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# taz.de -- Autofikionaler Spielfilm „Futur Drei“: Von hier und doch fremd
> Der Regisseur Faraz Shariat erzählt in seinem Debutfilm „Futur Drei“ wie
> es ist, jung zu sein, schwul und das Kind iranischer Eltern in
> Deutschland.
Bild: Hat viel selbst erlebtes in seinen Film eingebracht: Regisseur Faraz Sahr…
Bremen taz | „Wer ist denn der Deutsche?“ Das fragen die jungen
Iraner*innen im Heim für Geflüchtete, als sie ihn zum ersten Mal sehen –
und sprechen hören: An Parvis’ (Benjamin Radjaipour) schlechtem Farsi
erkennen sie den Angehörigen der zweiten Generation vom Emigrant*innen. Und
als Parvis später in einer Schwulenbar mit einem jungen Mann flirtet,
tauscht der zuerst Zärtlichkeiten mit ihm aus. Als er sich ihn genauer
angesehen hat, fragt er aber in einem alles andere als freundlichen Ton:
„Wo kommst du eigentlich her?“
„Seit wir hier sind, habe ich das Gefühl, alles immer doppelt zu erleben:
Als die, die ich hätte sein können, und die, die ich bin.“ Mit Sätzen wie
diesen bringt [1][Regisseur Faraz Shariat], Jahrgang 1994, das Leben
dazwischen auf den Punkt. Sagen lässt er sie eine junge, in Deutschland
lebende Iranerin. Aber ganz offensichtlich beschreiben sie auch sein
eigenes Lebensgefühl
„Futur Drei“, der kommende Woche anläuft, vorher aber unter anderem schon
beim Hamburger Reeperbahn-Festival zu sehen ist, ist ein autobiografischer
Film, obwohl Shariat selbst ihn „autofiktional“ nennt: Das Drehbuch schrieb
er mit dem selbst auch mitgegründeten Kollektiv „Jünglinge Film“; es
flossen also auch die Erfahrungen anderer mit ein. Aber der Film beginnt
mit einem VHS-Video, einem Homemovie, das Shariats Eltern gedreht haben: er
als Kind im Vorschulalter, in einem Sailor-Moon-Kostüm herumtanzend.
Die Eltern des Regisseurs spielen in „Futur Drei“ dann auch die Eltern von
Hauptfigur Parvis, und die Ausgangssituation der Handlung hat er selbst so
erlebt: So wie Parvis wurde auch Shariat als Jugendlicher beim Klauen
erwischt und musste 120 Sozialstunden als Übersetzer in einem Wohnprojekt
für Geflüchtete abarbeiten. Und dort machte er dann ähnliche Erfahrungen
wie nun sein Protagonist.
Parvis lebt seine Homosexualität offen aus, es gibt im gesamten Film keine
Szene, in der er sich etwa mit aggressiver Schwulenfeindlichkeit
auseinandersetzen muss. Nicht nur auf dieser Ebene entwirft Shariat hier
ein Gegenbild zu etlichen vorherrschenden Klischees, etwa von unbegleiteten
jungen Flüchtlingen aus muslimischen Ländern. Auch gegen den nicht nur
subtilen Rassismus der Deutschen kann Parvis sich gut wehren: Als einer
seiner deutschen One-Night-Stands sagt, als Kompliment gemeint, für einen
„Ausländer“ sei Parvis ja überraschend wenig behaart, nennt dieser ihn ei…
„junggebliebene Kartoffel“ – und rauscht ab.
Hätte Shariat, der in Hildesheim queer-feministische Filmtheorie, Populäre
Kultur und Kulturwissenschaft studiert hat, nur Parvis’ Geschichte erzählt:
Er wäre wohl in eine andere Klischeefalle getappt. Leicht hätte der Film zu
einer selbstverliebten Nabelschau werden können. Diese Gefahr thematisiert
Shariat sogar: Irgendwann sagt eine Figur, jemand sehe aus wie „in einem
kitschigen Coming-of-Age-Film“.
Doch es geht – wenn man will, auch im Titel schon angedeutet – um eine
Dreiecksgeschichte: Als sich Parvis während seiner Sozialstunden in einen
jungen Iraner Amon (Eidin Jalali) verliebt und auch Freundschaft mit dessen
älterer Schwester Banafshe (Banafshe Hourmazdi) schließt, weitet sich der
Horizont. Das macht Perspektivwechsel möglich, so kann Parvis etwa durch
die Augen anderer gezeigt werden. Oder Einblick geben ins Lebensgefühl
einer jungen, modernen Iranerin, die seit Jahren in Deutschland lebt, und
trotzdem immer noch damit rechnen muss, abgeschoben zu werden.
Auch hier wird die Geschichte nie melodramatisch überhöht. Stattdessen hat
Raquel Molt – einst Kommilitonin Shariats und Teil von „Jünglinge Film“ …
eigene, einem mit indisch-nepalesisch-deutschen Hintergrund geschuldete
Erfahrungen einfließen lassen. Da lädt dann ein Migrant der zweiten
Generation die Protagonistin zum Essen ein, weil er ihre westlich moderne
Lebensart für attraktiv hält – bestellt dann aber ganz selbstverständlich
für beide, ohne sie nach ihren Wünschen zu fragen. Das ist nicht
ausgedacht, sondern erlebt.
Stilistisch traut sich Shariat einiges. Er inszenierte einerseits zum
größten Teil in einem naturalistisch, quasi-dokumentarischen Stil, drehte
etwa nur an Originalschauplätzen in Hildesheim, setzte viele
Laiendarsteller*innen ein und achtete beim Casting auch noch darauf, dass
die Darsteller*innen möglichst ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie die
von ihnen gespielten Figuren.
Ein Stilbruch: Für einen kleinen, aber entscheidenden Kurzauftritt wurde
Jürgen Vogel gewonnen, da setzte Shariat statt auf authentisch wirkende
Verkörperung also auf die Bekanntheit eines deutschen Stars. Einem Jürgen
Vogel sagt man wohl nicht ab, aber dem Film genützt hat er wohl höchstens
auf dem roten Premieren-Teppich bei der Berlinale.
Andere Brüche sind Shariat dagegen besser gelungen. So wechselt er oft
unvermittelt vom realistischen Filmbild zu bunten, schnell geschnittenen
und extrem stilisierten Montagen, die an Musikvideos erinnern. Shariat
selbst nennt „Pop- und Werbeinszenierungen von Rihanna, Solange und
Childish Gambino“ als Inspirationen; ein Versuch, sich den Bilderwelten
anzunähern, in denen sich seine Protagonist*innen zu Hause fühlen würden.
In einer Montage präsentiert er in einem großen Panoramablick
Momentaufnahmen etlicher Menschen mit Migrationshintergrund und anderer
Persons of Color – das wirkt wie ein Akt des Empowerment, der Ermächtigung.
17 Sep 2020
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## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Coming-of-Age-Film
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