# taz.de -- Sparkurs der Öffentlich-Rechtlichen: Die Beton-Köpfe-Formel | |
> Die Öffentlich-Rechtlichen müssen mehr sparen denn je. Einige Sender | |
> gehen jetzt an die Gehälter. Andere, wie der MDR, wollen das unbedingt | |
> vermeiden. | |
Bild: Der Umbau des MDR-Standorts in Halle liegt auf Eis | |
Beton oder Köpfe, so drückt es jemand aus, der den Mitteldeutschen Rundfunk | |
schon lange kennt: Vor dieser Wahl habe die Intendantin, Karola Wille, in | |
der vergangenen Woche gestanden. Spart sie am Personal oder am Ausbau des | |
MDR? Karola Wille hat sich – möchte man in diesem Bild bleiben – | |
entschieden, die Köpfe zu schonen. Die Mitarbeiter*innen werden im | |
April ihre versprochene Gehaltssteigerung bekommen. So war es geplant, so | |
wird es gemacht – obwohl der MDR sparen muss, seit klar ist, dass der | |
Rundfunkbeitrag erst einmal nicht steigen wird. Das ist nicht bei allen | |
Sendern so. | |
Im Dezember hatte der [1][Landtag in Sachsen-Anhalt die Erhöhung des | |
Rundfunkbeitrags] um 86 Cent blockiert. Durch viele Sender geisterten für | |
diesen Fall bereits im Voraus Szenarien, in denen entsprechendes Notsparen | |
möglich sein könnte – am Programm, am Digitalausbau; kleinere Anstalten | |
könnten direkt vor dem Aus stehen. | |
Als erster Sender kam Mitte Januar das Deutschlandradio aus der Deckung und | |
kündigte an: Die nächste Gehaltserhöhung, die mit den Gewerkschaften | |
tarifvertraglich vereinbart war, wird gestrichen, ebenso die geplante | |
Honorarerhöhung für die Freien. Am Donnerstag zog der Norddeutsche Rundfunk | |
gleich und kündigte an, ebenfalls aus dem laufenden Tarifvertrag | |
auszusteigen. Grundlage ist eine Sonderklausel, die sich viele Sender bei | |
der letzten Tarifrunde Ende 2019 ausbedungen haben – für den Fall, dass der | |
Rundfunkbeitrag nicht wie geplant erhöht wird. Dass gewisse Länder da | |
blockieren könnten, schwante vielen nämlich schon damals. | |
Die Kündigungsoption haben alle öffentlich-rechtlichen Sender mit Ausnahme | |
des Westdeutschen Rundfunks und Radio Bremen. Das ZDF und der Bayerische | |
Rundfunk schließen genau wie der MDR bereits aus zu kündigen. Beim | |
Hessischen Rundfunk besteht die Option erst später im Jahr, die | |
Mitarbeiter*innen dort dürfen also noch hoffen, dass die laufende | |
Beschwerde beim Verfassungsgericht bis dahin zugunsten der Sender | |
entschieden sein wird. | |
Wer hingegen laut darüber nachdenkt, es dem Deutschlandradio und dem NDR | |
gleichzutun und die Gehaltserhöhung auszusetzen, sind der Saarländische | |
Rundfunk und der Südwestrundfunk, sie sind bereits in Gesprächen mit den | |
Gewerkschaften, wie sie der taz mitteilen. Der SWR gibt sogar an, momentan | |
scheine „alles auf eine Kündigung hinauszulaufen“. Dabei steht der SWR im | |
Gegensatz zu vielen anderen Sendern noch finanziell sehr gut da. | |
## Mehr Arbeit in der Pandemie | |
Angestellten in Zeitungsverlagen oder Privatsendern mag für die Diskussion | |
über ein Anheben der Gehälter das Verständnis fehlen. Viele private Medien | |
schickten im Coronajahr ihre Belegschaft zeitweise in Kurzarbeit oder | |
streichen nun Stellen, etwa der Spiegel. Und derweil sollen sich | |
Mitarbeiter*innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf eine dritte | |
planmäßige Gehaltserhöhung freuen dürfen? Das scheint schwer vermittelbar. | |
Einerseits. | |
Andererseits hat die Pandemie in vielen Redaktionen zu erheblich mehr | |
Arbeit geführt: [2][Liveblogs und Spezialsendungen wurden aus dem Boden | |
gestampft], Wissenschaftsredaktionen ausgebaut. | |
Karola Wille, die Intendantin des MDR, will zeigen, dass sie das | |
wertschätzt. Am Montag hat sie sich mit den Gewerkschaften getroffen und | |
sie informiert, dass sie nicht aus dem Tarifvertrag aussteigen werde. Dem | |
Evangelischen Pressedienst sagte sie im Anschluss über die | |
MDR-Mitarbeiter*innen: „Sie leisten hervorragende Arbeit, um gerade in | |
dieser herausfordernden Zeit unter schwierigen Umständen viele | |
Sonderanstrengungen zu ermöglichen.“ | |
Aber irgendwo muss gespart werden. Und wenn nicht an den Köpfen, dann | |
bleibt ja nur noch am Beton. „Wir werden nun, und das schmerzt besonders, | |
geplante digitale Innovationen zurückstellen“, hat Karola Wille nach der | |
Runde mit den Gewerkschaften gesagt. Vielleicht aber ist der Schmerz doch | |
gar nicht so groß, wie es auf den ersten Blick scheint. Wille wird vor | |
allem zwei Dinge zurückstellen: den Ausbau des Netzes für digitalen | |
Radioempfang (DAB+) und den Umbau des Funkhauses in Halle, das zu einem | |
„crossmedialen Standort“ werden soll. Dass der MDR nun ausgerechnet ein | |
Projekt in Halle auf Eis legt – in dem Bundesland, das den höheren | |
Rundfunkbeitrag blockiert hat –, kommentierten einige mit Häme. Der | |
Landeschef der Grünen in Sachsen-Anhalt, Sebastian Striegel, twitterte: | |
„Wie die #CDU unserem Land Sachsen-Anhalt schweren Schaden zufügte. Und der | |
öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft Zukunft verbaut.“ | |
## Strategie statt Strafe | |
Aber Willes Entscheidung bloß als Strafe zu verstehen ist zu einfach. Sie | |
ist Strategie. Der Umbau in Halle steht ganz am Anfang. Eigentlich sollte | |
in diesem Jahr die Planung vergeben werden, Baubeginn sollte 2023 sein, | |
2025 sollte das umgebaute Zentrum in Betrieb genommen werden. Ob das nun | |
alles so kommt, ist nicht nur wegen Willes Entscheidung unklar. Die Fragen, | |
wie und wo Journalist*innen in Zukunft crossmedial arbeiten werden und | |
wie viel Platz und Büros sie dafür brauchen, stellen sich nach Corona | |
sowieso ganz neu. Es ist also jetzt nicht der schlechteste Zeitpunkt, den | |
Umbau zu verschieben. | |
Und auch der zurückgestellte Ausbau des DAB+-Netzes dürfte das | |
MDR-Sendegebiet weniger schwer treffen. [3][DAB+] ist der | |
Übertragungsstandard für Digitalradio. Er soll früher oder später die | |
UKW-Übertragung ablösen, ist davon aber weit entfernt. Rund ein Viertel der | |
deutschen Haushalte hat bereits ein DAB+-Radio, seit Ende 2020 muss jeder | |
Neuwagen damit ausgestattet werden. Trotzdem hören viele Menschen weiter | |
auf UKW. 2021 sollte das Jahr werden, in dem die Öffentlich-Rechtlichen die | |
Netze in ganz Deutschland stark ausbauen – auch weil die Politik das möchte | |
und vorantreibt. | |
Das ist immer das Paradox: Aufträge, seien sie zum Ausbau der Strukturen | |
oder des Programms, kommen letztlich aus der Politik. „Die Politik gibt den | |
Sendern einen Programmauftrag und dafür das entsprechende Budget“, sagt | |
auch Jochen Spengler, Vorsitzender des Gesamtpersonalrats von | |
Deutschlandradio. „Wenn die Politik die Mittel kürzt, dann sollte sie auch | |
sagen, was wir wegzulassen haben.“ Beim kleinen Deutschlandradio gibt es | |
keine Großprojekte, die verschoben werden könnten, deswegen bleibt nur das | |
Sparen an den Personalkosten. Und die Angestelltenvertretung gibt sich zwar | |
nicht begeistert, aber verständnisvoll. | |
„Wir sind als Personalrat auch der Überzeugung, dass sich die | |
Mitarbeitenden die Gehaltserhöhung wirklich verdient hätten – vor allem | |
durch die Arbeit der letzten zwölf Monate“, sagt Spengler. „Wir sehen aber, | |
was sonst in der Gesellschaft los ist – und beim Deutschlandradio ist nicht | |
die Rede von Kündigung und Kurzarbeit, da sind wir bereit, Zugeständnisse | |
zu machen, wenn es denn bei der Nichtanhebung der Beiträge bleibt.“ Aber | |
dass diese – eigentlich politische – Affäre zulasten der Mitarbeitenden und | |
der Inhalte gehen soll, ärgert den Personalrat. | |
## Das Programm bleibt | |
Noch hat die Sparpanik nicht das Programm erfasst, also den Teil, der bei | |
den Hörer*innen ankommt. Und noch erwartet man in den Sendern die | |
Rettung durch das Bundesverfassungsgericht, dass man somit alles wieder | |
zurückdrehen könnte. Und wenn nicht? „Wenn die Erhöhung tatsächlich nicht | |
kommt, dann sind Einschnitte im Programm unvermeidbar“, sagt Spengler. | |
Nicht anders sieht es Heinz Fischer-Heidlberger, der Vorsitzende der KEF, | |
der Kommission, die den Finanzbedarf der Sender ermittelt. Der legte diese | |
Woche nahe, dass jede finanzielle Überbrückungstüftelei nur bis Jahresende | |
halten würde. Danach ginge es also an die Sendungen – und vielleicht an | |
ganze Wellen. | |
Das ist hoch gepokert. Die Sender würden ungewollt beweisen, dass sie mit | |
weniger Geld zurechtkommen. Das entzöge ihrer Forderung nach einem höheren | |
Rundfunkbeitrag ein Stück Legitimation. So kann man auch das | |
Bundesverfassungsgericht verstehen. Das hatte kurz vor Weihnachten den | |
Eilantrag der Rundfunkanstalten abgelehnt, mit dem diese erreichen wollten, | |
dass der Rundfunkbeitrag gleich zum 1. Januar steigt. | |
Das Gericht begründete seine Ablehnung damit, dass die Sender nicht | |
deutlich genug gemacht hätten, wie dringend sie die Erhöhung sofort | |
brauchen. Sinngemäß steht in der Begründung des Gerichts auch: Was weg ist, | |
ist weg. Das Geld, das die Sender jetzt am Personal sparen, können sie sich | |
auch im Falle einer Erhöhung des Beitrags nicht zurückholen oder | |
nachträglich kompensieren. | |
29 Jan 2021 | |
## LINKS | |
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[2] /Berichterstattung-ueber-Covid-19/!5710078 | |
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## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
Peter Weissenburger | |
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