| # taz.de -- Vorkaufsrecht in Neukölln und Kreuzberg: Geh Heimstaden | |
| > Nach der Shopping-Tour von Heimstaden zieht Berlin erstmals das | |
| > Vorkaufsrecht. Die Bezirke und der Senat erwerben drei Häuser in | |
| > Milieuschutzgebieten. | |
| Bild: Mieter:innen von drei Häusern dürfen sich freuen: Bei ihnen haben Senat… | |
| Berlin taz | Die Bezirke Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg ziehen das | |
| Vorkaufsrecht bei drei Häusern, die der [1][schwedische Konzern Heimstaden] | |
| kaufen wollte. Es handelt sich um Häuser in der Kreuzberger Bergmannstraße, | |
| der Friedrichshainer Mühsamstraße und der Friedelstraße in Neukölln. Es ist | |
| das erste Mal, dass Senat und Bezirk gegen den neuen großen Player auf dem | |
| Berliner Wohnungsmarkt einschreiten. Die drei Häuser sind Teil eines Pakets | |
| mit insgesamt 16 Immobilien. In einem weiteren Mega-Deal will Heimstaden | |
| derzeit circa 140 Häuser mit knapp 4000 weiteren Wohnungen erwerben. | |
| Im Vorfeld der am Dienstag ablaufenden zwei-Monats-Frist für die erste | |
| Charge der Heimstaden-Käufe hieß es aus Bezirken und Senat, dass man | |
| Heimstaden in Berlin die Grenzen aufzeigen wolle. Am Dienstagabend | |
| [2][twitterte Bezirksstadrat Florian Schmidt (Grüne)] schließlich, dass es | |
| zur Ausübung der Vorkaufsrechts bei drei von sechs Häusern in | |
| Milieuschutzgebieten komme. Bis zum Schluss wurde nach Informationen der | |
| taz um eine Abwendungsvereinbarung gerungen. | |
| Die hätte den Vorkauf aus Sicht von Heimstaden verhindern können, wenn die | |
| Firma sich auf sozialverträgliche Rahmenbedingungen für den Erwerb | |
| verpflichtet hätte. Das wollte der sich mieterfreundliche gebende Konzern | |
| im vorliegenden Fall aber offenkundig nicht. Nach taz-Informationen | |
| scheiterte die Abwendung insbesondere daran, dass die Wohnungsfirma sich | |
| nicht auf ein 20-jähriges Umwandlungsverbot in Eigentumswohnungen | |
| verpflichten wollte. | |
| Der Bezirksstadtrat von Neukölln Jochen Biedermann (Grüne) bestätigte am | |
| Mittwoch, dass die Abwendung in Neukölln daran scheiterte, dass Heimstaden | |
| nicht auf Umwandlung in Eigentum verzichten wollte: „Heimstaden sagt, dass | |
| sie langfristig planen und ein vernünftiger Vermieter sein wollen. Aber | |
| wenn sie wirklich so freundlich sind, warum unterschreiben sie dann nicht | |
| einfach die Abwendungsvereinbarung?“ Dafür habe er kein Verständnis, er | |
| messe Heimstaden an Taten und nicht Worten. „Mir haben am Tisch schon viele | |
| Investoren erzählt, dass sie die Guten seien“, sagt Biedermann. Und er | |
| ergänzt: „Wir werden auch bei weiteren 27 Häusern, die Heimstaden in | |
| Neukölln kaufen will, um jedes einzelne kämpfen.“ | |
| ## Hat Heimstaden sich verspekuliert? | |
| In Neukölln wurde der Vorkauf zugunsten der Wohnungsbaugenossenschaft „Am | |
| Ostseeplatz“ getätigt, im Zusammenspiel mit den Senatsverwaltungen für | |
| Finanzen und Stadtentwicklung. Über den Preis verrät Biedermann nichts, der | |
| Vorkauf sei aber zum regulären Kaufpreis erfolgt. Für Heimstaden läuft nach | |
| dem Vorkauf nun eine einmonatige Widerspruchsfrist. Der Konzern äußerte | |
| sich bislang nicht dazu. | |
| Friedrichshain-Kreuzberg will bei den beiden Häusern dort sogar ein | |
| verbilligtes Vorkaufsrecht durchsetzen, wie Bezirksstadtrat Florian Schmidt | |
| (Grüne) der taz bestätigte. Der Vorkauf könnte in diesem Fall also sogar | |
| dazu führen, überbewertete Immobilienpreise zurechtzurücken. | |
| Ein preislimitiertes Vorkaufsrecht erscheint dem Bezirk möglich aufgrund | |
| des Vorbesitzers, der sich offenbar nicht an den Mietendeckel gehalten | |
| hatte. Kaufen wollte Heimstaden die Häuser von dem Wohnungsunternehmen | |
| Schönhaus Immobilien GmbH. Das wiederum hatte nach Recherchen des | |
| [3][Tagesspiegels] in einigen der Häuser möblierte Wohnungen zeitlich | |
| befristet für 16 Euro pro Quadratmeter und aufwärts vermietet. Den | |
| Mietendeckel soll das Unternehmen laut Mieter:innen einfach ignoriert | |
| haben. Weil Heimstaden aber offenbar mit ähnlichen Einnahmen wie Schönheim | |
| rechnete, lag der Kaufpreis offenbar viel zu hoch: Nach einem | |
| Bezirksgutachten liegt der Preis bis zu 36 Prozent über dem Verkehrswert, | |
| wie Schmidt sagte. | |
| Ein komplettes Novum sei das preislimitierte Vorkaufsrecht dabei nicht, wie | |
| Schmidt sagte. Es befänden sich derzeit zwei ähnliche Fälle vor Gericht, | |
| wobei es in einem Urteil geheißen hatte, dass eine Preislimitierung | |
| zulässig sei, wenn der Kaufpreis um mindestens 25 Prozent den Verkehrswert | |
| überschreite, so Schmidt. Am Käufer lässt er nach harten Verhandlungen kein | |
| gutes Haar stehen: „Heimstaden versucht, mit allen Wassern gewaschen, | |
| Vorkauf und Milieuschutz auszubremsen.“ | |
| Bei weiteren betroffenen Häusern fehlten noch immer notwendige Unterlagen | |
| für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Der nun getätigte Vorkauf ist laut | |
| Schmidt dennoch „ein entscheidendes Signal an Heimstaden“. Man habe gut mit | |
| dem Senat zusammen gearbeitet. An Mieter:innen appellierte er, für weitere | |
| Vorkäufe Druck auf der Straße zu machen. | |
| In Neukölln gab es laut dem dortigen Bezirksamt keinen Spielraum für | |
| preislimitiertes Vorkaufsrecht. Biedermann gab zudem zu bedenken, dass beim | |
| preislimitierten Vorkaufsrecht der Verkäufer ein Rücktrittsrecht hätte und | |
| sich lange Rechtsstreits anschließen könnten. | |
| Die am Dienstag von Land und Bezirk erworbenen Häuser waren dabei nicht nur | |
| in dieser Hinsicht möglicherweise ein Präzedenzfall. Denn sie sind erst der | |
| Vorgeschmack auf die Investitionen, die Heimstaden aktuell in Berlin noch | |
| plant. Insbesondere fällt der jüngste Deal ins Gewicht, bei dem Heimstaden | |
| knapp 4.000 Wohnungen für 830 Millionen Euro kaufen will. Dieser Teil des | |
| neuen Portfolios geht nach taz-Recherchen auf den [4][intransparenten | |
| Konzern Gabriel International] zurück, der seine Berliner Bestände | |
| ordentlich ausdünnt oder sogar ganz verkauft. Neben den 27 betroffenen | |
| Häusern in Neukölln sind die Häuser des Deals über die gesamten | |
| Innenstadtbezirke verteilt. | |
| ## Die Mobilisierung ist groß | |
| Jagna Anderson ist eine der betroffenen Mieter:innen, die bis zuletzt auf | |
| den Vorkauf durch den Bezirk hofften. In den vergangenen zwei Monate ist | |
| sie so etwas wie eine Pressesprecherin für Mietenpolitik geworden. | |
| Anderson spricht für die Initiative Fünf Häuser, die mittlerweile auf 16 | |
| Häuser gewachsen ist und sich in Rekordzeit organisiert hat. Die stadtweite | |
| Vernetzung betroffener Mieter:innen bei Heimstaden läuft. Am Mittwochabend | |
| gibt es ein großes digitales Treffen, organisiert vom durch | |
| [5][landesmittel geförderten Initiativen-Forum]. | |
| Anderson sagt: „Klar ist die Situation unangenehm, aber es macht auch Spaß, | |
| sich zusammen zu tun und zu sehen, dass wir bei allen Unterschieden viel | |
| gemeinsam haben.“ Nach zehn Jahren in ihrem Haus in Kreuzberg habe sie | |
| jetzt erst viele nette Nachbar:innen kennen gelernt. „Das wird auf jeden | |
| Fall bleiben. Uns verbindet, dass wir alle partout nicht bei einem Miethai | |
| wohnen wollen und uns eine andere Stadt wünschen“, sagt Anderson. | |
| Für Gaby Gottwald, mietenpolitische Sprecherin der Linken, zeigt Berlins | |
| wohl größter Immobilendeal des Jahres, dass trotz Mietendeckel und | |
| Vorkaufsrecht weiter in Wohnraum investiert wird. „Immer mehr | |
| überschüssiges Kapital drängt in den Immobilienmarkt“, sagt Gottwald. Es | |
| mache ihr Sorgen, dass es offenbar trotz aller Maßnahmen immer noch einen | |
| solchen Druck gibt, in Immobilien anzulegen. | |
| Der Fall sei typisch: Auch hinter Heimstaden stehe ein Milliardär, ebenso | |
| hingen große Versicherungs- und Pensionsfonds mit drin: „Diese Unternehmen | |
| versuchen, über den Wohnungsmarkt die Altersversorgung in anderen Ländern | |
| zu sichern.“ Ähnlich ist es in Berlin etwa bei der viel kritisierten Firma | |
| Akelius. Gleichzeitig gebe sich Heimstaden mieter:innenfreundlich, so | |
| Gottwald: „Die charmieren herum bei Gott und der Welt, um den Eindruck zu | |
| vermitteln, dass sie ein guter Vermieter seien. Gleichzeitig verweigern sie | |
| aber gute Abwendungsvereinbarungen.“ | |
| In die Röhre gucken übrigens die Mieter:innen sechs weiterer Häuser in | |
| Friedrichshain und Mitte aus dem Schönheim-Deal, deren Wohnungen nicht im | |
| Milieuschutzgebiet liegen. In diesen Fällen sind den Bezirken und der | |
| Senatsverwaltung die Hände gebunden. Die Mieter:innen dieser Häuser haben | |
| am Dienstag Briefe bekommen, in denen steht, dass Heimstaden ihr neuer | |
| Vermieter sei. | |
| Bei drei weiteren Häusern mit Milieuschutz in Friedrichshain-Kreuzberg hat | |
| der Bezirk ebenfalls das Vorkaufsrecht nicht gezogen. Man habe auch hier | |
| geprüft, könne aber nicht jedes Haus retten, hieß es. Auch bei vier Häusern | |
| in Pankow, die eigentlich in sozialen Erhaltungsgebieten liegen, kam es | |
| nach taz-Informationen nicht zu Abwendungsvereinbarungen oder dem | |
| Vorkaufsrecht. Das dortige Bezirksamt wollte erst Anfang nächster Woche auf | |
| eine entsprechende taz-Anfrage antworten. | |
| Derzeit bangen aus dem zweiten Heimstaden-Paket allein in Neukölln noch 27 | |
| Häuser um Vorkaufsrecht: Eines der weiteren betroffenen Häuser ist am | |
| Wildenbruchplatz in Neukölln. Das Haus liegt im Milieuschutzgebiet | |
| Hertzbergplatz/Treptower Straße. Auch hier haben sich Mieter:innen aus 30 | |
| Wohnungen aus Angst vor Verdrängung bereits zu einer Hausgemeinschaft | |
| zusammengeschlossen und fordern den Vorkauf. In ihrem Fall, der deutlich | |
| größeren Charge von Heimstadens Shopping-Tour, läuft die Frist Ende | |
| November aus. | |
| Einer der Mieter sagt: „Als wir Anfang Oktober erfahren haben, dass unser | |
| Haus verkauft wird, war das für viele im Haus ein großer Schock. Teilweise | |
| wohnen die Leute seit Anfang der Siebziger hier. Wir wollen keinen | |
| Miethai.“ Um ihr Anliegen berlinweit stark zu machen, haben sie sich auch | |
| mit anderen Hausgemeinschaften vernetzt – „mit dem Mietenwahnsinn in Berlin | |
| muss endlich Schluss sein!“ | |
| 21 Oct 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Heimstaden-und-die-Skjerven-Group/!5720069 | |
| [2] https://twitter.com/f_schmidt_BB/status/1318593329504882689 | |
| [3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/schwedische-firma-kauft-tausende-wohnung… | |
| [4] /Immobilien-Firma-enttarnt/!5661142 | |
| [5] https://iniforum-berlin.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
| ## TAGS | |
| Vorkaufsrecht | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Mieten | |
| Mietpreisbremse | |
| Berlin-Kreuzberg | |
| Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
| Spekulation | |
| Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
| Mietendeckel | |
| Soziale Bewegungen | |
| Mietendeckel | |
| Bezirksamt | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Mietwucher in Berlin: 66 Quadratmeter für 1.100 Euro, kalt | |
| Der Immobilienkonzern Heimstaden verlangt horrende Mieten und gibt vor, | |
| Wohnungen umfassend modernisiert zu haben. taz-Recherchen belegen anderes. | |
| Hausbrand in Kreuzberg: Ausgebrannte Mieter*innen | |
| Ein Jahr nach dem Brand warten die Bewohner*innen noch immer auf eine | |
| Rückkehr. Sie befürchten: Das will der Eigentümer gar nicht. | |
| Studie zum Wohnungsmarkt in Berlin: Im Immobilienhimmel | |
| Von wegen gebeutelte Kleinvermieter: Laut der „Wem gehört die Stadt“-Studie | |
| der Rosa-Luxemburg-Stiftung gehört fast halb Berlin Millionären. | |
| Protest gegen Spekulanten: Ruf nach Enteignung | |
| Am Sonntag demonstrierten Mieter*innen gegen die Sanierungspläne des | |
| schwedischen Immobilienkonzerns Heimstaden Bostad in Berlin. | |
| Eilbeschluss zu Mietendeckel: Berliner Mieten dürfen sinken | |
| Das Bundesverfassungsgericht hat einen Eilantrag gegen die zweite Stufe des | |
| Mietendeckels abgelehnt. Die Hauptentscheidung kommt aber erst 2021. | |
| Berliner Mietendeckel: Urteil bis Mitte 2021 angekündigt | |
| Das Bundesverfassungsgericht will bis Juni über die Zulässigkeit des | |
| Mietendeckels entscheiden. Das Urteil dürfte damit den Wahlkampf | |
| beeinflussen. | |
| Heimstaden und die Skjerven Group: Widerstand gegen die Schweden | |
| Mieter:innen vernetzen sich gegen Heimstaden: Der Konzern kaufte Bestände | |
| des undurchsichtigen Players Gabriel International | |
| Schwedischer Wohnungskonzern kauft ein: Malmö in Berlin | |
| Der Konzern Heimstaden kauft mit seiner Tochterfirma Skjerven-Gruppe fast | |
| 4.000 Wohnungen. Der Investor wäre damit von einer Enteignung betroffen. | |
| Mietproteste in Moabit: Wohnen auf schwedisch | |
| Die Waldenserstraße 9 in Moabit mit rund 60 Mietparteien wurde von einem | |
| schwedischen Investor aufgekauft. |