# taz.de -- Mietenproteste in Berlin: Mieter:innen, organisiert euch! | |
> Ein Berliner Bündnis will eine Mieter:innengewerkschaft gründen. Diese | |
> soll Akteur:innen bündeln, Streiks organisieren und Miethöhen | |
> mitverhandeln. | |
Bild: Wall of Shame: Die Bewohner der von Heimstaden gekauften Häuser protesti… | |
An mangelndem Mobilisierungspotenzial wird es nicht scheitern: Kaum ein | |
Thema bewegte die Berliner:innen in den vergangenen Jahren politisch so | |
stark wie die [1][Frage nach dem Wohnraum]. Wieso hält der Mietpreis nicht | |
mit dem Einkommen Schritt? Warum kaufen renditeorientierte | |
Wohnungsunternehmen in Berlin ohne Ende Häuser zu Spekulationspreisen? | |
Warum wird das Haus, in dem ich lebe, verkauft oder in Eigentum | |
umgewandelt? Das sind häufig existenzielle Fragen. Politische Antworten von | |
oben sind Marktregulationen wie das bezirkliche Vorkaufsrecht und der | |
Mietendeckel der [2][rot-rot-grünen Koalition]. | |
Die Antworten von unten sind sichtbarer Protest auf der Straße, Aufklärung | |
und Vernetzung. Es gibt mittlerweile eine gut vernetzte Mietenbewegung, die | |
riesige Demos organisiert und das [3][Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co | |
enteignen] gestartet hat. Doch es gibt auch viel Fluktuation in dieser | |
Bewegung: Akteure wechseln häufig und sind oft diejenigen, die gerade akut | |
von der Angst vor Verdrängung geplagt werden und sich in der Folge etwa | |
häuserweise zusammenschließen. Eine Initiative, die sich Anfang des Jahres | |
aufgestellt hat, will diese wiederkehrenden Kämpfe nun kollektivieren und | |
verstetigen: die Mieter:innengewerkschaft Berlin. | |
Ihr Ziel ist die Kollektivierung von Mietrecht und das direkte Verhandeln | |
zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen über die Miethöhe – ähnlich | |
wie bei Tarifverträgen und dem kollektiven Arbeitsrecht. Zur Repräsentation | |
könnten Mieterbeiräte dienen, die sich block- oder hausweise aufstellen | |
könnten. Und zur Not soll Druck auch über Aktionsformen und Kampfmaßnahmen | |
aufgebaut werden wie etwa einem Mietstreik oder anderen kreativen | |
Aktionsformen. Denkbar und weniger risikoreich als ein Streik etwa wäre | |
etwa ein mietenpolitischer „Dienst nach Vorschrift“, den etwa der | |
[4][Sozialwissenschaftler Holger Marcks] vorgeschlagen hat – so könnten | |
viele organisierte Mieter:innen kollektiv Mietminderungen durch kleinliches | |
Anzeigen von Mängeln beantragen. | |
Derartige Mietenkämpfe oder gar Streiks, die an Arbeitskämpfe aus den | |
Anfängen der Gewerkschaftsbewegung erinnern, dürften im Moment allerdings | |
noch Zukunftsmusik sein, wie Christian, Sprecher der im Aufbau befindlichen | |
Gewerkschaft, der taz sagte: „Wir sind noch in der Gründungsphase. Aber wir | |
wollen langfristig die kollektive Organisation und Selbstermächtigung von | |
Mieter:innen.“ Christian ist der ehemalige [5][Wirt aus dem geräumten | |
Kneipenkollektiv Syndikat]. Seinen Nachnamen möchte er nicht | |
veröffentlichen. | |
Seit Anfang des Jahres treffe er sich regelmäßig mit weiteren Berliner | |
Mietaktivist:innen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen, die sich | |
dauerhaft in einer Mietergewerkschaft organisieren wollen. Zuletzt habe | |
allerdings der Protest gegen [6][Heimstaden] im Vordergrund gestanden, das | |
schwedische Wohnungsunternehmen, das zuletzt in Berlin in großem Stil mehr | |
als 4.000 Wohnungen gekauft hat. Christian sagt: „Die Mobilisierung hat | |
zugleich viel Kraft gegeben und zeigt, dass es sinnvoll ist, sich zu | |
organisieren und zu vernetzen.“ | |
## Druck der Straße war bei Heimstaden erfolgreich | |
Tatsächlich haben auch in diesem Fall Mieter:innen enormen Druck auf Senat | |
und Bezirke ausgeübt. Auch deswegen haben Kreuzberg und Neukölln [7][in | |
mehreren Fällen das Vorkaufsrecht ausgeübt]. Nicht zuletzt der anhaltende | |
Protest auf der Straße und in den sozialen Medien hat den schwedischen | |
Wohnungskonzern gezwungen, rechtlich verbindliche soziale Verpflichtungen, | |
[8][sogenannte Abwendungsvereinbarungen], zu unterschreiben. | |
Christian sagt, eine Mieter:innengewerkschaft wäre die Konsequenz aus | |
über zehn Jahren Mietenbewegung: „Viele kleinere Initiativen wehren sich, | |
aber wir brauchen eine basisdemokratische Grundstruktur, um diese | |
Strukturen zu vereinen und die Schlagkraft zu erhöhen. Wir brauchen so | |
etwas wie eine Gewerkschaft, um politischen Druck zu entfalten.“ Nun gehe | |
es darum, ein dauerhaftes Bündnis zu etablieren. Ein Mietstreik sei ohne | |
gesetzlich verankerten Kündigungsschutz schwierig, aber ein langfristiges | |
Ziel, sagt Christian. „Natürlich müssen wir wie die Gewerkschaften vor 120 | |
Jahren die Mittel erkämpfen. Es hat ja auch lange gedauert, bis es | |
Streikrecht und ein Mitsprachrecht in Tarifrunden gab.“ | |
Erforderlich ist dies laut Christian allerdings auch in der Wohnungsfrage: | |
„Wir erleben in Berlin alle gerade, wie sich die Lage zuspitzt. Wir sind | |
nur noch Spekulationsobjekte für Investoren aus aller Welt, die hier | |
meinen, mit unserem Wohnraum Monopoly spielen zu müssen.“ Wohn- und | |
Gewerberaum dürfe kein Spekulationsobjekt mehr sein, sagt er: „Keine | |
Profite mit der Miete ist nicht nur ein Spruch. Uns geht es um die | |
Vergesellschaftung von Boden und Raum und darum, ein Mitspracherecht zu | |
erkämpfen.“ | |
Die Mieter:innengewerk-schaft sieht sich dabei ausdrücklich nicht in | |
Konkurrenz zu den bereits vorhandenen Mietervertretungen wie dem Berliner | |
Mieterverein oder der Mietergemeinschaft. „Die bieten ja individuelle | |
Rechtsberatung und -beistand an. Uns geht es darum, ein politisches | |
Instrument und die Position innezuhaben, um Druck auszuüben. Nicht nur als | |
Vertretung vor Gericht, sondern um systematisch die Rechte von | |
Mieter:innen zu stärken und auszubauen.“ | |
## Schwedische Mieterorganisation als Vorbild | |
Die Gewerkschaft beruft sich dabei insbesondere auf Schweden, wo es mit der | |
Mieterorganisation Hyresgästföreningen seit über 100 Jahren eine | |
gewerkschaftsähnliche Vertretung von Mieter:innen gibt. Über 500.000 | |
Haushalte sind dort organisiert, verhandeln über ihre Miethöhe in | |
Tarifrunden wie hierzulande in der Arbeitswelt und vertreten auch | |
Mieterinteressen gegenüber der Politik. | |
Reiner Wild vom Berliner Mieterverein hält die Idee allemal auch für | |
Deutschland interessant. Er sagt: „Wir wollen immer die | |
Interessenvertretung von Mietern stärken und gerne diskutieren, welche Vor- | |
und Nachteile eine Mietergewerkschaft und ein darauf abgestelltes Recht | |
bringen könnte.“ Mit der Berliner Initiative stehe man natürlich in Kontakt | |
und im Meinungsaustausch. Wild sagt, der besagte schwedische Mieterbund sei | |
mit seinem Modell sehr zufrieden, aber man müsse prüfen, ob das auch etwas | |
für Deutschland sei. Zum Mietstreik sagt er: „Die Analogie zum | |
Arbeitsverhältnis hat seine Grenzen. Ein Mietstreik wäre ohne | |
Kündigungsrisiko ja nur möglich, wenn das Streikrecht für Mieter gesetzlich | |
verankert ist.“ Im Übrigen sehe das Mietrecht bei Mängeln bereits | |
Mietminderungen vor. | |
Deutlich skeptischer ist Berlins Gewerkschaftssekretär Christian Hoßbach | |
vom DGB. Klar sehe man Mieten und Wohnen zunehmend als wichtiges Thema auch | |
für Gewerkschaften. Ebenso sei es vernünftig, dass Mieter:innen sich | |
organisierten, „allerdings muss schon klar bleiben: Gewerkschaften kümmern | |
sich im Kern um die Themen der Arbeit und dabei wird es auch bleiben. Es | |
haben auch schon andere versucht, unseren Namen zu kopieren, das geht nicht | |
gut.“ | |
Zudem sei der Begriff Tarifverhandlungen in dem Zusammenhang schief, weil | |
es ja nicht um Auseinandersetzungen um erwirtschafteten Zugewinn und | |
Produktivitätsfortschritt ginge. Außerdem säßen Mieter:innen bereits mit am | |
Tisch, wenn es um die Miete geht – über Gesetze wie den Mietendeckel oder | |
über den Mietspiegel etwa – „nichts kann nicht noch besser werden, aber man | |
sollte erreichte demokratische Erfolge auch nicht kleinreden“, sagt | |
Hoßbach. | |
## Leichter mit kontinuierlicher Organsiation | |
Der [9][Stadtsoziologe Andrej Holm] hält hingegen eine Initiative für die | |
Gründung einer Mieter:innengewerkschaft für einen logischen Schritt nach | |
über zehn Jahren Mietenbewegung in Berlin. „Wir sehen seit geraumer Zeit, | |
dass sich jenseits der klassischen Mietervereine Hausgemeinschaften | |
organisieren, um auf Konflikte zu reagieren, die nicht unmittelbar mit dem | |
Mietrecht in Verbindung stehen“, sagt er. Bei Heimstaden gehe es um | |
Vorkaufsrecht, dazu könnten die bisherigen Mietervertretungen zwar eine | |
Position haben – es sei aber nicht ihre Zuständigkeit. „Ich kann mit keinem | |
Anwalt vom Mieterverein das Vorkaufsrecht durchsetzen“, sagt Holm. | |
Überall dort, wo das zivilrechtliche Mietrecht nicht greife, also etwa in | |
politischen Auseinandersetzungen um Vorkauf, bei Regelungen im sozialen | |
Wohnungsbau oder auch bei Leerstand und Zweckentfremdung, gebe es eine | |
Repräsentationslücke, die in den vergangenen zehn Jahren von | |
Mieterinitiativen auf der Straße ausgefüllt worden sei: etwa durch das | |
Mietenwahnsinn-Bündnis, lokale Netzwerke in Neukölln, Kreuzberg, Wedding | |
und Pankow. | |
„Die Idee für eine Mietergewerkschaft reagiert auf die bestehende | |
Fragmentierung der Mietenproteste. Die Protestmobilisierungen erfolgen | |
bisher in konjunkturellen Wellen entlang der jeweiligen Konflikte und | |
blieben oft unverbunden“, sagt Holm. Vor einigen Jahren hätte „Kotti & Co�… | |
im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden, jetzt seien es eher | |
Heimstaden-Häuser und die Vernetzung in den Beständen der Deutsche Wohnen. | |
Angesichts der schnell wechselnden Konfliktfelder reichten persönliche | |
Kontakte nicht mehr aus, um Erfahrungen weiterzugeben. Neue | |
Mieterinitiativen müssten nicht jedes Mal das Rad neu erfinden, wenn es | |
eine kontinuierliche Organisation gäbe, so Holm – aber: „ob dafür das | |
Format eine Gewerkschaft am besten geeignet ist, weiß ich nicht“. Er sei | |
sich allerdings sicher, dass die Mietenbewegung angemessene Organisations- | |
und Aktionsformen finde. | |
24 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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