# taz.de -- Musik und Literatur im Radio: Sparkultur beim Rundfunk | |
> Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender ihr Programm reformieren, geht das | |
> immer häufiger zulasten der klassischen Kultursendungen. | |
Bild: Radio hören und Kluges erfahren über Gegenwartskultur? Nicht mehr ganz … | |
HAMBURG taz | „Musik aus sämtlichen Genres und abseits des Mainstreams“, | |
lautet das Markenversprechen des „Nachtclubs“ im [1][Norddeutschen Rundfunk | |
(NDR)]. Stefan Gerdes, der verantwortliche Redakteur, sagt: „Was wir da | |
machen, ist ein bisschen Autorenkino, und genau das soll auch so bleiben.“ | |
Aber das Autorenkino hat aufmerksamkeitsökonomisch schon bessere Zeiten | |
gesehen, und das lässt sich nun auch über den „Nachtclub“ sagen. Seit | |
Anfang des Jahres läuft er hauptsächlich online bei NDR Blue – und nicht | |
mehr linear im Spätprogramm von NDR Info. Das hat Nachteile: Der Name „NDR | |
Blue“ ist abschreckend betulich, der Bekanntheitsgrad bescheiden, ein | |
Konzept nur schwer auszumachen. Hinzu kommt: Die Spezialsendungen laufen | |
nun weniger häufig als bei NDR Info. | |
Die schlechteren Rahmenbedingungen für den „Nachtclub“ haben mit zwei | |
Trends zu tun. Spiegel Online konstatierte schon 2016, die „Sendeplätze für | |
Autoren-Musikradio“ seien „rar geworden“. Anlass damals: Beim WDR-Programm | |
„Funkhaus Europa“ (heute: „Cosmo“) verschwanden auf einen Schlag 17 | |
musikjournalistische Sendungen. | |
Kürzlich endete bei Radio Eins (RBB) die Sendung „Roots“, in der der | |
Journalist Wolfgang Doebeling auf einmalige Art ursprüngliche Spielarten | |
populärer Musik vorstellte. Im Forum des Magazins Rolling Stone sprach | |
Doebeling von einem „unfreiwilligen Ruhestand“. | |
Auch die klassische Kultur kommt bei öffentlich-rechtlichen Reformen stets | |
unter die Räder: RBB Kultur hat im September haufenweise Magazinsendungen | |
gestrichen. Der WDR versucht gerade mit aller Gewalt, seine Kulturwelle WDR | |
3 zu einem Programm umzumodeln, das tendenziell jedem gefallen soll, aber | |
bloß nicht der kulturinteressierten Kulturradio-Zielgruppe. | |
## „Veraltetes Kulturverständnis“ | |
Die Veränderungen beim „Nachtclub“ haben zwei Gründe: Auf dem alten | |
Sendeplatz bei NDR Info läuft seit Anfang des Jahres die „ARD-Infonacht“, | |
deren Produktion der NDR vom MDR übernommen hat. Und der NDR will innerhalb | |
von vier Jahren 300 Millionen Euro einsparen. Ein freier Mitarbeiter lobt, | |
die „Nachtclub“-Redaktion habe sich bemüht, die Honorar-Einbußen bei | |
Moderatoren – teils über 50 Prozent – gleichmäßig zu verteilen. | |
Immerhin kündigt Norbert Grundei, Leiter der „Audio-Strategie“ bei NDR, f�… | |
März ein „neues Nachtclub-Format mit dem Schwerpunkt deutscher Musik“ an. | |
Bei N-Joy, der Welle für die Jüngeren. | |
Bald nicht mehr beim „Nachtclub“ ist Ruben Jonas Schnell, sein | |
Rahmenvertrag läuft aus. Er konzentriert sich auf das von ihm gegründete | |
Onlineradio Byte FM, wo 24 Stunden „Nachtclub“-artiges läuft. Er kritisiert | |
am NDR ein „veraltetes Kulturverständnis“. Klassik und Jazz werde über das | |
gestellt, was im „Nachtclub“ abgebildet wird: „HipHop, Techno, Rock, Indi… | |
R’n’B, Outernational – das ist kulturell relevanter als die meiste | |
klassische Musik und auch der meiste Jazz“, sagt Schnell. | |
„Musikjournalismus à la ‚Nachtclub‘ hätte einen prominenten Sendeplatz … | |
NDR Kultur verdient.“ | |
NDR-Stratege Grundei sagt dazu, NDR Kultur habe sich in den vergangenen | |
Jahren „mit großer Offenheit für einen erweiterten Kulturbegriff“ | |
weiterentwickelt. Im Moment sei das „sehr engagierte neue Leitungsteam | |
dabei, das Programm für die Zukunft aufzustellen“. Es sei vorstellbar, dass | |
„Nachtclub“-Angebote auch dort zum Zuge kämen. | |
Manche Menschen schätzen zwar den „Nachtclub“, zucken aber ob der | |
Veränderungen mit den Achseln: Musikjournalismus sei aus der Zeit gefallen, | |
wegen Spotify müsse niemand auf neue Musik hingewiesen werden. Ruben Jonas | |
Schnell findet: im Gegenteil. „Gerade weil jederzeit so viel Musik | |
zugänglich ist wie nie zuvor, ist Einordnung wichtig – jedenfalls für jene, | |
die sich nicht auf einen Algorithmus verlassen wollen.“ | |
Transparenzhinweis: Die taz kooperiert mit Byte FM [2][bei der Sendung | |
taz.Mixtape.] | |
5 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
René Martens | |
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