| # taz.de -- Coming-of-Age-Drama „Milla Meets Moses“: Alptraumhaftes mit Mil… | |
| > Shannon Murphy verzichtet in ihrem Debüt auf den für Filme über | |
| > Krebspatienten typischen Gefühlskitsch. Sie setzt auf ironische | |
| > Lässigkeit. | |
| Bild: Milla (Eliza Scanlen) mit Hingucker-Perücke am Pool | |
| Krebs und zartes Pastell assoziiert man genauso wenig miteinander [1][wie | |
| einen Tumor] mit einem Milchzahn. Doch der Film „Milla Meets Moses“ bringt | |
| all das zusammen. Die fünfzehnjährige Milla (Eliza Scanlen) hat immer noch | |
| einen hartnäckigen Milchzahn im Mund und leidet bereits unter einer noch | |
| hartnäckigeren Krebserkrankung. Regisseurin Shannon Murphy inszeniert diese | |
| Geschichte, die auf dem Theaterstück „Babyteeth“ der australischen | |
| Dramatikerin Rita Kalnejais basiert, bewusst unkonventionell. | |
| Tatsächlich ist „Milla Meets Moses“ weit davon entfernt, eine schamlose | |
| Krebsschnulze im Stile von „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ (2014) | |
| oder „Beim Leben meiner Schwester“ (2009) zu sein. Hier wird kein | |
| Gefühlskitsch forciert, um das Publikum möglichst hart zu treffen. Im | |
| Gegenteil: Der Film präsentiert sich im Bubblegum-Look und mit ironischer | |
| Haltung, um nur nicht den gängigen Klischees zu entsprechen. | |
| Ein Schleier aus zartem Rosa, Lila und Türkis legt sich über viele | |
| Einstellungen, mit ostentativer Leichtigkeit versuchen Kapiteltitel wie | |
| „Milla beginnt mit der Chemo“ das Alptraumhafte zu neutralisieren. Die | |
| jungen Protagonist*innen tragen meistens ironische Vintage-Outfits, | |
| sprechen nicht über das Offensichtliche. | |
| Ausgerechnet als Milla am Bahnhof dem Rumtreiber Moses (Toby Wallace) das | |
| erste Mal begegnet, trägt sie jedoch Schuluniform und Instrumentenkoffer, | |
| strahlt einen gewissen Wohlstand aus. Vielleicht fragt er sie auch deswegen | |
| nach Geld, unmittelbar nachdem er sie überfürsorglich auf den Bahnsteig | |
| gebettet hat, um ihr Nasenbluten zu stoppen. | |
| ## Wechsel zwischen Anteilnahme und Ausnutzung | |
| Dieses Hin und Her, der ständige Wechsel ihrer Beziehung zwischen | |
| aufrichtiger Anteilnahme und dem Gefühl, Moses wolle doch nur Kapital aus | |
| Milla schlagen, zieht sich durch den ganzen Film. | |
| Verständlicherweise machen sich Vater Henry (Ben Mendelsohn) und Mutter | |
| Anna (Essie Davis) Sorgen um ihre Tochter, als sie Moses spontan zum | |
| Abendessen mitbringt. Er ist mit 23 Jahren älter als sie, der exzessive | |
| Drogenmissbrauch hat sich in sein Gesicht geschrieben. | |
| Einer gewissen Ironie entbehrt ihr Urteil dennoch nicht. Anna weiß der | |
| Krankheit ihrer Tochter nicht anders zu begegnen als mit einem bunten | |
| Tablettencocktail, mit dem sie ihr als Psychiater tätiger Ehemann nur allzu | |
| gern versorgt. Damit ist ausgerechnet sie die zugedröhnteste Person am | |
| Tisch. | |
| Trotz aller Bedenken gehen sie mit Moses einen Tauschhandel ein, weil er | |
| ihrer Tochter gutzutun scheint: Wenn er regelmäßig vorbeischaut, versorgen | |
| sie ihn im Gegenzug mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Milla blüht | |
| auf, schleicht sich mit Moses sogar auf eine Party. | |
| ## Tragik in einem Mantel aus Bubblegum | |
| Doch immer dann, wenn er aufrichtiges Interesse an ihr zu zeigen scheint, | |
| lässt er sie kurz darauf im Stich. Eine andere Begründung als die, dass er | |
| als drogenabhängiger Gelegenheitsdealer seine eigenen Probleme hat, bleibt | |
| der Film schuldig. | |
| An Punkten wie diesen scheint „Milla Meets Moses“ über seine eigene | |
| ironische Haltung zu stolpern. Das selbstauferlegte Gebot, die Distanz zu | |
| wahren, um nichts von seiner Lässigkeit zu verlieren, geht da nicht mehr | |
| auf. So wird die Tragik, die sich darin verbirgt, dass Moses Milla wirklich | |
| nur ausnutzen könnte, ebenso wie die kaputte Ehe ihrer Eltern und die | |
| Trauer, die sie zu bewältigen haben werden, in einen Mantel aus Bubblegum | |
| gehüllt. | |
| Das heißt allerdings nicht, dass [2][dieses Coming-of-Age-Drama] nicht zu | |
| unterhalten wüsste. Der anerkennenswerte Versuch, auf ganz eigene Weise von | |
| einer Krebserkrankung zu erzählen, trägt „Milla Meets Moses“ über weite | |
| Strecken. Zudem ist das Spiel von [3][Eliza Scanlen („Little Women“)] und | |
| Toby Wallace („The Society“) durchaus einnehmend. | |
| Doch am Ende zeigt sich, dass sich Schmalz nicht einfach durch Kaugummi | |
| ersetzen lässt. Zwar trieft es nicht mehr, aber es wird zäh. Und | |
| hinterlässt nach gewisser Zeit einen fahlen Geschmack. Spätestens dann, | |
| wenn klar wird, dass sich Tragik mit Ironie nicht aufarbeiten, sondern nur | |
| leugnen lässt. | |
| 8 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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