# taz.de -- Hamburger Heldengedenken: About Schmidt | |
> Vor fast genau fünf Jahren ist Altkanzler Helmut Schmidt gestorben. Wie | |
> erinnern sie sich in der ach so nüchternen Hansestadt an ihren Helden? | |
Bild: Eigentlich einer von uns: Helmut Schmidt, Neu-Hauseigentümer, mäht Lang… | |
Helmut-Schmidt-Stadt taz | Zu dem, was sie gerne über sich sagen, gehört: | |
Hamburgerinnen und Hamburger lehnen Orden ab; sie beugen, ferner, nie auch | |
nur das Knie für fremde Potentaten, ja: Jede Heldenverehrung ist ihnen | |
grundsätzlich suspekt, schon wegen ihrer [1][naturgemäß kühl-pragmatischen | |
Art]. Klingt gut – und wie bestellt bei einer Markenberatungsagentur. | |
Dass solchen Mythen kaum zu trauen ist: banal. Umso interessanter aber, | |
sich anzusehen: Was ist, wenn es doch mal einen Anlass gibt für | |
Hamburgerinnen und Hamburger, einen Helden zu verehren, sein Andenken | |
hübsch aufpoliert in Szene zu setzen? Und dann auch noch einen, der selbst | |
so sehr das Rationale und kaum Leidenschaftliche verkörpert hat? | |
Vor knapp zwei Wochen, am 10. November, war es genau fünf Jahre her, dass | |
[2][Helmut Schmidt] gestorben ist im eigenen Haus in Hamburg-Langenhorn. | |
Wichtiger ist aber ein anderes, weniger privates Datum, oder noch genauer: | |
zwei Daten, die sich nun jähren: Am 24. November 2015 wurde der vormalige | |
Hamburger Senator und Bundestagsabgeordnete, Bundesminister und -kanzler | |
[3][in Hamburg-Ohlsdorf beerdigt]. | |
Am Tag davor schon [4][war die große weite Welt an die Elbe gekommen], um | |
dem Verstorbenen Respekt zu zollen: Die Kanzlerin sprach, der ehemalige | |
US-Außenminister Henry Kissinger, Damals-noch-Bürgermeister Olaf Scholz. | |
Unter den Anwesenden im Hamburger „Michel“, der Hauptkirche St. Michaelis, | |
waren ein paar – zumeist allerdings deutsche – Ex-Präsidenten, -Minister, | |
[5][draußen stand eine Bundeswehr-Ehrenformation], Sie erinnern sich: Es | |
war ja ein vormaliger Verteidigungsminister zu verabschieden. | |
Bald danach nannte man Hamburgs Flughafen nach dem großen Sohn der Stadt, | |
und der Stammsitz der Zeit, deren Herausgeber er lange gewesen war, wurde | |
zum „Helmut-Schmidt-Haus“. Weitere Orte und Institutionen hatten seinen | |
Namen schon zu Lebzeiten erhalten: 2003 die örtliche Universität der | |
Bundeswehr, 2012 ein Gymnasium im wenig hanseatischen Stadtteil | |
Wilhelmsburg, aber [6][wie sehr Schmidt nun „Hanseat“ war oder gerade | |
keiner]: Das ist kompliziert. | |
Dass seit den späten 1970er-Jahren auch eine Rosensorte nach Helmut heißt – | |
nicht etwa nach Ehefrau Loki (1919–2010), [7][passionierte Gärtnerin, | |
Naturschützerin und Blume-des-Jahres-Stifterin]: Das ist Stoff, über den | |
sich rauchende Herren damals beim Weinbrand beömmelt haben mögen, in der | |
Schmidt’schen Keller-, nein, Erdgeschossbar. | |
Dorthin eingeladen zu werden (und, ganz nebenbei, die inzwischen doch arg | |
aus der Zeit gefallen wirkende Figur eines „singenden Louis Armstrong“ | |
vorgeführt zu bekommen): Als „Ritterschlag“ beschreibt das im Vorwort zu | |
einem neuen Buch über das Langenhorner Wohnhaus der Sozialdemokrat Peer | |
Steinbrück, selbst ehemaliger Minister im Bund und in Schleswig-Holstein | |
sowie in Nordrhein-Westfalen, dessen Ministerpräsident er von 2002 bis 2005 | |
war. Seit 2017 ist Steinbrück – nach mehreren Jahren in der gleichen | |
Funktion bei der privaten Helmut und Loki Schmidt-Stiftung – | |
Kuratoriumsvorsitzender der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung des | |
Bundes. | |
Die wacht heute wesentlich darüber, welches Schmidt-Bild sich der Nachwelt | |
zeigt: Sie betreibt neben einer Dauerausstellung im Schatten des | |
Zeit-Sitzes auch das quasi zum Museum gewordene Wohnhaus der Schmidts am | |
Neuberger Weg in Hamburg-Langenhorn, ganz oben auf dem Stadtplan. In diesem | |
Stadtteil, hat Schmidt einmal gesagt, könne „der vornehme Hamburger“ nicht | |
wohnen, und das war nicht rein geografisch zu verstehen. Gerne als | |
„Reihenhaus“ bezeichnet, [8][kauften Helmut und Loki Schmidt dort 1961 ein | |
Doppelhaus] des gehobenen Standards – „gehoben“ freilich nur innerhalb | |
dessen, was der später havarierte [9][gewerkschaftseigene Baukonzern „Neue | |
Heimat“] im Angebot hatte. | |
Umso größer die Aufregung, wenn nun wirklich mal die große weite, die | |
politische Welt zu Besuch kam in den grünen, unspektakulären Stadtteil: | |
Leonid Breschnjew etwa, oder Valéry Giscard d’Estaing. Aber die besseren | |
Lagen der Stadt, die präsentableren wie die Elbchaussee, hat Schmidt nie | |
als seine begriffen. | |
Wenn es nicht wie derzeit die Pandemiebekämpfung verhindert, werden in | |
Langenhorn Führungen angeboten, zumindest durch Teile des mehrfach | |
umgebauten und erweiterten Klinkerbaus; in Kleingruppen nur, denn es ist | |
eben immer noch ein Wohnhaus mit engen Durchgängen und herumstehendem | |
Möbeln, Nippes auch, und dann die vielen Bilder an den Wänden. | |
Als die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung Ende September zur | |
Buchvorstellung von „Zuhause bei Loki und Helmut Schmidt“ bat – sie ist | |
auch Herausgeberin –, waren die Wände allerdings ziemlich kahl: Die Noldes | |
und Heisigs und viele andere normalerweise dort Hängende waren ans andere, | |
ans westliche Ende der Stadt verbracht worden: Im Ernst-Barlach-Haus wird | |
seit Anfang Oktober [10][„Kanzlers Kunst“] gezeigt – ironischerweise, | |
könnte man sagen. Denn am großbürgerlichen Jenischpark, in dem das kleine | |
Museum steht, führt südlich ausgerechnet die Elbchaussee vorbei. | |
Dennoch: Hier, in diesem modernistischen Flachdachbau war Schmidt gerne zu | |
Gast, bei Ausstellungseröffnungen oder auch mal mit hohem Besuch, als er | |
längst nicht mehr in Amt und Würden war, aber immer noch bestens vernetzt. | |
Zumal Ernst Barlach zu den Künstlern gezählt hat, die Schmidt am | |
wichtigsten waren. | |
Auf etwa 100 Gemälde und Grafiken, dazu 50 Kleinplastiken soll sich die | |
Schmidt’sche Sammlung insgesamt belaufen, zusammengetragen über Jahrzehnte, | |
mal als bewusstes Geschenk entsprechend begüterter Freunde, mal erworben | |
aus dem Bauch heraus – maritime Motive etwa, mal von großen, dann wieder | |
ziemlich unbekannten Namen. Neben Nolde und Barlach bilden einen wichtigen | |
Fixpunkt in Schmidts Kunstgeschmack die Worpsweder Maler*innen. Nicht alles | |
wird nun auch ausgestellt, aber doch das meiste: rund 150 Gemälde, | |
Plastiken und daneben gleich wieder kuratorisch herausfordernd | |
Kunstgewerbliches – „große Kaliber und kleine Köstlichkeiten“, so sagen… | |
die Ausstellungsmacher*innen. | |
Derzeit ruht auch im Barlach-Haus der Publikumsbetrieb, und eine für Anfang | |
November geplante Ausstellung „Schmidt! Demokratie leben!“ in der | |
Innenstadt hat die Bundeskanzler-Stiftung auf unbestimmte Zeit verschoben. | |
Wie aber das Wohnhausbuch den Hausbesuch in Langenhorn ersetzen können soll | |
– auch vor Corona war dort schwer hineinzukommen, überstieg die Nachfrage | |
die wenigen Plätze deutlich –, so lässt sich auch die ambitionierte private | |
Kunstsammlung durchblättern: Es gibt selbstverständlich ein schmuckes | |
Begleitbuch – und sei es für demnächst unter den Weihnachtsbaum. | |
24 Nov 2020 | |
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[10] https://www.barlach-haus.de/ausstellungen/kanzlers-kunst-die-sammlung-helm… | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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