| # taz.de -- Queere Tragikomödie „Futur Drei“: Der Sommer einer neuen Zeit | |
| > In seinem Filmdebüt erzählt Faraz Shariat von Rassismus im Alltag, | |
| > Freundschaft und schwuler Liebe. Und arbeitet (post-)migrantische | |
| > Erfahrungen auf. | |
| Bild: Parvis (Benjamin Radjaipour), ausstaffiert als Sailor Moon | |
| Warum sprechen wir im Deutschen eigentlich meist in der Zeitform der | |
| Gegenwart, dem Präsens – auch wenn es um die Zukunft geht? Fehlt die | |
| Fantasie für eine Zukunft, die über die Gegenwart hinauswächst? | |
| [1][„Futur Drei“], der utopische Freundschafts- und schwule Liebesfilm von | |
| [2][Regisseur Faraz Shariat], Jahrgang 1994, führt schon im Titel eine | |
| Zeitform an, die es im Deutschen (noch) nicht gibt. Die Grenzen der | |
| Grammatik sind die Grenzen deiner Welt. Also: Grenzen sprengen, um weiter | |
| zu gucken. Und, ja, „Futur Drei“ guckt dorthin, wo noch nie ein deutscher | |
| Film gewesen ist. Wir brauchen mehr davon! | |
| Parvis (Benjamin Radjaipour) kann frei die Arme schwingen im | |
| rotdurchfluteten Disco-Keller. Kurz danach taucht am Rande des Tanzbodens | |
| dennoch die Frage auf, wo er denn ursprünglich herkomme? Es sind übrigens | |
| die ersten gesprochenen Worte im Film. | |
| Oder: Parvis lässt sich beim Grindr-Date auf der Couch durchbumsen, von | |
| einem Typ, der anscheinend kein Problem damit hat, seine Zunge im Hintern | |
| von Parvis zu vergraben. Doch bei der Zigarette danach auf dem Balkon | |
| stellt er dann klar, dass er noch nie was mit „so einem“ hatte, einem | |
| „Ausländer“ – eigentlich stehe er da nicht so drauf. „Cool“, sagt Pa… | |
| scheinbar kleinlaut, „kein Problem.“ Und nach einer Kunstpause: „Ich steh | |
| eigentlich auch nicht so auf jung gebliebene Kartoffeln.“ Touché! | |
| ## Blondiertes Deckhaar und Sailor-Moon-Kostüm | |
| Aber ja, die Frage der Identität – die ist wohl noch nicht so ganz geklärt | |
| für Parvis, der mit seinen Eltern, die aus dem Iran kamen, zusammen im | |
| beschaulichen Hildesheim wohnt, das viele nur daher kennen, weil man da | |
| Kreatives Schreiben studieren kann. Parvis aber studiert nicht Kreatives | |
| Schreiben, sondern leistet Sozialstunden ab. In einem Heim für Geflüchtete. | |
| Mit seinem blondierten Deckhaar fällt er da eh schon zur Genüge auf – die | |
| Ohrringe lässt er lieber schnell in der Hosentasche verschwinden. Identität | |
| verstecken. Denn ansonsten geht Parvis auch voll drauf ab, sich für Partys | |
| als Sailor Moon zu verkleiden, die Manga-Ritterin für Liebe und | |
| Gerechtigkeit, bekannt aus Funk und Fernsehen in den 1990ern. Jedenfalls | |
| bei Kindern dieser Zeit. | |
| In der Flüchtlingsunterkunft arbeitet Parvis als Dolmetscher. Zwar hat er | |
| Probleme mit diversen Farsi-Dialekten (er ist halt in Deutschland | |
| aufgewachsen), doch gibt es scheinbar niemanden, der es besser könnte. So | |
| erfindet er dann auch mal eine Schwangerschaft, um die Frau vor der | |
| Abschiebung zu bewahren. | |
| Fasziniert von Parvis, der sich elegant bewegt, charmant | |
| Anglizismen-Feuerwerke zündet und coole enge Musterhemden trägt, ist Amon | |
| (Eidin Jalali). Amons Blicke für Parvis, sie sprechen Bände. Die | |
| gleichaltrigen jungen Männer im Heim kapieren das zwar erst mal nicht, aber | |
| sie warnen ihn kumpelhaft vor jeglichem Kontakt mit Parvis, den sie als | |
| schwul entlarven und damit nicht für voll nehmen: „So was ist ansteckend!“ | |
| ## Kotzen und Knutschen inklusive | |
| Doch Parvis und Amons Schwester Banafshe (Banafshe Hourmazdi) albern längst | |
| freundschaftlich miteinander rum – und die merkt, was ihrem Bruderherz zum | |
| Glück verhilft. Ergo unternimmt das Trio viel zusammen, betrinkt sich, geht | |
| auf Partys – unter anderem in besagtem Sailor-Moon-Kostüm. Kotzen und | |
| Knutschen inklusive. | |
| Über allem schweben jedoch die individuellen Ängste der drei: Amon leidet | |
| an Ängsten, Banafashe unter ihrem ungeklärten Aufenthaltsstatus und Parvis | |
| daran, nirgends ganz dazuzugehören. Der Alltagsrassismus, dem jede*r von | |
| ihnen auf unterschiedliche Weise ausgesetzt ist, erschwert ihr Leben | |
| außerdem. Dennoch flirrt dieser Sommer magisch, es ist diese Art von | |
| Begegnung, die man nur zwei oder drei Mal im Leben hat – wenn denn | |
| überhaupt. | |
| Zwar werden in „Futur Drei“ harte Themen verhandelt; die Frage von | |
| Identität und Zugehörigkeit spitzt sich abermals zu, als Parvis’ Eltern | |
| nach 30 Jahren ihren Supermarkt aufgeben und in den Iran zurückgehen wollen | |
| und zudem Banafshe abgeschoben werden soll. | |
| Aber bei aller Tragik behält sich der Film doch eine große, erfrischende, | |
| gar einnehmende Leichtigkeit bei – erzählerisch und visuell. Manche Szenen | |
| erinnern an Rap-Videos, andere sind Homevideo-Sequenzen vom kleinen Faraz | |
| Shariat, der hier als Regisseur seine Biografie autofiktional bearbeitet. | |
| ## Zwischen Rap- und Homevideo | |
| Shariats Debüt hat auf der Berlinale schon begeistert – und dort, völlig zu | |
| Recht, den Teddy Award als [3][bester queerer Spielfilm] gewonnen. Zudem | |
| wurde er unlängst zum Outfest nach Los Angeles geladen – einem wichtigen | |
| LGBT-Filmfestival. | |
| „Futur Drei“ ist großes Kino – eine Feier von Freundschaft und Vertrauen: | |
| (post-)migrantisch, schwul und selbstermächtigend. Er lässt Momente | |
| durchschimmern von einer Gesellschaft, die vielleicht so schon wäre, wenn | |
| wir die Worte hätten, von ihr zu erzählen. Die visuelle Grammatik dafür | |
| bringt der Film in jedem Fall schon mit. | |
| 28 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Hochgesand | |
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