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# taz.de -- Trans*Personen in der Schule: Wenn Lehrer nicht begreifen
> Um Akzeptanz für ihr Coming Out müssen Trans*Personen oft kämpfen. Auch
> an staatlichen Schulen werden sie von Lehrkräften häufig bevormundet.
Bild: Worte sind Waffen
Bremen taz | Fast zwei Jahre lang hat sich Noahs* Klassenlehrer geweigert,
ihn als Jungen anzusprechen. Er hatte ihn mit seinem alten Namen aufgerufen
und weibliche Pronomen benutzt, wenn er über Noah sprach. „Er meinte, es
sei normal, dass es zu weiblichen Auseinandersetzungen kommt, wenn Mutter
und Tochter allein zusammen wohnen“, sagt Noah. „Das sei nur eine Phase und
gehe bald vorbei.“
Noah ist heute 13 Jahre alt und er wurde bei der Geburt fälschlicherweise
als weiblich kategorisiert. Er besucht eine allgemeinbildende
weiterführende Schule, die eigentlich als offen und tolerant gilt. Und
tatsächlich verwenden die meisten Lehrkräfte Noahs neuen Namen und benutzen
männliche Pronomen, seit er sich vor fast zwei Jahren als trans* outete.
Und trotzdem hatte er nach seinem Coming-out mit Unverständnis zu kämpfen.
Die fehlende Akzeptanz des Klassenlehrers hatte großen Einfluss auf die
Mitschüler*innen – die Mehrheit der Klasse benutzte nach dessen Vorbild
einfach weiter den alten Namen. „Es hat mich seelisch verletzt“, sagt Noah.
„Ich habe es sowieso gehasst, in Folge der Pubertät immer weiblicher zu
werden, und dann die ganze Zeit als Mädchen angesprochen zu werden, hat
nicht unbedingt geholfen.“
Deadnaming, also eine trans* Person mit ihrem früheren Namen und Geschlecht
zu benennen, ist für diese meist sehr verletzend. Deshalb gibt es
Initiativen, um es strafbar zu machen. So setzt sich die
Arbeitsgemeinschaft „Queer-Grün“ momentan bei den Grünen dafür ein, dass
die Partei sich für eine Gesetzesänderung stark macht. Deadnaming soll als
Beleidigungstatbestand anerkannt werden.
Die AG hatte darauf reagiert, dass der grüne Tübinger Oberbürgermeister
Boris Palmer die Parteikollegin Maike Pfuderer mehrmals auf Facebook, mit
Kenntnis ihrer Vorgeschichte, bei ihrem alten Namen genannt hatte. Er hatte
dies auch nach wiederholten Aufforderungen von Pfuderer nicht unterlassen.
Die Staatsanwaltschaft Tübingen hatte zugunsten Palmers entschieden, dass
Deadnaming keine Beleidigung sei.
„In der siebten Klasse habe ich mich dann erneut geoutet“, so Noah. Er habe
seinen Lehrer gebeten, ihn mit seinem neuen Namen anzusprechen. Aber der
blieb einfach bei seiner Abwehr. „Er meinte, ich müsste mit einem
Psychotherapeuten herkommen und Beweise vorlegen.“ Ein Attest, als wäre er
krank.
Die erneute Verweigerung war zu viel. Noah hatte immer wieder
Nervenzusammenbrüche und rutschte in eine depressive Phase. Am Ende der
siebten Klasse war er so angeschlagen, dass sich seine Mutter einschaltete.
Es fand ein Gespräch zwischen ihm, seiner Mutter und dem Lehrer statt, bei
dem seine Mutter die Situation erneut schildern und Unterlagen
unterzeichnen musste, damit sich der Klassenlehrer endlich bereit erklärte,
Noah als Jungen zu akzeptieren.
Trans* Personen müssen oft hart um Akzeptanz und Verständnis kämpfen. Auch
an Bremer Schulen führt unter anderem fehlendes Wissen dazu, dass trans*
Schüler*innen sich ständig selbst erklären müssen. Die Schulbehörde
arbeitet nach eigenen Angaben an Maßnahmen zur Verbesserung der jetzigen
Lage. Ein Schritt, der eigentlich längst überfällig ist.
Ausgelöst wurde die aktuelle Debatte von dem Fall „Max“: Ein trans* Junge,
der Schüler an der Freien Evangelischen Bekenntnisschule Bremen gewesen
war, hatte den Mut gefunden, von massivem Mobbing zu erzählen.
Schulleitung, Lehrkräfte und Mitschüler*innen hätten versucht, ihn
zurechtzubeten. Der Schulleiter verhängte ein Verbot, ihn bei dem von ihm
selbst gewählten Namen zu nennen, und Mitschüler empfahlen ihm per SMS den
Besuch einer Konversionstherapie. „Der Fall ‚Max‘ hat uns schockiert und
ist inakzeptabel“, erklärt Antje Grotheer, Sprecherin für Queerpolitik bei
der SPD.
In diesem Fall ist das Problem zugespitzt: Die evangelikale Linie der
Schule, die private Trägerschaft – das sind besondere Zutaten. Doch auch an
weltlichen, öffentlichen Schulen ohne religiöse Vorschriften gibt es
Probleme.
Am Ende der siebten Klasse hatten sich Noahs Mitschüler*innen größtenteils
an die Umstellung gewöhnt. Trotzdem musste sich Noah immer wieder erklären.
„Manche meinten am Anfang, es sei eklig, einfach weil sie nicht wussten,
was Transgender bedeutet.“
Seiner Meinung nach sollte man den Unterricht unbedingt um Themen zur
geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt erweitern. „Wenn man solche Themen
in den Unterricht mit einbringen würde, wäre das ein Schritt, sie in den
allgemeinen Wissensstand zu integrieren“, sagt Noah. „Wenn die Leute
aufgeklärter sind, können sie uns vielleicht auch besser akzeptieren.“ Dazu
müssten aber zuerst einmal die Lehrkräfte fortgebildet und sensibilisiert
werden.
Auch Doris Achelwilm, Bremer Abgeordnete der Linken im Bundestag und
Sprecherin für Queerpolitik, sieht Handlungsbedarf. „Wenn queere
Schüler*innen aufgrund struktureller Benachteiligung oder mangelnder
behördlicher ‚Queerkompetenz‘, durch Mobbing und fehlende Anerkennung in
der Schule schlechtere Ergebnisse und Förderchancen haben, ist das ein
gravierendes Problem“, sagt sie. Das müsse „auch bundespolitisch gemeinsam
mit den Verantwortlichen der Länder zur Kenntnis genommen und bearbeitet
werden“.
Noahs Meinung nach sollte man in der Schule über Sexualität facettenreicher
berichten. „Die meisten Jungs in meiner Klasse dachten, Schwulsein heißt
unbedingt, in den Arsch gefickt zu werden.“ Solche Vorurteile könne die
Schule ja auflösen. „Zum Beispiel könnte man den Sexualkundeunterricht
erweitern, auch um zu schützen“, regt Noah an. „Geschlechtskrankheiten
können ja nicht nur bei Heteros übertragen werden.“
## Die Körper der anderen
Laut Achelwilm wäre es ein wichtiges Signal, wenn bei bildungspolitischen
Spitzentreffen, wie etwa der Kultusminister*innen-Konferenz, verstärkt
darüber gesprochen würde, wie Lehrkräfte und Schulsozialarbeit besser auf
LSBTIQ-Schüler*innen eingehen könnten. Dies sei vor allem wichtig, da
„Homo- und Transfeindlichkeit in der Schule potenziell tiefgreifende Folgen
für das spätere Berufsleben“ hätten. Auch ein „bundespolitisch
unterstützter Ausbau von Beratungsstellen und queerer Infrastruktur“ könne
die Situation für jugendliche LSBTIQ verbessern.
Noah hatte früh gemerkt, dass er irgendwie anders war. Er bewunderte andere
Jungs, merkte aber, dass es keine Schwärmerei war. „Irgendwann habe ich
realisiert, dass ich Jungs darum beneide, dass sie einen männlichen Körper
haben.“ Er fühlte sich in seinem Körper nicht angenommen, konnte es aber
nur schwer beschreiben. Als er dann das erste Mal den Begriff Transgender
hörte, fand er sich darin wieder. „Vorher hatte ich immer gesagt, dass ich
lieber ein Junge wäre, aber nun hatte ich endlich ein Wort dafür.“
Wenn er jetzt von Mitschüler*innen mit dem alten Namen angesprochen wird,
korrigiert er sie sofort. „Manchmal passiert das aus Versehen oder weil sie
noch nicht Bescheid wissen“, erzählt Noah. „Wenn sie sich dann korrigieren,
ist es voll okay, aber manchmal gibt es welche, die sich einfach weigern,
und das macht mich wütend. Es ist wirklich nicht so schwer, eine Person bei
einem anderen Namen und Pronomen zu nennen. Die sind dann einfach
ignorant.“
Schulpolitik ist Landespolitik, doch die Kenntnisstände unter den
Abgeordneten der bremischen Bürgerschaft zu dem Thema sind recht
unterschiedlich. Die CDU tastet sich an das Thema heran. Auf die Frage, ob
Handlungsbedarf besteht, antwortet Sina Dertwinkel, Sprecherin für
Gleichstellung in der CDU Fraktion: „Wir verurteilen jede Art von
Diskriminierung, Mobbing und Benachteiligung und lehnen sie entschieden ab,
ganz gleich, wo sie geschieht. Denn es ist nicht nur eine Aufgabe der
Schule, sondern eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung.“
Die rot-grün-rote Koalition ist sich einig, dass Handlungsbedarf besteht.
Antje Grotheer von der SPD erklärt: „Wir gehen davon aus, dass der Senat
auch weiterhin sämtlichen Fällen von Mobbing, die bekannt werden,
entschieden nachgeht und im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten
Konsequenzen zieht.“ Die Grünen-Fraktion in der Bürgerschaft hat kürzlich
eine Anfrage an die Bildungssenatorin gestellt, um eine „detaillierte
Übersicht über die aktuellen Probleme im Umgang mit trans* Personen an
Bremer Schulen zu schaffen“. Aktuell gebe es Diskussionen um Präventions-
und Schutzmaßnahmen, berichtet Maja Tegeler, Sprecherin für Queerpolitik
bei der Bremer Linken.
Noah hat jedenfalls klare Wünsche an die Politik. „Man sollte das Tabu um
queere Themen auflösen“, meint er. „So viele Leute sind so unwissend. Sie
wissen einfach nicht Bescheid und denken deshalb, dass es falsch ist.“
Kinder sollten von Anfang an lernen, dass Queersein ganz normal ist.
*Name von der Redaktion geändert
1 Dec 2020
## AUTOREN
Luna Groß García
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Transpersonen
Transgender
Gewalt in der Schule
Schule
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Diskriminierung
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