Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Abschied vom Altkanzler: In Hamburg sagt man Tschüss
> Weinende Sekretärinnen und paffende Zehnjährige an der Strecke zum
> Ohlsdorfer Friedhof – so erwies Hamburg Helmut Schmidt die letzte Ehre.
Bild: Soldaten trugen vor dem Michel den mit einer Bundesflagge bedeckten Sarg.
Hamburg taz | Diese Stadt beugt sich nicht. Keiner Religion, keinem Kaiser.
Und doch am Montag verneigte Hamburg, die stolze Perle, ihr silbergrau
glänzendes Haupt vor einem der ganz Großen, vor Helmut Schmidt.
Zum ersten Mal seit dem Tod von Willy Brandt, 1992, wurde in Deutschland
ein ehemaliger Bundeskanzler zu Grabe getragen und Hamburg, erfahren im
Umgang mit Gefahrengebieten und Großveranstaltungen wie dem Schlager-Move
und dem Hafengeburtstag, tat gut daran, sich für das Modell „Hanseatisches
Understatement“ zu entscheiden.
Die Temperaturen hatte man auf vier Grad absenken lassen und mit einer
Regenwahrscheinlichkeit von 30 Prozent, bei Sonne am Vormittag, konnte man
typische Hamburger Atmosphäre garantieren, ohne die ausländischen Gäste als
potenzielle zukünftige Touristen durch das legendäre „Schmuddelwetter“ zu
verschrecken.
Helmut Schmidt selbst hatte sich für eine Trauerfeier im Michel entschieden
und im Anschluss an diese und soldatisches Tamtam fuhr der Wagen mit den
Überresten des Mannes, der nicht nur Sturmfluten, seine Frau und die RAF
überlebte, zum Ohlsdorfer Friedhof. Unter besonderer Ausweisung attraktiver
Fotospots hatte der Hamburger Senat den Bürgern die Gelegenheit gegeben,
auf der zwölf Kilometer langen Strecke von ihrem „Jung“ Abschied zu nehmen.
Seit Tagen schon waren im Alsterhaus die Loki-Schmidt-Perücken ausverkauft
und so war es kein Zufall, dass Dutzende von Frauen im Loki-Look den Weg
säumten. Auch hatten viele Hamburger es sich nicht nehmen lassen, ihn auf
seinem letzten Reise mit dem zu begleiten, was er so liebte: Mehlbüddel und
Speckstippe.
Immer wieder warfen Bürger ihre liebevoll selbstgemachten Büddel auf die
schwarze Limousine, manche liefen mit einer Sauciere in der Hand vor dem
Wagen und sorgten, in dem sie die Stippe in einem Rinnsal auf die Fahrbahn
gossen, symbolisch für gutes Geleit.
Im Literaturhaus am Schwanenwik hatte man sich für versöhnliche Töne
entschieden: Lautsprecher waren in die Fenster gestellt worden, und als der
Trauerzug passierte, erklang Heidi Kabels „In Hamburg sagt man Tschüss!“ �…
eine berührende Geste, hält man sich an der Alster doch für gewöhnlich
bedeckt, was die Anerkennung proletarischer Hafenkultur anbelangt.
Immer wieder fanden sich einzelne Vereine und Initiativen zur Bewahrung des
Hamburger Kulturguts an der Strecke, um ihrem Lotsen ihr „Tschüss!“ mit auf
den Weg zu geben. So etwa die SPD. Aber auch der Verein „Spitzer Stein“,
der sich für die Wahrung der nordischen Aussprache des „St“ einsetzt, die
Initiative „Hein & Fiete“, die für die bürgerliche Akzeptanz des
Seemannsgrußes kämpft und der Elblotsen-Mützen-Verein, der eine letzte
Mütze auf den Kühler legte.
Zu unschönen Szenen kam es, als an der
Herbert-Weichmann-Straße/Fährhausstraße die „Opfer polyamouröser Männer�…
auf die Gruppe „Weinende Sekretärinnen e. V.“ traf. Die Polizei musste
eingreifen und konnte nur unter Mühe die Seniorinnen, viele weit über 80,
die sich gegenseitig die Berechtigung zur Trauer absprachen,
auseinanderbringen.
Am Berührendsten aber war wohl der Einsatz der beiden Schachvereine „Linkes
Alsterufer“ und „Rechtes Alsterufer“. Sie hatten der Firma Japan Tabacco
die letzten 250 Packungen „Reyno“ abgerungen und säumten in einer
Raucherkette die Strecke an der Bebelallee. Schon Zehnjährige erwiesen
paffend und mit hanseatischem Stolz einem Mann die letzte Ehre, den diese
Stadt in ihrem Gedächtnis behalten wird wie Hermann Behrens und Erna Mohr.
Es war der ehemalige US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger, der
auf der Trauerfeier im Michel die wohl passendsten Worte fand: „Ich habe
einen Freund verloren. Diese Stadt aber trägt ihr Wahrzeichen zu Grabe.“
20 Nov 2015
## AUTOREN
Silke Burmester
## TAGS
Helmut Schmidt
Henry Kissinger
Hamburger Michel
Medienkrise
Helmut Schmidt
Hamburg
Helmut Schmidt
Helmut Schmidt
Helmut Schmidt
Nachruf
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Die Kriegsreporterin: Mehr Pferde als vorm Ersten Weltkrieg
Die „Süddeutsche Zeitung“ wird zum Kreml der deutschen Medienlandschaft und
Trendforschung ist ein alter Militärgaul.
Kolumne Unter Schmerzen: Bilder, die wehtun
Die Berichterstattung von Helmut Schmidts Beerdigung zeugte von einem
merkwürdigen Totenkult. Und Brüssel sah wie eine tote Stadt aus.
Beerdigung von Helmut Schmidt: Abschied hinterm Straßengitter
Im Hamburger Michel gedachten wichtige Leute eines wichtigen Mannes.
Draußen tummelte sich das Fußvolk. 200 Menschen, bewacht von
Polizei-Kohorten.
Staatsakt für Altkanzler in Hamburg: Abschied von Schmidt
In einem Staatsakt mit 1.800 Gästen wird Abschied von Helmut Schmidt
genommen. Im Anschluss ist ein langer Trauerzug durch Hamburg geplant.
Zum Tode Helmut Schmidts: Der rauchende Opa aus der Glotze
Für die Älteren war Helmut Schmidt ein Ex-Kanzler. Für die Jüngeren war er:
kultig, kauzig und vor allem der letzte würdige Kanzler a. D.
Nachruf auf einen Norddeutschen: Schmidt aus Langenhorn
Helmut Schmidts Popularität ist nicht ohne seine Zeit vor der Kanzlerschaft
denkbar. Er war ein Politiker, der in Hamburg aufstieg.
Nachruf auf Helmut Schmidt: Der Deutsche
Der politische Zustand, in dem Altkanzler Schmidt glänzte, war die Krise.
Doch seine Rationalität hatte auch eine mitleidslose Seite.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.