# taz.de -- Helmut Schmidt und das Klavier: „Ein laienhafter Spieler“ | |
> Bei Helmut und Loki Schmidt wurden an Heiligabend keine Weihnachtslieder | |
> geschmettert. Aber wichtig war die Musik für den SPD-Überkanzler. | |
Bild: Pianist Schmidt (2. v. r.) im September 1979 | |
HAMBURG taz | Es waren wirklich andere Zeiten: Niemand machte nämlich Fotos | |
davon, als sich kurz vor Weihnachten 1981, am 18. Dezember, in den | |
Hamburger Steinway-Verkaufsräumen ein bemerkenswerter Männerbund traf. Zwei | |
sehr bekannte Pianisten – und ein nicht ganz so bekannter – kamen da | |
zusammen, um Mozart zu proben: Christoph Eschenbach, Justus Frantz und – | |
[1][Helmut Schmidt]. | |
Als seine Beamten erst die Zugänge gesichert hatten, spielten also der | |
Noch-Bundeskanzler und die beiden Musikprofis rund eine Stunde lang auf | |
drei Flügeln das Konzert für drei Klaviere F-Dur, dann war der Spuk schon | |
wieder vorbei, so ist es überliefert. Drei Tage später dann [2][spielten | |
diese drei, zusammen mit dem London Philharmonic Orchestra, das Stück | |
erneut]: In den legendären Londoner EMI-Studios in der Abbey Road. | |
Dass da was war mit dem Ende 2015 verstorbenen Schmidt und dem Klavier, | |
auch der Orgel: Das ist natürlich kein Geheimnis gewesen. Und trotzdem hat | |
Reiner Lehberger – der alle paar Jahre ein Buch über, manchmal auch mit den | |
Schmidts geschrieben hat – manch schönes Detail zutage gefördert über das | |
Verhältnis des Langenhorner Pragmatikers zu den schwarzen und weißen | |
Tasten. | |
Dass Schmidt beim Spielen „die Hektik der Hauptstadt“ – das überschaubare | |
Bonn, wohlgemerkt – „und des politischen Amtes“ hinter sich ließ, das ist | |
ein gern Überliefertes. Und natürlich, mit welchen wichtigen Männern auch | |
des Musiklebens er so alles befreundet war; siehe auch die | |
Steinway-Anekdote oben. Als „Hinterbühne“ beschreibt Lehberger die Rolle | |
der Musik für Schmidt, dessen „große Bühne“ immer die Politik gewesen se… | |
Nicht nur die, die er selbst spielte: Auch von einer nicht unbeträchtlichen | |
Plattensammlung im Langenhorner Haus ist zu berichten, die das Ehepaar | |
Helmut und Loki Schmidt noch zu Lebzeiten der [3][Hamburger | |
Musikhochschule] übereignete: Rund 1.000 Stück holte Hochschulpräsident | |
Elmar Lampson im Jahr 2007 ab, ganz überwiegend, was man so Klassik nennt, | |
genauer besehen aber fanden sich Barock und Romantik, Klassik und Moderne; | |
dazu eine kleine Auswahl Jazz. Viel Bach, so ist bekannt, auch die | |
Einspielungen des [4][nicht in jedem deutschen Bürgerhaushalt | |
wohlgelittenen Glenn Gould]. Seit 2019 sind all diese Scheiben wieder | |
zurück im Schmidt’schen Haus: In Zeiten der Digitalisierung hatte die | |
Hochschule „keine angemessene Nutzung“ finden können. | |
Unter Schmidts Ägide fanden im Kanzleramt Konzerte statt, es kam zu | |
mehreren „Berliner Kanzlerfesten“ in der dortigen Philharmonie, auch lud | |
man immer wieder Musiker ein ins bescheidene Häuschen am Brahmsee | |
südwestlich von Kiel oder auch in den Bonner Kanzlerbungalow. | |
„Ohne Musik wäre mein Leben wahrscheinlich ganz anders verlaufen“: Diesen | |
Satz aus dem Jahr 2008 stellt Lehberger an den Anfang des Buches – und | |
mutmaßt an anderer Stelle, ob der Mann, der sich selbst schon mal als | |
„laienhaften Klavier- und Orgelspieler“ bezeichnet hat, nicht just beim | |
fleißigen Üben jene Qualitäten trainiert hat, für die er sich auch als | |
Politiker einen Ruf erwarb: Disziplin, Fleiß, all so was. | |
Glücklicherweise setzt der Biograf den Spalt zwischen dem Politik- und dem | |
Musikmenschen nicht als tiefer in Szene, als er es verdient: In der Person | |
Schmidts, schreibt er, „ist die Verwobenheit der eigenen Lebensgeschichte | |
mit der jüngeren deutschen Geschichte fast exemplarisch ausgeprägt“ – und | |
so erfahren wir eben auch von einer Klavierlehrerin, die 1935 zum | |
„Mischling ersten Grades“ erklärt wurde. | |
Oder eben dem Umstand, dass dem Soldaten Helmut Schmidt das Musizieren dazu | |
gedient haben mag, eine Art innerer Balance zu bewahren. Und [5][so wie er | |
auch zu anderen Künsten und denen, die sie ausübten, Nähe suchte], dürfte | |
Schmidt die Musik – das Ausstellen seines engen Verhältnisses dazu – auch | |
genutzt haben, das zuweilen ungeliebte Macher-Image um andere Facetten zu | |
bereichern. | |
## Ein Bach-Choral im dunklen Hamburg | |
Es gibt eine weihnachtliche Anekdote, ebenfalls aus dem Jahr 1942, die das | |
Klavierbuch erwähnt; leicht variierend hat sie aber vor über zehn Jahren | |
auch Loki Schmidt Lehberger erzählt: Weihnachten 1942 gingen die Eheleute | |
spazieren durchs verdunkelte Hamburg-Eilbek, als vom nahen Kirchturm Musik | |
erklang: Laut der einen Fassung war es eine einzelne Trompete, der anderen | |
zufolge gleich vier Posaunen, die den Bach-Choral „Wachet auf, ruft uns die | |
Stimme“ spielten. | |
„Es war noch ein halbes Jahr vor der Hamburger Bombenkatastrophe“, so | |
zitiert Lehberger Schmidt, „aber wir rechneten bereits mit einem | |
schrecklichen Ende Deutschlands. Doch an diesem Abend führten uns die | |
Posaunen in eine unbeschreibliche Rührung – und zugleich gewannen wir neue | |
Lebenskraft.“ | |
Dass Helmut Schmidt sich danach, 1943 und 44 freiwillig für den | |
Kampfeinsatz an der Front meldete: Es gehört wohl in diese Art deutscher | |
Geschichten. | |
27 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Helmut-Schmidt/!t5009261 | |
[2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/helmut-schmidt-als-pianist-er-hat-den-… | |
[3] https://www.hfmt-hamburg.de/start/ | |
[4] https://www.br-klassik.de/themen/klassik-entdecken/glenn-gould-118.html | |
[5] /Archiv-Suche/!5559747/ | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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