| # taz.de -- Kolumne Unter Schmerzen: Bilder, die wehtun | |
| > Die Berichterstattung von Helmut Schmidts Beerdigung zeugte von einem | |
| > merkwürdigen Totenkult. Und Brüssel sah wie eine tote Stadt aus. | |
| Bild: „You never smoke alone.“ Q.e.d. | |
| Der Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt ist tot, im Fernsehen liefen am | |
| Montag die Bilder von seiner Beerdigung, irgendwie sehr erschreckende | |
| Bilder waren das. Helmut Schmidt gab es nur noch als nicht sichtbaren | |
| Sarginhalt, der als solcher eine unfassbare Nähe zum Beispiel zur | |
| trauerredenden Bundeskanzlerin aushalten musste und umgekehrt. | |
| Die Bilder der Beerdigung – ich gebe zu, die Zusammenfassung im „heute | |
| journal“ hat mir gereicht – taten weh, aber weniger wegen der Trauer. | |
| Vielmehr schlich sich so ein Unbehagen über den merkwürdigen Totenkult ein, | |
| der da betrieben wurde. Wie bei den Nazis, dachte ich, wobei ich die Bilder | |
| der pompösen NS-Trauerfeiern, die meist in Potsdam stattfanden, natürlich | |
| auch nur aus dem Fernsehen kannte. | |
| Helmut Schmidt war in meiner Familie, auf der väterlichen Seite, durchaus | |
| eine Größe gewesen. Großvater und Urgroßvater, beide aus Hamburg, hatten | |
| dieselbe Prinz-Heinrich-Mütze wie er, und das unterkühlt | |
| Hanseatisch-Autoritäre lag ihnen auch. Als Helmut Schmidt Kanzler war, war | |
| die Welt noch in Ordnung, jedenfalls auf der Oberfläche. An den | |
| Machtwechsel zu Helmut Kohl kann ich mich genau erinnern: ein schlimmer | |
| Tag, an dem sich die Erde einmal umdrehte, von links nach rechts. | |
| Irgendetwas war plötzlich anders, die Vögel flogen tiefer, die Luft war | |
| saurer, meine Kindheit war zu Ende: Auch hier hatte die | |
| bäuerlich-christdemokratische Seite meiner Familie gewonnen. | |
| ## Die geistig-moralische Wende ins Ungute | |
| Hernach war mir Helmut Schmidt lange egal. Als ich in den ausgehenden | |
| Schröder-Jahren einmal Liebeskummer hatte, den schlimmsten, habe ich mir in | |
| schlaflosen Nächten „Legendäre Bundestagsdebatten“ auf Phoenix angesehen. | |
| Da sah man das intellektuelle Jahrzehnt in der Politik, die Jahre zwischen | |
| 1966 und 1976. Besonders die Sozialdemokraten überzeugten mit ausgestellter | |
| Überlegenheit in Sachen Durchblick. Der Einzige, der mit Schmidt, Wehner, | |
| Brandt oder dem eloquenten Finanzminister Schiller von der anderen Seite | |
| intellektuell mithalten konnte, war ausgerechnet Franz Josef Strauß. | |
| Ansonsten gab es dort nur den bräsigen Dregger und den ungeschlachten Kohl. | |
| Diese gerechtfertigte Arroganz! Das Ausspielen der besseren Argumente! | |
| Dagegen schienen mir schon damals, 2002/03, die meisten Reden im damals | |
| aktuellen Bundestag von lärmender Dummheit. | |
| Aber ja, das ist alles nur vermitteltes Wissen. Den Totenkult von Montag | |
| fand ich dennoch unheimlich; fast so unheimlich wie die Bilder aus der | |
| ausgestorbenen Stadt Brüssel. Eine von oben stillgelegte Stadt, die | |
| Hauptstadt Belgiens und Regierungs- und Verwaltungssitz der EU, nur weil | |
| einer dieser Terroristen immer noch nicht gefasst wurde und es ominöse | |
| Terrorwarnungen gegeben hat. | |
| Irgendwie glaube ich nicht an Terrorwarnungen. Irgendwie scheinen mir | |
| Terrorwarnungen der wahre Terror zu sein. | |
| Die Revolution hingegen, das habe ich aus der Beschäftigung mit Popmusik | |
| gelernt, in all den Jahren, in denen ich nicht wählen war, wird nicht im | |
| Fernsehen übertragen. | |
| Im Gegensatz zu Trauerfeiern. | |
| 25 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| René Hamann | |
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