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# taz.de -- Buchautor über „Ich bin Linus“: „Neuer, zweiter Zugang zum L…
> Für Linus Giese war sein Coming-out als trans Mann eine Befreiung, trotz
> Transfeindlichkeit. Ein Gespräch über sein Buch, Solidarität und
> Boxershorts.
Bild: Wünscht sich mehr Offenheit gegenüber trans Personen: Linus Giese
taz: Herr Giese, der Kaffeebecher auf Ihrem Buchcover hat schon etwas von
einem Phallussymbol, nicht?
Linus Giese: Das hätte mir auch gut gefallen! (lacht)
Man versteht aber schnell: Der Becher steht aus anderen Gründen für Ihr
Coming-out.
Im Oktober 2017 habe ich [1][mich als trans Mann] geoutet. Ein Barista im
Starbucks im Frankfurter Hauptbahnhof hat mich gefragt, welchen Namen er
auf meinen Becher schreiben soll. Dann habe ich zum ersten Mal Linus
gesagt. Ich hab ein Foto von dem Becher auf Facebook geteilt. Ich hatte
Angst, dass Nachfragen kommen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen,
dass ich das sagen darf und kann. Und dass Leute verständnisvoll darauf
reagieren.
Wie waren die Reaktionen?
Positiv. Viele haben gesagt, sie seien nicht überrascht, hätten es ein
bisschen geahnt. Ich habe das einen Tag vor der Frankfurter Buchmesse
gepostet und dann nicht mehr in die Kommentare geguckt. Ich hatte nur
geschrieben: Ich freue mich, wenn wir uns auf der Buchmesse sehen und ihr
dann „Linus“ zu mir sagt. Und das haben dann auch alle gemacht, die den
Post gelesen hatten. Das war meine aufregendste Buchmesse.
Obwohl Sie viel Schlimmes erlebt haben, geht es im Buch auch um Euphorie.
Es hat mich glücklich gemacht, als ich Testosteron bekommen habe; meine
Stimme tiefer wurde, die Haare anfingen zu wachsen. Als ich mir zum ersten
Mal Rasierschaum gekauft habe. Die ersten Boxershorts! Es macht mir Spaß,
mich neu kennenzulernen. Ich will nicht sagen, mir wurde ein zweites Leben
geschenkt – das klingt zu kitschig! Aber vielleicht ein neuer, zweiter
Zugang zum Leben!
Kurz vor Corona war ich zum ersten Mal im Fitnessstudio. Davor hatte ich
lange Angst, weil es so hypermaskulin dort ist, habe mich gefragt, ob ich
in der Männerumkleide akzeptiert werde. Und das war ein tolles Gefühl: Ich
kann auch an einem solchen Ort bestehen. Oder – es interessiert vielleicht
auch niemanden.
Ihre Erlebnisse im Buch heben sich ab von gängigen Narrativen über trans
Menschen, etwa in Filmen. Dort ist oft die geschlechtsangleichende OP der
dramaturgische Punkt, auf den alles hinläuft.
Ich dachte ursprünglich, ich könne kein solches Buch schreiben, wenn ich
nicht vorher alle möglichen Schritte abgehakt hätte. Dass ich vorher noch
nicht „trans genug“ sei, um das Recht dazu zu haben. Ich hatte zwar schon
Testosteron genommen, aber meinen Namen noch nicht geändert. Mit der Zeit
habe ich gemerkt, dass es vielleicht wichtiger ist, was vor so einer
möglichen OP geschieht.
Es gibt kaum trans Männer in der Öffentlichkeit, die noch nicht operiert
sind. Balian Buschbaum legt in seinem Buch Wert darauf, dass er all diese
OPs brauchte, um ein richtiger Mann zu werden. Ich betone eher, dass nicht
jeder das alles unbedingt braucht. Ich habe auch jetzt schon das Recht zu
sagen: Ich bin ein Mann – und ich möchte so akzeptiert werden.
Trans Aktivist Till Randolf Amelung hat [2][im taz-Interview kürzlich
gesagt]: Manche junge Menschen behaupteten, trans zu sein, um von anderen
Problemen abzulenken, denen sie sich eigentlich stellen müssten.
Es gibt bestimmt Jugendliche, für die das eine Flucht oder ein Ausweg ist.
Oder auch ein Irrweg meinetwegen. Aber ich bin ein Vertreter davon, Kindern
zu glauben und sie ernst zu nehmen. Im Laufe der Zeit wird sich ja
herausstellen, wie valide dieser Wunsch ist. Ich weiß nicht genau, was sich
Till Amelung wünscht.
Eine Kontrollinstanz, die sagt, diese Menschen meinen es ernst und diese
nicht? Ich habe nicht das Gefühl, dass mir als trans Mann Jugendliche etwas
wegnehmen, die sich unsicher sind. Wir müssen allen Menschen zugestehen,
Dinge auszuprobieren und experimentieren zu dürfen.
Ins Feld geführt werden bei solchen Diskussionen dann oft auch
detransitioners: Menschen, die merken, dass sie doch nicht trans sind.
In allen Lebensbereichen wird Menschen zugestanden, Dinge bereuen zu
dürfen: Menschen bereuen ihre Hochzeit; dass sie Kinder bekommen haben;
dass sie abgetrieben haben. Ihre Tätowierungen. Aber trans Menschen wird
weniger zugestanden, dass sie Dinge bereuen oder zumindest nach ein paar
Jahren feststellen: Das ist doch nicht der Weg, den sie gehen möchten.
Dabei entsteht ja kein gesellschaftlicher Schaden.
Wenn Hormone – und nicht nur Hormonblocker – genommen werden, sind
bestimmte biologische Prozesse möglicherweise unumkehrbar.
Ja. Auf der anderen Seite nehmen viele [3][Leute die Pille], ohne dass da
zwei psychologische Gutachten vorher angefertigt werden. Und das ist auch
ein Hormon mit starken Auswirkungen auf die Psyche. Ich glaube, es würde
uns guttun, diese Debatte zu entschärfen. Müsste sie nicht eher unter
Psychotherapeut:innen geführt werden? Unter behandelnden Personen und
den Eltern betroffener Kinder?
Die Identität von trans Menschen wird sowieso oft infrage gestellt. Durch
solche öffentliche Diskussionen noch mehr?
Wir werden angegriffen. Ein beliebtes Argument ist, homosexuelle
Jugendliche würden ihre Identität verleugnen und stattdessen trans werden.
Ich frage mich: In was für einer Gesellschaft lebt man, in der es leichter
sein soll, trans zu sein als lesbisch oder schwul? Ich habe vor meinem
Coming-out als trans Mann acht Jahre lang in einer lesbischen Beziehung
gelebt und habe nicht im Ansatz vergleichbare Diskriminierung erlebt wie in
den letzten drei Jahren als trans Mann.
J. K. Rowling hingegen behauptet, Transition sei eine Art
Korrektivtherapie, da man durch die Transition hetero werden könne.
Da wird etwas völlig negiert: Ich kenne trans Männer, die mit Männern
zusammen sind. Ich kenne trans Männer, die mit Frauen zusammen sind. Das
ist genauso vielfältig wie bei cis Personen. Ich halte das also für eine
[4][sehr kurz gegriffene These] von Frau Rowling.
Was würden Sie Frau Rowling sagen, falls Sie sie mal treffen würden?
Oh, dass sie bitte den Mund halten soll! Sie hat eine große Plattform und
richtet einen unglaublichen Schaden an mit dem, was sie da verbreitet. Sie
könnte so viel Gutes tun mit ihrer Reichweite und ihrem Geld. Und sie nutzt
das, um Menschen zu schaden, die ohnehin so viel in ihrem Leben
diskriminiert werden. Weil sich trans Frauen zum Beispiel gar nicht erst
auf die Frauentoilette trauen, weil sie dort Gewalt erleben.
Donald Trump hat ein Gesetz in Auftrag gegeben, dass trans Frauen an
Obdachlosenunterkünften abgewiesen werden dürfen. J. K. Rowling greift eine
Menschengruppe an, die in so vielen Ländern dieser Welt unter Beschuss
steht. Sie steigert sich da immer mehr rein, obwohl sie sich auch mit
vielen anderen Dingen beschäftigen könnte.
Warum fühlen sich Feminist:innen wie Rowling bedroht, wenn trans Menschen
sichtbar sein und Rechte wollen?
Das ist spannend und traurig. Gerade cis Frauen haben sehr lange um
Sichtbarkeit gekämpft. Darum, nicht nur mitgemeint, sondern auch
angesprochen zu werden. Dass sie sich nun angegriffen fühlen, weil trans
Menschen auch Punkte haben, die ihnen wichtig sind – finde ich schon krass.
Von einer Sorte Transfeindlichkeit, die Sie im Buch beschreiben, hört man
nicht oft: Sie wurden von Internet-Trollen gestalkt.
Ich habe das lange digital erlebt, nach meinem Coming-out auf Twitter. Ich
war vorher acht Jahre lang Buchblogger, mit Klarnamen und Foto – und hatte
nie Hasskommentare oder Androhungen bekommen. Drei Monate nach meinem
Coming-out wurden Menschen auf meinen Twitter-Account aufmerksam, die sich
provoziert oder gestört gefühlt haben.
Sie haben andere dazu aufgerufen, bei meinem Arbeitsplatz anzurufen und
nach mir, mit meinem alten Namen zu fragen. Der Hass fand auch im analogen
Leben statt. Immer wieder kam mal jemand in den Buchladen, dort wurde ich
auch einmal gefilmt. Oder jemand stand vor meiner Wohnungstür.
Gibt es Tricks beim Umgang mit digitalem Hass?
Sascha Lobo hat mir mal gesagt, dass das nicht ich bin, den diese Menschen
hassen, sondern dass ich als Symbol für etwas stehe, das Menschen ablehnen.
Das hilft mir, das von mir zu trennen.
Welche Solidarität wünschen Sie sich von cis Menschen?
Ich glaube, dass cis Menschen viel lernen können, indem sie einfach
zuhören. Und sich fragen: Wie vielen trans Menschen folgen sie eigentlich
auf Twitter und Instagram? Wie viele Serien schauen sie? „Pose“,
„Transparent“? Wie viele Bücher lesen sie? Bei „Disclosure“ auf Netflix
lernt man in anderthalb Stunden wahnsinnig viel. Queers sind ja ständig mit
Inhalten konfrontiert, in denen sie nicht vorkommen.
Heterosexuelle cis Menschen sind das nicht gewohnt. Da würde ich mir eine
größere Offenheit wünschen. Auch dass mein Buch nicht nur von trans
Menschen, sondern auch von cis Menschen gelesen wird – die danach in ihrem
Umfeld schauen: Gibt es in meiner Firma trans Menschen? Wie geht man als
Vorgesetze:r oder Vermieter:in damit um, wenn jemand einen neuen Vornamen
hat? Da gibt es Kleinigkeiten, über die sich trans Menschen sehr freuen –
und die für niemanden aufwendig sind.
19 Aug 2020
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## AUTOREN
Stefan Hochgesand
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