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# taz.de -- Kulturformate auf Youtube: Mehr Tiefgang im Netz
> Öffentlich-rechtliche Kulturmagazine setzen neuerdings auf lange
> Youtube-Formate. Die Kulturreportage erlebt so eine Art Renaissance.
Bild: Wurde mehr als 1,2 Millionen Mal abgerufen: HR-Doku über den Rapper Haft…
Die Künstlerin Moshtari Hilal ist in den vergangenen Wochen oft angegriffen
worden, weil sie den Begriff „Nazi-Hintergrund“ kreiert hat. [1][In der
NDR-Reportage „‚Nie mehr leise‘: Für mehr Sichtbarkeit und Vielfalt in d…
Kultur“] bringt sie ihre Argumentation recht gut auf den Punkt:
„Normalerweise sind wir die Personen, die immer wissen müssen, woher sie
eigentlich kommen, wo ihre Wurzeln liegen. [2][Mit Nazi-Hintergrund] werfen
wir die Frage nur zurück.“
Bei diesem Film über mangelnde Repräsentanz weiblicher People of Colour im
Kulturbetrieb handelt es sich um ein neuartiges TV-Format. Seit April
produziert das „Kulturjournal“ des NDR Fernsehens kurze Webdokus, die
mittwochs ab 17 Uhr digital in der ARD Mediathek und im Doku-Kanal des NDR
auf Youtube zu sehen sind – und dann jeweils am Montag darauf in der
linearen Sendung. Dabei sind die Filme jeweils circa 15 Minuten lang –
eigentlich zu lang für ein Kulturmagazin.
Die neuen Formate sind eine Reaktion auf die Nutzungsgewohnheiten im Netz:
Die im Normalfall fünf bis sieben Minuten langen „Kulturmagazin“-Beiträge
aus dem linearen Programm funktionieren online in der Regel nicht besonders
gut. Das gesamte Konzept der Magazine mit ihrem Rhythmus
Moderation-Beitrag-Zwischenmoderation-Beitrag ist aufs klassische Fernsehen
ausgerichtet. Deshalb präsentiert der NDR seine Web-Dokus bei ihrer
Onlinepremiere auch als eigenständige Filme, nicht im Magazin-Kontext.
Das Themenspektrum der neuartigen Reportagen reicht von gesellschaftlichen
Fragen („Warum leiden immer mehr junge Menschen unter Einsamkeit?“) bis zu
klassischen Kulturmagazin-Inhalten („Koloniales Erbe und Raubkunst: Was
tun?“). Christoph Bungartz, der beim NDR die Abteilung Kultur und Wissen
leitet, sagt: „Der NDR-Doku-Kanal bei Youtube erreicht ein anderes Publikum
als die Sendung „Kulturjournal“ im Fernsehen. Die Zuschauerinnen und
Zuschauer des TV-Magazins sehen den Beitrag nicht schon vorher online.“
Umgekehrt nimmt ein signifikanter Teil des Onlinepublikums die lineare
Ausstrahlung nicht wahr. Auch danach stiegen die Zugriffszahlen im Netz
noch, sagt Bungartz. Der Film über Einsamkeit bei jüngeren Erwachsenen
erreichte mehr als 445.000 Zuschauer – mehr als die lineare Magazinsendung,
in der er lief.
## Langer Atem tut gut
Man kann hier fast von einer Art Renaissance der Kulturreportage sprechen –
ein Genre, das im linearen Fernsehen keine nennenswerte Rolle mehr spielt.
Lang ist nicht immer besser als kurz, aber wenn man an die manchmal
unbefriedigende Länge der Kulturmagazin-Beiträge gewohnt ist, tut der
relativ lange Atem eines 15-Minuten-Films gut. Es gehört zu den Ironien des
Mediennutzungswandels, dass im vermeintlich oberflächlichen Netz
Kultur-TV-Formate entstehen, die mehr Tiefe ermöglichen als die klassischen
Sendungen – wobei diese – über den Weg der linearen Zweitverwertung – da…
wiederum von den Neuentwicklungen profitieren können.
Christoph Bungartz vergleicht das mit einer anderen Entwicklung: der der
Podcasts. Er sagt: „Der Podcast ist die Rache des Markts am starren
Format-Radio.“ Für das galt lange die Regel, dass nicht zu viel am Stück
geredet werden dürfe. Die Podcasts sind nun bekanntlich ein Beispiel dafür,
dass man im Audio-Bereich Erfolg haben kann, wenn sehr viel geredet wird.
Ähnliche Wege wie der NDR will nun auch der Hessische Rundfunk gehen. Den
Auftakt zu einer neuen Kulturoffensive machte hier kürzlich eine rund
[3][20-minütige Web-Reportage] über den Rapper Haftbefehl, die allein im
Youtube-Kanal des Senders mehr als 1,2 Millionen Mal abgerufen wurde. In
kurzen Fassungen war sie auch linear zu sehen.
Künftig plant der Hessische Rundfunk als Ergänzung zu seinem linearen
Magazin „Hauptsache Kultur“ monothematische Doku-Mehrteiler. „Die sollen
sich, ähnlich wie die Haftbefehl-Doku, tiefer mit kulturellen Phänomenen
beschäftigen, die bisher zu wenig auf dem Radar der Öffentlich-Rechtlichen
waren“, sagt Alf Mentzer, der dem fünfköpfigen Steuerungsteam der
crossmedialen „Kulturunit“ des HR angehört. Derzeit in Planung: ein
dreiteiliges Projekt mit dem Arbeitstitel „069 – Wie der HipHop nach
Deutschland kam“.
19 May 2021
## LINKS
[1] https://www.ndr.de/kultur/Nie-mehr-leise-Gegen-Rassismus-und-Sexismus,nieme…
[2] /Kuenstler-ueber-NS-Familiengeschichte/!5755176
[3] https://www.youtube.com/watch?v=Ddm6dcQS6BQ
## AUTOREN
René Martens
## TAGS
öffentlich-rechtliches Fernsehen
Youtube
Reportage
Lineares Fernsehen
ARD
Kolumne Nachsitzen
Literaturkritik
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk
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