# taz.de -- Das Queerfilmfestival: Prinz, Provinz und Sailor Moon | |
> Zum zweiten Mal findet das queere Filmfest statt. Diesmal kreisen die | |
> Beiträge um Transidentität, Heimat und New York. | |
Bild: Parvis (Benjamin Radjaipour), Banafshe (Banafshe Hourmazdi) und Amon (Eid… | |
Kann der Glamour von Cannes auf Magdeburg und Nürnberg abfärben? Die | |
Chancen stehen gut beim Queerfilmfestival, das vom 2. bis 6. September | |
zeitgleich in zehn deutschen Städten stattfindet – und zudem in Wien. Mit | |
dabei sind queere Filme, die schon auf den großen Festivals (Venedig, | |
Cannes, Berlin und Sundance) gefeiert wurden, aber eben in Deutschland | |
bisher noch keinen Kinostart hatten. | |
Das Festival-Team verspricht „die besten queeren Filme des Jahres“. Das mag | |
zwar etwas tollkühn klingen, wurde aber 2019, bei der ersten Ausgabe des | |
Festivals, tatsächlich eingelöst. Damals vor allem mit der Präsentation des | |
österreichischen Psycho-Thrillers „Nevrland“ sowie des georgischen Dramas | |
„Als wir tanzten“. | |
„Uns gehört die Welt!“ lautet das Motto des Festivals diesmal. Die Zeile | |
ist geborgt von Banafshe, einer der drei Hauptfiguren aus dem | |
postmigrantischen Freundschafts- und Liebesfilm „Futur Drei“. Gedreht hat | |
ihn [1][Regisseur Faraz Shariat], Jahrgang 1994. „Uns gehört die Welt!“, | |
ein Ausruf mit bittersüßem, etwas utopischem Potenzial. | |
Denn Banafshes Asylantrag in Deutschland wurde abgelehnt. Anders als der | |
von ihrem Bruder Amon, der schwul ist und Parvis liebt, der wiederum in | |
Deutschland aufgewachsen ist. Der Film, der von einem leichten, von Liebe | |
beflügelten Sommer in Hildesheim erzählt, fährt allerlei schöne Details auf | |
(bis zur „Sailor Moon“-Referenz). Nicht verwunderlich, dass er auf der | |
Berlinale 2020 den queeren Filmpreis Teddy Award gewonnen hat. | |
## Queerness in der Uckermark | |
Thematisch fügen sich andere Titel des Festivals ein, die ebenfalls ums | |
Thema Heimat kreisen. „Neubau“ (ausgezeichnet auf dem renommierten | |
Filmfestival Max Ophüls Preis) etwa erzählt von Queerness in der | |
uckermärkischen Provinz. Oder „Im Stillen laut“, ein dokumentarischer Film, | |
der Erika und Tine, beide 81 Jahre alt, auf dem Kunsthof Lietzen im | |
Brandenburgischen porträtiert. „Minjan“ hingegen folgt David aus der | |
russisch-jüdischen Community auf seinen Erkundungen des schwulen New Yorks. | |
Was zeichnet sich sonst noch bei der queeren Auswahl dieses Jahr ab? Zum | |
einen scheint das Thema Transidentität mit immerhin vier (und allesamt | |
starken) Filmen eine auffällige, relevante Rolle zu spielen. Zum anderen | |
vielleicht ein Trend zu aktuellen zeitgeschichtlichen Themen. | |
Das von Martin Scorsese mitproduzierte „Port Authority“ setzt in etwa dort | |
an, wo auch die grandiose Netflix-Serie „Pose“ spielt: in der New Yorker | |
Ballroom-Szene, wo Paul (Shootingstar Fionn Whitehead) aus der Provinz sich | |
in eine Tänzerin verliebt, zunächst ohne zu wissen, dass sie trans ist. | |
Die Tragikomödie „Adam“ hingegen unternimmt das umgekehrte | |
Gedankenexperiment: Adam wird am Ende seiner Highschoolzeit aus einem | |
Missverständnis heraus für einen trans Mann gehalten – und spielt die Rolle | |
dann, moralisch höchst fragwürdig, weiter. Ein solcher Film hätte auch ganz | |
leicht schiefgehen können – aber Regisseur Rhys Ernst, selber trans, hat | |
die notwendige Sensibilität, für ernsthafte Gender-Gedanken unter dem | |
Vorzeichen einer Verwechslungskomödie. | |
## Road-Trip zur Beisetzung | |
Sehenswert ist auch „Eine total normale Familie“ aus Dänemark über die | |
Transition von Thomas zu Agnete – und darüber, wie unterschiedlich die | |
beiden jungen Töchter damit klarkommen. „Lola und das Meer“ wiederum ist | |
ein Road-Trip aufgrund einer Beerdigung: Die Tochter muss sich dem mitunter | |
transfeindlichen Vater stellen. | |
Dass Queerness nicht im luftleeren Raum existiert, sondern in konkreten | |
historischen Kontexten, darauf machen andere Filme nebenbei aufmerksam. | |
„Der Prinz“ spielt in Chile vor der Allende-Zeit und erinnert an die von | |
Jean Genet meisterhaft beschriebene Mixtur aus Brutalität und Homo-Erotik | |
in Gefängnissen. | |
„Bohnenstange“ erzählt wiederum, visuell umwerfend, aber schwer verdaulich, | |
die Geschichte zweier sowjetischer Ex-Soldatinnen in Leningrad nach dem | |
Zweiten Weltkrieg. Besonders empfohlen sei auch „Moffie“ über zwei junge | |
Liebende im antikommunistischen Krieg des südafrikanischen | |
Apartheid-Regimes gegen Angola – ein Krieg auch zugleich gegen alle, die | |
„anders“ sind. | |
## Liebe für die Leinwand | |
Es ist ein Statement zur Liebe für die Leinwand, dass auch im | |
corona-gebeutelten Jahr 2020 zwölf Filme des Festivals tatsächlich in den | |
Kinos laufen – ergänzt um sechs weitere Online-Titel im Hauptprogramm. Und | |
zudem eine New-York-Retrospektive vom bestens gealterten Aids-Drama | |
„Buddies“ (1985) bis zum Gentrifizierungs-Coming-of-Age-Movie „Little Men… | |
Dabei hatte der Berliner Filmverleih Salzgeber – der das Festival gemeinsam | |
mit dem Pornfilmfestival Berlin und dem Berlin Lesbian Non-Binary-Filmfest | |
veranstaltet – während der kinolosen Zeit im Frühling sogar beachtliche | |
Erfolge mit seinem Onlineangebot verbuchen können. | |
Aber es hat eine andere Qualität, wenn Menschen wirklich in einem Kinosaal | |
bei einem Festival zusammenkommen – und sich hinterher unterhalten und | |
vielleicht an der Bar diskutieren können. Zumal in Zeiten, in denen Bars | |
und Clubs bundesweit um ihre Existenz fürchten – und somit auch queere | |
Räume zu verschwinden drohen. | |
1 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Berlinale-Regisseur-ueber-Autobiografie/!5664641 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hochgesand | |
## TAGS | |
Film | |
Queerfilmfestival | |
Queer | |
Filmfestival | |
Film | |
Filmfestival Cannes | |
Kunst | |
Oscars | |
Transpersonen | |
Buch | |
Queer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Filmfestival für jungen Film: Wieder der Zeit voraus | |
Beim 43. Filmfestival Max Ophüls Preis ging es um Familien und | |
Gendernormen. Preise ergatterten einige Filme mit queeren Thematiken. | |
Max-Ophüls-Nachwuchsfilmfest: Hoffnungsvoll und alternativlos | |
Vier Preise darunter der für den besten Spielfilm gingen an ihn: Der große | |
Gewinner des Filmfestival Max Ophüls Preis heißt „Borga“. | |
Amazon sperrt Film „Der Prinz“: Liegt es am schwulen Sex? | |
In Venedig wurde das Gefängnisdrama gefeiert, doch der | |
Amazon-Streamingdienst verbannt es nun. Liegt es an der Gewalt im Film oder | |
am Sex? | |
Ausstellung in Berlin: Provokante Popos | |
Künstler Jürgen Wittdorf war in der DDR ein Star der Jugend – und wurde | |
dann fast vergessen. Der KVOST läutet nun sein Revival ein. | |
Diversität bei Academy Awards: Mehr Vielfalt bei den Oscars | |
Die Academy Awards sind zu weiß, es gibt zu wenig Vielfalt – diese Kritik | |
hört die Oscar-Akademie seit Jahren. Nun gibt es neue „Best | |
Picture“-Regeln. | |
Buchautor über „Ich bin Linus“: „Neuer, zweiter Zugang zum Leben“ | |
Für Linus Giese war sein Coming-out als trans Mann eine Befreiung, trotz | |
Transfeindlichkeit. Ein Gespräch über sein Buch, Solidarität und | |
Boxershorts. | |
Neues Buch „Find Me“ von André Aciman: „Diese Geschichte ist keine Utopi… | |
Die Verfilmung von André Acimans Roman „Call Me by Your Name“ war ein | |
Riesenerfolg. Jetzt ist die Buchfortsetzung „Find Me“ auf Deutsch | |
erschienen. | |
Berlinale-Regisseur über Autobiografie: „Es war wichtig, Grenzen zu setzen“ | |
Auf der Berlinale präsentiert Faraz Shariat seinen Film „Futur Drei“. Ein | |
Gespräch über autofiktionales Erzählen, Musikvideo-Ästhetik und den Iran. |