Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rechtsextremismus Polizei Berlin: „Es geht um Selbstreflexion“
> Svea Knöpnadel ist Extremismusbeauftragte der Polizei Berlin. Ein
> Gespräch über Korpsgeist, Racial-Profiling-Studien und Prävention.
Bild: Svea Knöpnadel seit Oktober 2020 Extremismusbeauftragte der Berliner Pol…
taz: Frau Knöpnadel, wie erleben Sie die Berichte über Rechtsextremismus
bei der Polizei, die seit dem vergangenen Jahr bundesweit zugenommen haben?
Svea Knöpnadel: Wir hatten in der Berliner Polizei auch Vorfälle mit
mangelnder Verfassungstreue. Das ist ein Problem für uns alle, ganz klar.
Unsere Präsidentin hat dazu deutlich Stellung bezogen. Sowohl nach außen
als auch nach innen hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden.
Früher wurde mehr unter den Teppich gekehrt?
Nein, aber die Strafen waren milder. Da hat inzwischen wirklich ein Wechsel
stattgefunden, dahin gehend, dass wir viel öfter eine Entfernung
beziehungsweise Entlassung aus dem Dienst anstreben. Jemand, der nicht mehr
auf den Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht, hat bei
uns in der Behörde nichts verloren. Ich bin mir sicher, dass die
Rechtsprechung da mitziehen wird, über eine Entlassung entscheidet ja immer
das Verwaltungsgericht. Das ist auch ein gesellschaftlicher Prozess.
Aktuell sind gegen Angehörige der Berliner Polizei 24 Strafverfahren und 54
Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit Rechtsextremismus anhängig. Warum
sind die Zahlen nicht deckungsgleich?
Die Sachverhalte sind zum großen Teil deckungsgleich, aber es gibt
Dienstpflichtverletzungen, die nicht in ein Strafverfahren münden. Das kann
zum Beispiel das Tragen von Patches betreffen. Wir haben eine interne
Richtlinie, dass man seine Uniform nicht verändern darf.
Was halten Sie von der These, die aufgedeckten Vorfälle seien Ausdruck
eines strukturellen Problems?
Ich habe das einmal in einer Diskussion miterleben dürfen, da habe sich
Wissenschaftler über diesen Begriff gestritten. Der eine meinte, das sei
strukturell bedingt, der andere, es sei institutionell, ein dritter, es sei
systemisch. Ich lasse mich auf diese Debatte ungern ein, weil die Begriffe
nicht bestimmt sind. Außerdem setzt meine Arbeit deutlich früher an,
deshalb hat das für mich auch nicht die Auswirkung.
Wo sehen Sie Ihren Schwerpunkt?
Ganz eindeutig beim Thema Prävention. Bei Vorfällen, die bereits im Stadium
von Straf- und Disziplinarverfahren sind, kann das Landeskriminalamt nur
noch konsequent ermitteln. Mir ist wichtig, niedrigschwellig anzusetzen,
dort, wo wir noch etwas verändern können.
Sie haben mal gesagt, dass Sie bereits intervenieren, wenn eine neue
Kollegin „Püppi“ genannt wird oder Kollegen „klein gemacht“ werden.
Ja, das geht in diese Richtung. Ich mache keinen Unterschied, ob etwas
gegen Frauen gerichtet ist oder gegen Homosexuelle oder gegen eine
bestimmte Ethnie. Wir wollen keine Sprachpolizei sein, es geht uns um die
Reflexion des eigenen Handelns. Dass man selbst überprüft, warum man sich
fragwürdig verhält.
Sie sind seit Oktober im Amt. Wie viele Hinweise aus der Kollegenschaft
haben Sie seither bekommen?
Hinweise auf konkrete Sachverhalte gab es im mittleren einstelligen
Bereich. Das läuft langsam an. Ich glaube, das hängt auch ein bisschen mit
der mangelnden Bekanntheit meiner Rolle zusammen. Da hat uns Corona leider
auch aufgehalten.
Können Sie Beispiele nennen?
Nein, das mache ich grundsätzlich nicht. Es waren Kolleginnen und Kollegen,
die sich über einen Sachverhalt, den sie nicht in Ordnung fanden, geärgert
haben. Ich leite das dann zur strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen
Prüfung weiter. In einem Fall wird jetzt auch weiterermittelt. Wir hatten
aber auch einen Fall, wo ich den Rücklauf geben konnte, der Sachverhalt ist
weder strafrechtlich noch disziplinarrechtlich relevant. Man kann der
betroffenen Person dann aber verdeutlichen, dass ihr Verhalten
missverstanden werden kann.
Die Aufklärung von Straftaten innerhalb der Polizei scheitert oft am
Korpsgeist. Im Zweifelsfall wurde nichts gesehen oder nichts gehört. Wie
erleben Sie das?
In jeder Polizei wird eng zusammengearbeitet. Das ist nun mal Fakt. Man
geht mit seinem Streifenpartner oder seiner Streifenpartnerin in
schwierige, gefährliche Situationen. Da muss man sich aufeinander verlassen
können. Bei langen, anstrengenden Einsätzen sieht man die Teamkollegen
möglicherweise öfter als die eigene Familie. Die andere Seite der Medaille
ist, dass wir als Polizei alle unter dem Legalitätsprinzip stehen und
Straftaten anzuzeigen haben, wenn sie uns bekannt werden. Das ist ein ganz
schwieriges Spannungsfeld, das sich für meine Begriffe auch nicht völlig
auflösen lässt.
Klingt nach Kapitulationserklärung.
Nein. Wir haben ganz viele Beratungsangebote in der Behörde, die man auch
komplett vertraulich wahrnehmen kann. Ich habe gemerkt, dass diese Angebote
vielen Mitarbeitenden gar nicht gut bekannt sind. Klar ist aber auch: Es
wird nie leicht werden, wenn man einen Kollegen oder eine Kollegin anzeigen
muss. Wir stellen inzwischen aber eine höhere Bereitschaft bei den
Mitarbeitenden fest, Sachverhalte anzuzeigen.
Die Vorgesetzten innerhalb der Polizeibehörden sind Teil des Problems?
Wenn ich denke, mein Chef könnte Teil des Problems sein, kann ich mich an
den nächsthöheren Vorgesetzten wenden. Oder an den Psychosozialen Dienst
oder an die Beratungsstelle für Konfliktmanagement, die Schweigepflicht
hat.
Unterliegen Sie selbst auch der Schweigepflicht?
Nein, als Kriminalbeamtin unterstehe ich dem Legalitätsprinzip. Wenn ich
merke, dass mir jemand bei einem Anruf vertraulich von einer Straftat
erzählen will vermittle ich sofort an die Leitung der Stelle für
Konfliktmanagement.
Zu dem 11-Punkte-Plan, den Innensenator Geisel lettes Jahr gegen
Extremismus bei der Polizei angekündigt hat, gehört auch die Einführung
eines anonoymen Whistleblowersystems.
Da wird in der Behörde intensiv dran gearbeitet, es läuft eine rechtliche
Prüfung. Für den Themenbereich Korruption gibt es dieses anonyme
Hinweisgebersystem, AHS genannt, bereits seit Jahren. Es soll jetzt auf
alle Delikte ausgeweitet werden.
Was versprechen Sie sich für Ihren Bereich davon?
Ich sehe dabei Vor- und Nachteile. Das Instrument ist grundsätzlich gut
geeignet, mehr Sachverhalte ans Licht zu bringen. Allerdings bleibt die
Person, die den Hinweis gibt, völlig anonym. Eine Glaubwürdigkeitsprüfung
durchzuführen ist da schwierig. Es gibt ja nicht nur nette, ehrliche Leute,
die einen Hinweis geben.
Manche wollen anderen auch nur einen reinwürgen?
Je weniger Informationen man hat, desto schlechter lässt sich ein
Sachverhalt überprüfen. Ich finde es insgesamt günstiger, wenn man sich an
die bereits vorhandenen vertraulichen Stellen wendet, auch weil man die
Hinweisgebenden dann psychologisch unterstützen kann.
Auch über Rassismus und Racial Profling bei der Polizei wird heftig
diskutiert. Der Vorwurf ist, dass Menschen, die „anders“aussehen, gezielt
kontrolliert werde. Wie sehen Sie das?
Natürlich ist es ein Problem für uns, wenn uns das vorgeworfen wird. Damit
müssen wir uns befassen. Aber grundsätzlich finden Kontrollen statt, weil
man bei der Person ein bestimmtes Verhalten – zum Beispiel Drogenhandel –
beobachtet hat –, und nicht weil die Person eine bestimmte Hautfarbe hat.
Das ist mir wichtig zu betonen.
Dass Angehörige ethnischer Minderheiten überproportional von
Polizeikontrollen betroffen sind, ist durch diverse Studien belegt.
Ich kann keine Studien kommentieren, die ich nicht kenne. Die Frage ist
auch: Wie sind sie zustande gekommen? Sind das zum Beispiel nur
Betroffenenbefragungen? Aber ich kann natürlich nicht für alle 17.000
Vollzugskollegen und -kolleginnen, die draußen unterwegs sind, die Hand ins
Feuer legen. Es kann sein, dass da auch jemand ist, der diesen
Differenzierungsunterschied nicht mehr machen kann. Dass einer anfängt, zu
pauschalisieren. Aber das sollte man nicht verallgemeinern.
Vieles spricht dafür, dass die Polizei bundesweit ein riesiges
Racial-Profiling-Problem hat. Selbst dem Chef Ihrer Polizeipressestelle ist
das passiert. Als er in Zivil in einer bundesdeutschen Altstadt unterwegs
war, wurde er wegen seiner Hautfarbe von der örtlichen Polizei observiert.
Ich kenne die Aussage unseres Pressesprechers. Ich glaube ihm das. Aber das
kann doch für uns nur noch mehr Grund sein, uns immer wieder mit den
Kolleginnen und Kollegen hinzusetzen und sie zu sensibilisieren. Dass man
nicht einsatzblind sein darf. Auch wenn ich mit einer Gruppe von
Straftätern einer bestimmten Herkunft immer wieder dasselbe erlebe, muss
ich es kognitiv hinbekommen, dass das nicht repräsentativ ist für alle
anderen. Da müssen wir den Kolleginnen und Kollegen, die in so einer
Spirale gefangen sind, heraushelfen.
Wie soll das gehen?
Supervision ist ein sehr gutes Mittel, auch Fortbildungen sind es. Wir
haben zum Beispiel einen Workshop über die Rolle der Führungskraft geplant:
Für Führungskräfte der mittleren Ebene, die sehr dicht dran sind an den
Mitarbeitenden. Wegen Corona mussten wir den Termin leider schon dreimal
verschieben.
Was versprechen Sie sich denn davon?
Vorgesetzte haben eine unheimliche Vorbildfunktion. Wenn der Chef über
einen derben Witz mitlacht, weiß ich, was für ein Klima in der Dienstgruppe
herrscht. In so einer Rolle kann man aber auch sehr viel bewirken.
Könnten Sie das an einem Beispiel konkretisieren?
Angenommen, ein Kollege hat eine abwertende Bemerkung gemacht, die aber
noch nicht im Rahmen einer Beleidigung ist. Den kann ich mir beiseitenehmen
und ihm sagen: Das ist nicht in Ordnung. Warum tust du das? So kann ich
herausfinden: Verbirgt sich dahinter eine politische Haltung? Oder ist der
völlig frustriert von einem Einsatz und kann nicht mehr richtig
differenzieren? Wenn es Gedankenlosigkeit ist, kann ich mit einer
Sensibilisierung arbeiten. Auf jeden Fall aber sollten sich Vorgesetzte
dazu positionieren.
18 Mar 2021
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Polizei Berlin
Barbara Slowik
Andreas Geisel
IG
Polizei Berlin
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Rassismus
Polizei Bremen
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Andreas Geisel
Whistleblower
Polizei Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuer Polizeibeauftragter in der Hauptstadt: Das ist seine Chance
Seit dem 1. August hat Berlin mit Alexander Oerke erstmals einen
unabhängigen Polizeibeauftragten. Das notwendige Handwerkzeug hat er.
Jeff Kwasi Klein über Cop Culture: „Die Hemmschwelle scheint niedriger“
„Schwarze Lebensrealitäten und die Berliner Polizei“ heißt der neue Beric…
des Berliner Vereins EOTO. Jeff Kwasi Klein hat daran mitgearbeitet.
Rechtsextremismus bei der Polizei: Polizisten im Nazichat
In der Polizeidirektion Osnabrück laufen derzeit sechs dienstrechtliche
Ermittlungen wegen Verdachts auf rechtsextreme Gesinnung. Alles
Einzelfälle?
Polizei-Seminar an der Uni Hannover: Racial Profiling ausgespart
An der Leibniz Uni hält ein Soziologe und Polizist ein Seminar über
Polizei. Asta und Fachrat kritisieren mangelnde wissenschaftliche Distanz.
Antirassismus-Ausbildung bei der Polizei: Gefangen im Vorurteil
In Bremen soll die Polizei Antirassismus lernen. Einige der
Vernehmungsratgeber wirken aber wie Katalogbände für Nationalstereotype.
Thin-Blue-Line-Symbol bei Polizei Berlin: Polizist droht Strafe wegen Patch
Nach dem Tragen eines in rechten Kreisen verbreiteten Zeichens läuft ein
Disziplinarverfahren. Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art.
Rechtsextremismus in der Polizei: Zu fünft gegen Extremismus
Polizeipräsidentin präzisiert den Auftrag der Ermittlungsgruppe „Zentral“.
Die vom Innensenator angekündigte Studie zum Racial Profling kommt nicht.
Gesetzentwurf der Justizministerin: Schutz für WhistleblowerInnen
Wer auf Missstände in Unternehmen oder Behörden hinweist, soll bald vor
Repression geschützt sein. Unklar ist noch, ob die Union dabei mitzieht.
Maßnahmenpaket in Berlin: Extreme Polizisten erkennen
Mit einem 11-Punkte-Plan soll dem Extremismus innerhalb der Polizei
begegnet werden. Auch eine Studie zu Einstellungen von Polizisten ist
geplant.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.