| # taz.de -- Mietenpolitik in Hamburg: Volk begehrt Deckelchen | |
| > Ein Mietendeckel ist in Hamburg undenkbar. Doch die Volksinitiative | |
| > „Keine Profite mit Boden und Miete“ könnte Neubauwohnungen bald billiger | |
| > machen. | |
| Bild: Die Mieter*innenbewegung hatte früher auch mal mehr Wumms. Hier 2011 auf… | |
| Hamburg taz | Wenn Berlin in der Mietenpolitik eine Sprinterin ist, die, | |
| kaum ist der Startschuss gefallen, in einer Staubwolke verschwindet, ist | |
| Hamburg die Nordic-Walkerin, die mit bedeutungsschwerer Miene | |
| hinterherläuft – im Marken-Outfit und stets betonend, wie sportlich und | |
| schnell sie sei. | |
| In Berlin ist vor kurzem Phase zwei des Mietendeckels in Kraft getreten. | |
| Nachdem die Mieten seit Juni 2019 eingefroren waren, werden sie jetzt sogar | |
| [1][aktiv gesenkt], wenn sie mindestens 20 Prozent über den festgelegten | |
| Obergrenzen liegen, die sich je nach Lage und Bauweise der Wohnung | |
| berechnen (die vor 2014 gebaut worden sein müssen). Das betrifft nach | |
| Schätzungen des Berliner Senats 340.000 Haushalte, deren Miete sich im | |
| Schnitt um rund 30 Euro monatlich verringert. | |
| In Hamburg hingegen steigen die Mieten fröhlich weiter. Aber anstatt das | |
| mietenpolitische Versagen zuzugeben, jubeln die Regierungsparteien SPD und | |
| Grüne darüber, dass die Mieten langsamer steigen als vorher – wer die Latte | |
| niedrig hängt, kann leichter Erfolge feiern. Von „noch mehr bezahlbarem | |
| Wohnraum für Gering- und Mittelverdiener*innen“ ist die Rede, als ob es | |
| davon auch nur ansatzweise genug gäbe, von einer „bundesweit einzigartigen | |
| Bilanz“ in Sachen Neubau, vom „neuen Standard“, das Erbbaurecht zu nutzen. | |
| Kurz: „Wir werden unsere erfolgreiche Wohnungs- und Bodenpolitik | |
| fortsetzen“, sagte kürzlich Dirk Kienscherf, der Vorsitzende der | |
| SPD-Bürgerschaftsfraktion. | |
| Dabei gibt es gar keinen Grund für diese Euphorie. Nach Berechnungen von | |
| Immobilienportalen liegt der durchschnittliche Mietpreis in Hamburg bei | |
| 13,47 Euro kalt pro Quadratmeter. Die Hamburger Sparkasse erhob schon vor | |
| zwei Jahren, dass fast ein Drittel der Hamburger Miethaushalte die Hälfte | |
| ihres Einkommens ihren Vermieter*innen hinblättern. Bei 16 Prozent ist es | |
| sogar mehr als die Hälfte. | |
| ## Akteur mit Trippelschritten | |
| Der Senat hat das Problem 2011 erkannt und bewegt sich seitdem zwar in | |
| Trippelschritten, aber immerhin überhaupt wieder als Akteur auf dem | |
| Wohnungsmarkt. Vor genau zwei Jahren entdeckte die Stadt dann auch das | |
| Vorkaufsrecht und nutzt es seitdem hin und wieder, um privaten | |
| Investor*innen Immobilien vor der Nase wegzukaufen. Aber von ganzen | |
| Paketkäufen, so wie in Berlin, wo zwei Bezirke im vergangenen Jahr | |
| [2][gleich mal 256 Wohnungen auf einen Schlag kauften], wagt in Hamburg | |
| niemand zu träumen. | |
| So ähnlich steht es auch um andere Instrumente der Wohnungspolitik: Sie | |
| gehen in die richtige Richtung, sind aber bei Weitem nicht ambitioniert | |
| genug. Der Hamburger Senat hat es sich zum Beispiel zur Prämisse gemacht, | |
| Grundstücke fortan nicht mehr meistbietend zu verscherbeln, sondern | |
| vorrangig in Erbbaurecht zu vergeben, sodass sie im Besitz der Stadt | |
| bleiben. Das ist zwar ein Anfang, aber noch keine mutige Wohnungspolitik. | |
| Das von den Mietervereinen initiierte Volksbegehren „Keine Profite mit | |
| Wohnen und Miete“ fordert, diesen Schritt zum Gesetz zu machen, als | |
| Absicherung gegen künftige Regierungen, die von der aktuellen Erbbaupolitik | |
| abweichen. So weit will der Senat aber offenbar nicht gehen. | |
| Zudem brüstet sich Hamburg mit dem Drittelmix, der vorschreibt, dass bei | |
| Neubauten ein Drittel der Wohnungen Sozialwohnungen sein müssen. „Eine | |
| Mogelpackung“, sagen die Mietervereine, denn Sozialwohnungen sind immer | |
| deutlich kleiner, und so kommt, wenn man die Fläche betrachtet, höchstens | |
| ein Fünftelmix heraus. | |
| Ähnlich ist es mit Hamburgs Bauoffensive. Der Senat genehmigt jedes Jahr | |
| den Bau von rund 11.000 Wohnungen, 2019 wurden 3.717 Sozialwohnungen | |
| bezogen. Aber den jahrelangen Verlust von Sozialwohnungen kann das nicht | |
| kompensieren. Von 261.000 Sozialwohnungen im Jahr 1990 sind heute gerade | |
| mal 83.000 übrig. | |
| ## Sozialmiete als Standard | |
| [3][Die Mietervereine fordern darum in einem zweiten Volksbegehren], dass | |
| das Mietpreisniveau bei zukünftigen Neubauten auf städtischem Grund das | |
| von Sozialwohnungen nicht überschreiten darf. Die Nettokaltmiete dürfte | |
| also zu Beginn nicht höher sein als die des ersten Förderwegs im sozialen | |
| Wohnungsbau. Diese Forderung hat es in sich. Klar, dass der Senat das nicht | |
| will. | |
| Denn die Hamburger Wohnungspolitik hat einen Grundfehler: Die | |
| Wohnungswirtschaft bestimmt maßgeblich über sie mit. Sowohl der Verband der | |
| Immobilienberater, Makler, Verwalter und Sachverständigen als auch der | |
| Immobilienverband Deutschland sitzen mit dem Senat und den Bezirken im | |
| „[4][Bündnis für das Wohnen“] an einem Tisch, um die Parameter für den | |
| Hamburger Wohnungsbau zu setzen. Lobbygruppen so direkt an der Gesetzgebung | |
| zu beteiligen, ist schon dreist. Die Mietervereine sind zwar auch dabei, | |
| aber nur am Katzentisch, in beratender Funktion. | |
| Dass diese Runde sich zu einer wirklich progressiven Mietenpolitik | |
| durchringt wie die rot-grün-rote Koalition Berlin, ist utopisch. Die | |
| Offensive muss in Hamburg von anderer Seite kommen: von der Straße, aus der | |
| Zivilgesellschaft. Die Volksbegehren sind ein richtiger Schritt. | |
| Apropos: Auch in Berlin läuft ja ein Volksbegehren. Die | |
| Mieter*innenbewegung dort will den Konzern Deutsche Wohnen und andere | |
| enteignen. Auch eine gute Vorlage. | |
| Den ganzen Schwerpunkt zur Hamburger Mietenpolitik lesen Sie in der taz am | |
| Wochenende am Kiosk oder [5][hier]. | |
| 11 Dec 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Naechste-Stufe-des-Berliner-Mietendeckels/!5725820 | |
| [2] /Vorkaufsrecht-in-Berlin/!5564590 | |
| [3] /Volksinitiative-fuer-Wohnen-in-Hamburg-/!5645152 | |
| [4] https://www.hamburg.de/bsw/buendnis-fuer-das-wohnen/ | |
| [5] /e-Paper/Abo/!p4352/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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