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# taz.de -- Bad Oldesloer Politik gegen Vermieter: Rechtshilfe gegen Heuschrecke
> Bad Oldesloe will gegen einen unsozialen Immobilienkonzern vorgehen. Die
> Stadt schafft eine kostenlose Rechtsberatung für Mieter*innen.
Bild: Keiner mag sie, aber ohne geht es auch nicht: Bad Oldesloer Hochhäuser
Bremen taz | Im Hölk, einem Quartier im Norden von Bad Oldesloe, stehen
neben vielen braven Einfamilienhäusern auch zwei Hochhäuser, die
[1][regelmäßig von Kamerateams besucht] werden. Zu sehen gibt es: Küchen
ohne fließendes Wasser, Fußböden, die von Handwerker*innen aufgehackt,
aber dann nicht wieder repariert werden. Und im Winter: kaputte Heizungen.
„Ich saß in der Küche einer Familie. Durch ein Loch in der Wand konnte ich
direkt in die nächste Wohnung sehen“, erzählt Jens Wieck, der sich seit
2018 ehrenamtlich im Hölk engagiert.
Rund 400 Menschen leben in den beiden zwölfstöckigen Hochhäusern. Als die
Wohnungsgenossenschaft „Neue Lübecker“ die Häuser verkauft, werden sie zum
Spekulationsobjekt von Immobilienfirmen. Die Eigentümer wechseln alle paar
Jahre. Seit 2018 ist die [2][„Adler Group“ zuständig] – sie sitzt in
Berlin, für die Bewohner*innen ist sie fast nie erreichbar.
Die Stadt will dem Immobilienkonzern nun etwas entgegensetzen und gemeinsam
mit den Mieter*innen in den juristischen Kampf ziehen: In Zukunft wird
eine Rechtsberatung vor Ort eingesetzt. Kostenfrei, niedrigschwellig, nah
dran und rechtssicher soll sie sein. Im Ernstfall werden auch
Anwält*innen vermittelt.
Bisher vermeiden viele Bewohner*innen die Auseinandersetzung. Nicht ganz
grundlos: Wer sich wehrt, die Miete mindert, übertriebene Nebenkosten
einbehält, der hat [3][schnell eine Klage von Adler am Hals.] Trotz der
miesen Wohnsituation: Die Menschen im Hölk haben vor allem Angst, ihre
Wohnung dort zu verlieren; für viele ist keine Alternative in Sicht.
## Sprechstunden sind voll
Einen Mieterschutzbund gibt es auch heute schon in Bad Oldesloe. Doch der
werde von den Leuten im Hölk kaum genutzt, sagt Wieck. Die größte Hürde
seien nicht die Mitgliedschaftsbeiträge. „Das Problem ist vor allem, dass
die Menschen kein Vertrauen dazu haben“, sagt der CDUler. Viele
Bewohner*innen der Hochhäuser sprechen kaum Deutsch, die Erfahrungen
mit Ämtern sind schlecht.
Vertrauen dagegen gibt es zu den Mitarbeiter*innen und Ehrenamtlichen
im Quartierstreffpunkt „Plan B“ direkt vor der Tür: Wieck berichtet, dass
er selbst auch mal gegen Mitternacht angerufen werde, wenn ein
Wasserschaden oder allgemeine Verzweiflung auftreten. Auch die regulären
Sprechstunden bei Plan B sind voll, in Coronazeiten finden sie draußen vor
den Hochhäusern statt. „Aber wir kommen an unsere Grenzen“, erklärt
Initiatorin Maria Herrmann. Rechtssichere Auskünfte könne sie schlicht
nicht bieten.
Darum soll die neue Rechtsberatung kommen. Das Konzept soll Herrmann
entwickeln, so der Auftrag der Stadtverordnetenversammlung. Vorbild ist ein
[4][Projekt aus Lüneburg,] wo Stadt und AWO eine Mieterberatung für die
Bewohner*innen einiger Problemimmobilien eingerichtet haben. Der
Vermieter dort heißt Vonovia, die Parallelen sind groß: „Wir können das
Projekt fast 1:1 für hier umsetzen“, sagt Björn Wahnfried,
Fraktionsvorsitzender der SPD in der Oldesloer Stadtverordnetenversammlung.
„Ich sehe es als städtische Aufgabe, die Wohnsituation am Hölk zu
verbessern“, so Wahnfried.
Das war nicht immer so. „Lange wurden die Wohnverhältnisse hier eher als
Privatproblem betrachtet“, erzählt Maria Herrmann von Plan B. Nicht die
Stadt hat den Quartiertreffpunkt initiiert – die Aufgabe hat sich Herrmann
vor drei Jahren selbst gesucht, als Sozialarbeiterin der Stiftung
Alsterdorf für das Projekt Q8 in Bad Oldesloe. Sie freut sich über die
geplante Mieterhilfe, würde sich aber noch mehr Engagement der Stadt
wünschen: „Die Bauaufsicht und der Brandschutz müssten hier viel stärker
reingehen“, sagt sie, „aber sie haben Angst, dann hier komplett dicht
machen zu müssen.“
Dabei wollte der parteilose Bürgermeister Jörg Lembke die Blocks am Hölk eh
schon mehrfach abreißen lassen. Unterstützung fand er mit dem Vorschlag in
der Stadtverordnetenversammlung bisher nicht. „Wo wollen Sie die Menschen
dann unterbringen?“, winkt Wahnfried ab. Der Hölk ist für viele, so
beschreibt es auch Herrmann, die letzte Grenze vor einer möglichen
Obdachlosigkeit.
## Zu teuer für die Stadt
Im Hamburger Umland ist die Mietkonkurrenz hart. Mit dieser kommunalen
Angst vor Massenobdachlosigkeit im Hintergrund, kann Adler weiter vermieten
– und für die maroden Wohnungen ganze 10 Euro kalt pro Quadratmeter
verlangen; oft kommt das Geld vom Jobcenter, der Staat finanziert das
Adler-Geschäftsmodell so mit.
Warum also übernimmt die Stadt die Immobilie nicht selbst? Auch wenn Adler
zu der Frage schweigt – in der Stadt glauben viele, dass die
Immobilienfirma die Häuser gern verkaufen würde. Doch ein Kauf könnte
schwer werden für Bad Oldesloe, mit seinen knapp 25.000 Einwohner*innen.
„Adler will richtig Geld sehen“, vermutet SPD-Mann Wahnfried. Schon Mitte
der Nullerjahre hätten die Wohnblöcke um die 8 Millionen Euro gekostet.
Seitdem dürfte der Preis noch gestiegen sein. Das Jahresbudget der Stadt
beträgt inklusive aller Gehälter gerade einmal 60 Millionen Euro.
Wulf Dau-Schmidt glaubt trotzdem, dass die Kommune mehr machen könnte. Er
hat [5][vor Jahren als freiberuflicher Stadtteilmanager in Elmshorn] dafür
gesorgt, dass Immobilienhaie weichen mussten und der Stadtteil Hainholz aus
dem Abwärtsstrudel kam. Heute berät er Plan B und die Stadt zum weiteren
Vorgehen. Die Idee einer Rechtsberatung hält er für vielversprechend –
allerdings nicht als Einzelmaßnahme.
## Bald ein Sanierungsgebiet?
Bad Oldesloe solle das Quartier vielmehr zum Sanierungsgebiet ausrufen,
fordert er. Sobald ein neues Unternehmen die Immobilie übernehme, könnte
die Stadt mit diesem dann besondere Vertragspflichten vereinbaren. Auch die
Idee eines Kaufs will Dau-Schmidt noch nicht ausschließen: „Wenn die Stadt
selbst keine Wohnungsbaugesellschaft gründen kann, ist es möglich, so etwas
auf Ebene des Kreises zu organisieren“, schlägt er vor. Eine andere
Möglichkeit: Die Neue Lübecker oder eine andere Wohnungsgenossenschaft
könnte die Häuser wieder übernehmen.
Wieck ist ganz bei ihm. Der Ehrenamtliche sitzt auch für die CDU in der
Stadtverordnetenversammlung und hatte den Vorschlag schon Ende 2020
gemacht; doch er ist frustriert: „Zuerst waren alle dafür, aber dann hat es
weiter keinen interessiert“, sagt er. „So richtig bewegen will sich
keiner.“ Auch seine eigene Partei, die die stärkste Fraktion in Bad
Oldesloe stellt, muss er von Maßnahmen erst überzeugen. Den Antrag zum
Rechtsbeistand immerhin haben sie jetzt mit unterstützt. Es ist ein Anfang.
14 May 2021
## LINKS
[1] https://treffpunktplanb.de/images/videos/sh%20magazin%202101.mp4
[2] /Ado-wird-zum-Immobilienriesen/!5650655
[3] /Ungerechtfertigte-Nebenkostenerhoehung/!5765092
[4] https://www.hansestadtlueneburg.de/Home-Hansestadt-Lueneburg/Stadt-und-Poli…
[5] https://www.shz.de/lokales/eckernfoerder-zeitung/die-moralische-pflicht-des…
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
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