# taz.de -- Biograf über Helmut Schmidt am Klavier: „In schwierigen Stunden … | |
> Für Helmut Schmidt war Musik ein Ausgleich zum Kanzlerdasein. Trotzdem | |
> behielt er sein Image als Pragmatiker, sagt Autor Reiner Lehberger. | |
Bild: „Nicht gewusst, dass ich so gut spielen kann“: Helmut Schmidt Ende 19… | |
taz: Herr Lehberger, wie gut war Helmut Schmidt am Klavier? | |
Reiner Lehberger: Da gibt es verschiedene Antworten. Er selbst hat sein | |
Können vielfach heruntergespielt, hat sich [1][einen Dilettanten am | |
Klavier] genannt. Er hat aber auch gesagt, als 1982 seine Mozart-Aufnahme | |
fertig war und als Platte vorlag: „Ich habe gar nicht gewusst, dass ich so | |
gut spielen kann.“ Und er hat sich auch nicht verweigert, als 1985 seine | |
Bach-Einspielung unter dem Titel „Kanzler & Pianist“ vermarktet wurde. Ich | |
selbst glaube, er spielte gut. Jemand, der es wissen muss, ist Justus | |
Frantz, im Prinzip sein Klavierlehrer, und der hat gesagt: Schmidt hat | |
Potenzial, und wenn er übte, gelang ihm mehr als den meisten. Noch als er | |
längst seine Hörfähigkeit verloren hatte, hörte sich sein Spiel gut an – | |
ich kann es bezeugen. | |
Ohne Sie nötigen zu wollen, mal eben das ganze Buch zusammenzufassen: | |
Welche Rolle hat die Musik für Schmidt gespielt? | |
Er hat von sich selbst gesagt, dass sie zeitlebens ein großer Kraftquell | |
für ihn gewesen sei; die Musik ihm in schwierigen Stunden über vieles | |
hinweggeholfen habe. Er hat sogar mal gesagt, ohne die Musik wäre sein | |
Leben anders verlaufen. Ich glaube, diese Seite – der Konzentration, des | |
Kraftgewinnens und des Seelenbalsams – war wichtig für ihn. Da gibt es ein | |
sehr schönes Zitat, eigentlich über die Kunst, aber es passt auch zum | |
Klavier: Wenn man vor einem Bild steht, ist man alleine. In dieser | |
Einsamkeit sich zu konzentrieren und Kraft zu gewinnen und danach sich der | |
Wirklichkeit erneut zuzuwenden – das sei immer wieder eine große | |
Bereicherung in seinem Leben gewesen. | |
So beschreiben manche Menschen Meditation. | |
Das dürfte es wohl auch gewesen sein. Dazu passt gut, dass er, wie er | |
selbst gesagt hat, eigentlich immer die gleiche Musik gehört hat. | |
[2][Vorwiegend Bach]. Und vor allem Bachs Goldberg-Variationen, gespielt | |
von Glenn Gould. Diese Aufnahme habe er wohl mehr als tausend Mal gehört. | |
Das passt ja in das Muster von Meditation sehr gut hinein: Man wählt für | |
sich und sein Seelenheil etwas, das stark auf einen wirkt. | |
Es ging bei Schmidt um beides: das Spielen von Musik, aber auch das Hören. | |
Es gab noch eine dritte und vierte Dimension: So hat er intensiv den | |
Kontakt zu Musikern gesucht, war befreundet mit großen Dirigenten, nicht | |
zuletzt mit dem wegen seines übermäßigen Geschäftssinns ja auch kritisch zu | |
sehenden Herbert von Karajan. Und Schmidt ist in Erscheinung getreten als | |
Veranstalter von sog. Hauskonzerten im Bonner Palais Schaumburg von 1975 | |
bis zum Ende seiner Kanzlerschaft '82; zweimal im Jahr – etwas völlig | |
Außergewöhnliches. Ich habe mit fast allen Musikern, die dort gespielt | |
haben, Interviews geführt. Sie haben berichtet, das sei damals in der | |
Kunstszene völlig neu gewesen und eine große Ehre für sie, und, ja, auch | |
wichtig für ihre Karriere. Aber eben auch eine Aufwertung des Kulturellen | |
durch die Politik, die sie sonst nie erlebt hätten. | |
Als [3][Kanzler, der sich um die Kunst verdient macht]: Steht Schmidt da | |
nicht immer etwas im Schatten von Willy Brandt? | |
Ja, wobei sich bei Brandt ja mehr die Künstler für ihn politisch eingesetzt | |
haben. 1975 gab es im Kanzleramt eine Überlegung, wie man Schmidts | |
wirkliche Affinität zu Kunst und Musik politisch nutzen könnte, wie man das | |
öffentliche Interesse darauf lenken könne, wie man ein neues Image kreieren | |
könnte. [4][Seit der Flut von 1962] galt er als der Macher, das hätte man | |
gerne korrigiert. Richtig gelungen, so glaube ich, ist das nicht. Er ist | |
schon als Kanzler der Krisen, als Macher, als Pragmatiker in Erinnerung | |
geblieben. | |
Durchaus zu seinem Leidwesen. | |
Auf seine Affinität zu den Künsten hat er großen Wert gelegt: Seine | |
Lebenserinnerungen, das dicke Buch „Weggefährten“, beginnt er über 70 | |
Seiten mit Begegnungen mit Musikern und Künstlern. In diesem ersten groß | |
angelegten, autobiografisch-politischen Buch gilt der gesamte erste Teil | |
der Kunst und der Musik. Das werte ich als ein Ausrufzeichen. Schmidt | |
wollte, dass diese Seite seiner Persönlichkeit dem Publikum in Erinnerung | |
bleibt. | |
Ein Ball, der ja auch ein bisschen bei Ihnen gelandet ist. | |
In der Tat, mit der Biografie der Schmidts habe ich mich vielfältig | |
beschäftigt. Aber mit Schmidts Musiknähe, deren Intensität ich bis dato | |
auch nicht so präsent hatte, habe ich noch einmal einen anderen Schmidt | |
kennengelernt, eine andere Seite an ihm. Wenn man sich nur einmal die | |
überlieferten Briefe anschaut, zum Beispiel an Yehudi Menuhin oder Olga | |
Bontjes van Beek, eine Künstlerin, die er seit den späten 1930er Jahren | |
kannte: Wie er mit denen kommuniziert, das ist eine völlig andere Schreibe | |
als in den Briefen, die er Politikern oder anderen Freunden schickt. | |
Anders inwiefern? | |
Einfühlsam, oft fast poetisch und vor allem bewundernd; ohne jegliche | |
Einschränkung konnte er Künstler wirklich bewundern. Dieses wunderbare Foto | |
im Buch, wo er vor Lenny Bernstein niederkniet, natürlich witzigerweise: | |
Letzten Endes ist es aber auch Ausdruck, dass er die vollendete | |
Meisterschaft von Künstlern noch mal höher bewerten konnte, als das, was er | |
selbst mit seiner Politik vielleicht erreicht hat. | |
6 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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