen, dass
solche Prozesse auch laufen. Und es bedarf noch viel mehr Aufklärung von
Anwält_innen und Richter_innen, damit sie das LADG anwenden und danach
urteilen.
Gab es in Ihrer Beratung schon Fälle, die LADG-relevant waren – und was
haben Sie dann getan?
Es gab schon Fälle, die LADG-relevant waren. Sie wurden aber nicht zur
Anzeige gebracht, sodass sie gerichtlich nicht weiterverfolgt wurden. Wir
von EOTO würden auch mit einem Fall zur Ombudsstelle gehen. Die
Ombudsstelle wurde beim Senat für das LADG eingerichtet, sie soll
informieren und versuchen, Lösungen zu finden. Wenn sie bei der
diskriminierenden Behörde nichts erreichen kann, können
Antidiskriminierungsverbände auch stellvertretend für den oder die
Betroffene klagen. Das Gesetz räumt ja diese Möglichkeit der Verbandsklage
ein. Allerdings gibt es hier noch die Hürde der Prozesskosten – es ist eine
offene Frage, wie Verbände diese stemmen sollen. Darum fordern wir auch
einen Prozesskostenfonds für Verbandsklagen, um die Wirksamkeit des LADG zu
erhöhen.
Aber bisher haben Sie noch niemanden gefunden, der oder die überhaupt
bereit war, zur Ombudsstelle zu gehen oder zur Not eine Klage zu wagen?
Bei unserer Antidiskriminierungsstelle bisher nicht.
Das klingt nicht so, als hätten die Menschen Vertrauen in die
rechtsstaatlichen Institutionen – trotz des neuen Gesetzes.
Nein, das Misstrauen ist ja über Jahrzehnte gewachsen. Hinzu kommt, dass
viele Menschen, die rechtliche Schritte erwägen würden, sich dieser
Möglichkeiten gar nicht bewusst sind – da muss noch viel Aufklärungsarbeit
geschehen, gerade bei Menschen, die aufgrund von struktureller
Marginalisierung keinen Zugang zu solchen Informationen haben.
Zurück zu Ihrer Studie: Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben uns die Fälle von Diskriminierung durch die Polizei angesehen,
die uns von Mai 2018 bis Mai 2020 – also bis zum Inkrafttreten des LADG –
gemeldet wurden. Das waren 50 Fälle, aus denen wir uns Beispiele
herausgesucht haben, um die unterschiedlichen Ebenen von Diskriminierung –
Racial Profiling, Corpsgeist und Cop Culture, Unverhältnismäßigkeit,
Täter-Opfer-Umkehr, Gewalt – aufzuarbeiten. Im zweiten Teil gehen wir
spezifisch auf Intersektionalität ein und schauen uns an, wie die
unterschiedlichen Merkmale wie Race, Class, Gender, Fluchterfahrung
zusammenwirken.
Als Beispiel für intersektionale Diskriminierung berichten Sie von einer
wohnungslosen Frau, die am Kotti kontrolliert wird. Wofür steht die
Geschichte?
An dem Beispiel werden Erfahrungen deutlich, die Schwarze Menschen immer
wieder machen: In der Verschränkung verschiedener Diskriminierungen werden
die spezifischen Wirkungen der Diskriminierungen unsichtbar gemacht. Die
Erfahrung, dass eine Person kontrolliert wird, ohne dass es einen konkreten
Verdacht gibt – das kann am Kotti als kriminalitätsbelasteter Ort jedem
Schwarzen Menschen schnell passieren. Die Beschwerde darüber wird dann mit
Bezug auf die Obdach- oder Wohnungslosigkeit zum Ausdruck einer psychischen
Erkrankung erklärt..
Und dann?
Ein Krankenwagen wird geholt, um sie in eine psychiatrische Anstalt zu
bringen. Das ist eine Form von Psychologisierung, die vor allem Schwarze
Frauen und Schwarze wohnungslose Frauen oder prekär lebende Frauen öfter
erleben. Von daher zeigt sich an dem Beispiel sehr gut die Intersektion
zwischen den Diskriminierungsmerkmalen race (Rassismus), class (Klasse) und
gender (Geschlecht).
Sie meinen, ein weißer obdachloser Mann wäre am selben Ort nicht so schnell
kontrolliert worden?
Das Phänomen des Racial Profiling beschreibt ja, dass Schwarze Menschen
oder People of Colour (PoC) häufig aufgrund von rassistischen Vorurteilen
oder Vorgaben der Polizei kontrolliert werden. Das soll nicht heißen, dass
weiße obdachlose Männer am Kotti nicht kontrolliert würden. Aber wir wollen
in dem Bericht zeigen, dass es oft mehrere miteinander verwobene
Diskriminierungsdynamiken sind, die auf Schwarze Personen einwirken.
Sie stellen in Ihrem Bericht auch fest, dass es ein Vorurteil sei, dass
institutionalisierter Rassismus abgebaut werden könnte durch mehr
Mitarbeiter*innen of Colour. Warum?
Weil es die Institution selbst ist, die Rassismus reproduziert – auch
unabhängig von den Einstellungen der Mitarbeiter_innen oder ob sie of
Colour sind. Es gibt zum Beispiel eine gewisse „Cop Culture“, mit der
Erwartungen an alle Kolleg_innen verbunden sind. Das kann zum Teil dazu
führen, dass sich gerade Polizist_innen of Colour mit besonderer Strenge
gegenüber Schwarzen und PoC verhalten – um den Erwartungen der Institution
gerecht zu werden.
Was sind denn Ihre wichtigsten Forderungen, um gegen den strukturellen
Rassismus bei der Berliner Polizei anzugehen?
Als sehr wichtig erscheint mir, dass die Grundlage für Racial Profiling
abgeschafft wird – also die „kriminalitätsbelasteten Orte“ – und darü…
hinaus auch verdachtsunabhängige Kontrollen.
9 Jun 2021
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Polizeigewalt
Black Lives Matter
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Franziska Giffey
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
LADG
Schwerpunkt Rassismus
Polizei Berlin
Schwerpunkt Rassismus
Racial Profiling
## ARTIKEL ZUM THEMA
Früherer Polizeichef über Fehlerkultur: „Racial Profiling darf es nicht geb…
Lutz Müller wollte als Polizeichef Diversität, Transparenz und eine
Fehlerkultur etablieren. Ein Gespräch über seine Amtszeit, Polarisierung
und Korpsgeist.
Berlin Alexanderplatz: Wahlkampf auf Kosten der Polizei
Innensenator Andreas Geisel besucht die Polizeiwache auf dem
Alexanderplatz. Mit dabei: Die Spitzenkandidatin der SPD und die Presse.
Ein Jahr LADG: „Wichtige Errungenschaft“
Das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) trat vor einem Jahr in Kraft.
Verbände ziehen positive Bilanz und loben die Arbeit der Ombudsstelle.
Schwarzer in Gewahrsam schwer verletzt: Ermittlungen gegen Polizist beendet
Einem Schwarzen wird in der Polizeiwache Potsdam ein Fingerglied abgeklemmt
und später amputiert. Die Ermittlungen wurden eingestellt.
Verfahren gegen Polizisten eingestellt: Szenetypische Hautfarbe?
Der Hamburger Altenpfleger John H. wurde 2020 von Polizisten überfallen,
die ihn für einen Dealer hielten. Nun gehen sie straffrei aus.
Ein Jahr LADG Berlin: Der Tiger braucht noch Zähne
Vor einem Jahr hat sich Berlin ein Gesetz gegen Diskriminierung durch
Behörden gegeben. Die Bilanz zeigt: Es gibt noch viel zu tun.
Berliner Antidiskriminierungsgesetz: Das rassistische Muster
Bilanz nach einem Jahr Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG): Viele
Beschwerden betreffen die Polizei – doch die sieht oft kein Problem.
Rechtsextremismus Polizei Berlin: „Es geht um Selbstreflexion“
Svea Knöpnadel ist Extremismusbeauftragte der Polizei Berlin. Ein Gespräch
über Korpsgeist, Racial-Profiling-Studien und Prävention.
Gewalt bei der Polizei: 181 Tote in Gewahrsam
Offizielle Zahlen zu Todesfällen in Gewahrsam gibt es bisher nicht. Die
Kampagne Death in Custody hat die Fälle nun erstmals zusammengetragen.
Aktiv gegen Rassismus: Nein zu Polizeigewalt und Profiling
Seit Jahrzehnten setzt sich Biplab Basu gegen Rassismus ein. Am Samstag
wird er bei einer Demo im Görlitzer Park zur Gruppenverdächtigung sprechen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.