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# taz.de -- Buch „Das Patriarchat der Dinge“: Diese Welt passt Frauen nicht
> Unsere Welt ist auf Männer ausgerichtet. Rebekka Endler macht in „Das
> Patriarchat der Dinge“ auf diesen Sexismus aufmerksam.
Bild: Crashtest bei Mercedes 1989: die Dummys sind – wie könnte es anders se…
Es ist davon auszugehen, dass diese Welt ungefähr zu gleichen Teilen von
Männern und Frauen bewohnt wird. Rein zahlenmäßig steht das Patriarchat
also eigentlich auf wackligen Füßen. Doch die Schuhe, in denen diese Füße
stecken, sind – um im Bild zu bleiben – ganz klar Herrenschuhe. Die Welt
ist für Männer gemacht. [1][Ungleichbehandlung erfahren Frauen nicht nur im
Alltag,] durch Gesetze oder Religion, auch den Gegenständen wohnt Sexismus
inne.
Die Journalistin Rebekka Endler hat mit „Das Patriarchat der Dinge“ nun ein
Buch über all diese vermeintlichen Kleinigkeiten geschrieben, die Frauen
einfach nicht passen: Von Uniformen über Pornografie bis zu lebenswichtigen
Medikamenten ist die Bandbreite ziemlich groß.
Warum sterben Frauen häufiger bei Autounfällen? Und nein, dass Frauen
schlechter fahren, ist nicht der Grund. Sicherheitsgurte, Kopfstützen,
Air-Bags – erprobt wurden all diese Lebensretter an Dummys. Genauer gesagt
an einem Dummy: „Sierra Sam“ testet schon seit den 60er Jahren die
Sicherheit in Pkws, ist 1,77 Meter groß und wiegt 75,5 Kilo.
Frauen sind durchschnittlich kleiner und unterscheiden sich auch anatomisch
deutlich von Männern. Allein das Verschieben des Sitzes, um die Pedale zu
erreichen, sei bei Crash-Simulationen nicht vorgesehen. Innere Blutungen
und Beinverletzungen ereignen sich in Unfällen so viel häufiger bei Frauen.
## Medikamente nicht an Frauen getestet
Wie gefährlich die am Mann genormte Welt für Frauen sein kann, zeigt Endler
auch anhand von Medikamenten. Bevor ein Arzneimittel auf den Markt kommt,
wird das Präparat an verschiedensten Versuchspersonen getestet, möchte man
meinen.
Dass Medikamente, die Frauen verschrieben werden, auch an Frauen getestet
werden müssen, ist jedoch erst seit 2004 in Deutschland vorgeschrieben.
Der zyklusbedingte schwankende Hormonhaushalt könne Studienergebnisse
verfälschen, lautete eins der Gegenargumente. Zudem fürchtete man seit dem
Contergan-Skandal vorgeblich um die Gesundheit von Neugeborenen, weswegen
man in den 70er Jahren gebärfähige Frauen lieber ganz von Versuchen
ausschloss. Dass infolge dessen mehr Frauen an Vergiftungen durch zu hoch
dosierte Medikamente starben, überrascht nicht.
Überhaupt war vieles, was vermeintlich dem Schutz von Frauen dienen sollte,
vorgeschoben. So galt Skispringen lange Zeit als zu gefährlich für Frauen.
Noch 2005 verkündete der Präsident des Internationalen Skiverbandes, Gian
Franco Kasper, dass Skispringen aus medizinischen Gründen für Frauen nicht
angemessen erscheint. Kasper ist übrigens immer noch im Amt.
## Wollust im Fahrradsattel
Manches mutet so abstrus an, dass man heute darüber lachen muss. So wollte
man Frauen vor 100 Jahren etwa das Radfahren verbieten. Der Sattel wäre
nämlich so beschaffen, dass er bei Frauen Hysterie auslöse. Die Folge:
Ichbezogenheit, Geltungsbedürfnis und Wollust. „All das natürlich, was Mann
bei seiner Frau nicht haben wollte.“ Endler ist es ernst, sie will in ihrem
Buch auch die kleinsten Ungerechtigkeiten dokumentieren.
Durch diesen kaum erfüllbaren Anspruch auf Vollständigkeit gerät jedoch
manches zu kurz. Auch bei den Ausführungen zur Büroatmosphäre verrennt sie
sich. Höhenverstellbare Tische und eine wärmere Zimmertemperatur machen das
Arbeiten für Frauen angenehmer, klar.
Dass es vor allem für Frauen jedoch eine wichtige Rolle spiele, „dass sie
sich mit den anderen gut verstehen und auch über Themen jenseits der Arbeit
ein Austausch stattfindet“, ist fraglich. Vielleicht geben Männer die Lust
am Kaffeeklatsch einfach seltener zu.
Trotzdem ist es gut und notwendig, dass Endler so viele Detailfragen
verhandelt. Immer wieder überrascht die Absurdität, mit der
Ungerechtigkeiten immer noch verteidigt werden. Erzählt man die lange
Geschichte der Diskriminierung anhand von Gegenständen, Forschung und
Didaktik, tun sich zudem sofort Parallelen zu anderen Benachteiligten auf:
So sind Krankheitssymptome beispielsweise bei weißen Patient:innen viel
besser erforscht.
## Parallelen zu anderen Benachteiligten
Das Kawasaki-Syndrom etwa, eine Gefäßentzündung, die vornehmlich bei
kleinen Kindern auftritt, macht sich auf weißer Haut durch ein rotes,
juckendes Ekzem bemerkbar. Bei dunklerer Haut kann diese Rötung wegfallen.
Da die Krankheit auch in Verbindung mit Covid-19 aufgetaucht ist, sind
diese Erkenntnisse aktuell besonders wichtig, zeigt Rebekka Endler auf.
Überhaupt ist „Das Patriarchat der Dinge“ zur richtigen Zeit erschienen.
Frauenrechtler:innen fürchten, dass Corona den Kampf um
Gleichberechtigung um Jahre zurückwirft. Frauen sind häufiger in Branchen
beschäftigt, die von Einschränkungen betroffen sind, [2][Haus- und
Care-Arbeit bleiben zudem eher an ihnen hängen.]
Nur in einer Fußnote erwähnt Endler ein Stipendium, das Künstler:innen
mit kleinen Kindern während der Pandemie unterstützen soll. Obwohl sich
mehr Frauen darauf bewarben, erhielten Männer das meiste Geld, schreibt
sei. Selbst dort, wo Care-Arbeit Teil der Bedingung ist, seien Männer
anscheinend förderungswürdiger als Frauen
5 May 2021
## LINKS
[1] /Nach-dem-MeToo-Fall-an-der-Volksbuehne/!5756699
[2] /Graphic-Novel-ueber-Aerzte-ohne-Grenzen/!5763560
## AUTOREN
Julia Hubernagel
## TAGS
Buch
Sachbuch
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Patriarchat
Gender
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