# taz.de -- Lehrer über Trans*personen in der Schule: „Aufklärung hilft“ | |
> Der schwule Hamburger Lehrer Benjamin Ehlers findet, es gehöre zum | |
> Erziehungsauftrag, Schüler*innen zu akzeptieren, wie sie sind. | |
Bild: Fest der Diversität: Parade zum Christopher Street Day in Hamburg im Jah… | |
taz: Herr Ehlers, „schwul“ ist auf dem Schulhof immer noch ein Schimpfwort. | |
Wie kommt das? | |
Benjamin Ehlers: Über ein gewisses Männlichkeitsbild: dass es Vorstellungen | |
davon gibt, wie sich Männer oder Frauen „richtig“ zu verhalten haben. Die | |
Abwertung von Andersartigkeit gehört als Abgrenzung erst mal zur | |
Persönlichkeitsentwicklung. Gleichzeitig ist es natürlich nicht okay, dass | |
man [1][Menschen abwertet]. | |
Nehmen [2][queere Schüler] sich das zu Herzen oder gehen sie davon aus, | |
dass das einfach so dahingesagt wird? | |
Es gibt eine ganze Menge Studien, die zeigen, dass das von den Betroffenen | |
stark wahrgenommen wird. Zugleich zeigt sich, dass unterschiedliche | |
Abwertungsbereiche der gruppenbezogenenen Menschenfeindlichkeit, also nicht | |
nur die Abwertung von Schwulen und Lesben, sondern auch von Menschen mit | |
anderer Hautfarbe oder Menschen mit Handicap, eine Signalwirkung gegenüber | |
queeren Schüler*innen haben und es da eine starke Verknüpfung gibt. | |
Das heißt, es macht den Schülern sehr wohl was aus, auch wenn bloß Mathe | |
als schwul bezeichnet wird? | |
Das wird wahrgenommen, und umgekehrt wird auch wahrgenommen und honoriert, | |
wenn Lehrkräfte mit einer klaren Haltung einschreiten. | |
Sind die Schüler heute weiter als Ihre Klassenkameraden zu Ihrer Schulzeit? | |
Ganz bestimmt. Die Schüler*innen haben durch das Internet und eine sich | |
verändernde Gesellschaft viel früher Berührungspunkte mit dem Anderssein, | |
anderen Lebenswelten, anderen Familienformen. Das sorgt dafür, dass viel | |
früher bestimmte Begriffe bekannt sind. Die Schüler*innen merken: Es gibt | |
andere Rollenbilder, es gibt die Möglichkeit, sich ein Vorbild zu suchen. | |
Das ist in meiner Schulzeit – obwohl die erst 15 Jahre her ist – ganz | |
anders gewesen. | |
Werden Sie als schwuler Lehrer von den Schülern infrage gestellt? | |
Ich persönlich überhaupt nicht. Ich hatte einmal ein kleines Erlebnis, wo | |
mir ein Schüler hinterhergerufen hat, aber das konnten wir innerhalb der | |
Schule sehr schnell disziplinarisch regeln, damit es nicht mehr vorkommt. | |
Ich erlebe, dass Schüler*innen sehr neugierig sind. In meiner Tätigkeit mit | |
queeren Lehrern und Lehrerinnen habe ich eine Menge Beratungsgespräche | |
geführt, auch über die Frage: „Soll ich mich outen oder nicht?“ Ein | |
Schlüsselindikator ist, ob man ein gutes Standing bei den Schüler*innen | |
hat. Wenn man ein gutes Verhältnis hat, wenn man gemocht wird – dann ist | |
Queersein kein Grund, negativ angeschaut zu werden, sondern es ist eher | |
eine Facette, die ein*e Schüler*in erst recht interessant finden kann. | |
Sind Sie der natürliche Ansprechpartner für queere Schüler? | |
In meiner Position als stellvertretender Schulleiter bin ich nicht für | |
viele Schüler der erste Ansprechpartner, weil es eine Hürde darstellt, zur | |
Schulleitung zu gehen. Aber ich habe tolle Kolleg*innen – Lehrkräfte wie | |
Sozialpädagog*innen –, die von den Schüler*innen angesprochen werden. | |
Manchmal berate ich sowohl die Lehrkräfte als auch die Schüler*innen, wenn | |
sich Fragen ergeben, bei denen es gut ist, wenn jemand dabei ist, der das | |
alles einmal durchgemacht hat. Jemand, der ihnen erzählen kann, dass die | |
Sorgen und Ängste, die man hat, vorbei gehen; dass man, wenn man sich | |
getraut hat, sich zu outen, oft viel freier lebt. | |
Wie häufig melden sich queere Schüler bei Ihnen oder Ihren Kollegen? | |
Zweimal pro Monat. | |
In welcher Form geschieht das? | |
Die Schüler*innen sprechen oft Erwachsene an, denen sie vertrauen, ob das | |
die Klassenleitung ist, die Sozialpädagog*in – Leute, die einfach viel mit | |
den Schüler*innen zu tun haben. Manchmal sind es auch Fachlehrer*innen, die | |
ein vertrauliches Verhältnis zu den Schüler*innen aufbauen konnten. Die | |
werden dann mit bestimmten Fragen konfrontiert. | |
Was für Fragen sind das? | |
Lehrkräfte, die selber lesbisch oder schwul sind, werden gefragt: Wie war | |
das damals, als Sie sich [3][geoutet] haben? Wie haben Ihre Eltern | |
reagiert? Wie merke ich eigentlich, ob ich schwul bin oder lesbisch? Wie | |
war das, als Sie sich zum ersten Mal verliebt haben? Das geschieht, wenn | |
das Gefühl aufkommt: Ich kann über bestimmte Sachen mit meinen | |
Mitschüler*innen nicht sprechen. Mit den eigenen Eltern spricht man oft | |
nicht darüber, weil das schambesetzt ist. | |
Wie geht Ihre Schule allgemein mit dem Thema „Queersein“ um? | |
Wir haben eine Projektgruppe, die sich über das hinaus engagiert, was wir | |
ohnehin schon als „Schule mit Courage – Schule ohne Rassismus“ machen, und | |
mit anderen Schulen überlegt: Wie kann man Vielfalt im Schulgebäude | |
darstellen? Wie kann man auf Beratungsangebote hinweisen? Wie kann man die | |
Sichtbarkeit erhöhen? | |
Wie groß ist der Freiraum dafür? | |
Man kann das Thema Vielfalt ganz verschieden im Unterricht aufgreifen. Man | |
kann es punktuell zu bestimmten Ereignissen, einem Gedenktag oder im Rahmen | |
einer Projektwoche besprechen. Aber man kann auch im laufenden | |
Fachunterricht Anknüpfungspunkte finden: Ich kann im Deutschunterricht eine | |
Lektüre wählen, in der eine queere Figur auftaucht. Ich kann im | |
Mathe-Unterricht, sollte kurz vor den Sommerferien die Luft ein bisschen | |
raus sein, den Film über Alain Turing zeigen. Er hat im Zweiten Weltkrieg | |
die deutsche Verschlüsselungsmaschine Enigma decodiert und wurde als | |
schwuler Mann von der britischen Regierung diskriminiert. Im | |
Englischunterricht kann ich mich mit Queer History beschäftigen und | |
schauen: Wo sind die Parallelen zur schwarzen Befreiungsbewegung? | |
Das hängt natürlich an den Lehrkräften... | |
Die müssen erst mal Bescheid wissen und Ideen dafür haben. Sie müssen darin | |
fit gemacht werden. Dazu kann man sie schulintern fortbilden. Oft sind | |
Lehrkräfte sehr dankbar, wenn man ihnen die Materialien zur Verfügung | |
stellt. Das mache ich nicht von oben, sondern das läuft innerhalb des | |
Kollegiums. Die Fachkonferenzen können ja selbst überlegen, wie sie die | |
Vorgaben im Rahmenplan umsetzen. Tatsächlich gehört dazu Vielfalt im Sinne | |
eines pluralistischen Gesellschaftsbegriffs, nicht nur im geschlechtlichen | |
Bereich, sondern auch von Sprachen oder Familienkulturen. | |
Was geschieht, wenn ein Lehrer einfach nicht zur Kenntnis nehmen will, dass | |
ein Schüler, der aussieht wie ein Mädchen, gern als Junge angesprochen | |
werden möchte? | |
Dann würde ich sagen, dass der Kollege oder die Kollegin an bestimmten | |
Stellen ihrer Fürsorgepflicht nicht voll nachkommt. Es gehört zum Bildungs- | |
und Erziehungsauftrag, die Schüler*innen zu akzeptieren, wie sie sind, sie | |
zu bestärken, sodass sie sich gut entwickeln können. Ich hatte verschiedene | |
Gespräche, wo genau diese Situation vorlag. Ich habe gemerkt, dass | |
Aufklärung hilft. Und natürlich gilt: Lehrkräfte müssen sich fortbilden, | |
müssen besser Bescheid wissen. In dem Moment, wo der Groschen gefallen ist, | |
wo sie merken, da stecken psychologische Konzepte dahinter, das ist ernst | |
zu nehmen, was einem die Schüler*innen erzählen – in dem Moment ändert sich | |
etwas. Danach habe ich von den Schüler*innen keine weiteren Beschwerden | |
bekommen. | |
6 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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