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# taz.de -- Kolumne Unter Schmerzen: Für immer 58
> Onkel Alex, die Wurst, das Fleisch und die Odyssee: Die Woche nach dem
> WHO-Bericht, dass Fleisch Krebs erregt.
Bild: Hermes? Der Reise- und Postgott? Hermes, der Paketdienst? Nein, Hermès, …
Schon mal eine Odyssee erlebt? Oder wenigstens mal reingelesen? Ist ganz
witzig: Man begegnet dem listenreichen Odysseus, jeder Menge „salzigem
Wasser“ (eine frühe Umschreibung für das Meer), man begegnet der
rosenfingrigen Eos, also der Göttin der Morgenröte, den Zyklopen und den
Sirenen und überhaupt zahlreichen Frauenfiguren, die Odysseus von seiner
Heimkehr abzuhalten trachten. Worauf ich aber eigentlich hinauswill: Man
begegnet einem, sagen wir: ursprünglicheren Verhältnis zum Essen.
Wie oft segeln nämlich die Griechen auf ihrem Weg zurück aus Troja die
zahlreichen Küsten der zahlreichen ägäischen Inseln entlang und entdecken
alle paar Seiten dort was? Nein, keine Flüchtlinge, die Gummiboote
präparieren, sondern stattliche Stiere. Die nur Zeilen später erlegt
werden.
Und schon geht es los, das nächste Gelage: Die Reste des Stiers werden über
dem Feuer gedreht, es gibt Wein aus Schläuchen und jede Menge Gesang. Es
gibt allerdings auch Frauenmangel, aber das scheint die Männer des
listenreichen O. nicht weiter anzufechten.
Die stattlichen Tiere sind für die Griechen also nur herumlaufendes Essen.
Festmahle auf vier Hufen! Überhaupt entpuppt sich die „Odyssee“ schnell als
Kochporno mit ein wenig actionreicher Handlung drum herum. Ein Gelage gibt
es im Schnitt alle vier Seiten, und es wird in aller Ausführlichkeit
geschildert.
## Meat is Murder
Seit Montag ist [1][dank der WHO] nun bekannt: Fleisch tötet. Fleisch, vor
allem wie auch immer bearbeitetes, ist karzinogen, heißt: krebserregend.
Vorbei die Zeiten der Mettbrötchen und Klebeschinken mit lustigem Gesicht.
Vorbei die Zeiten des Genusses ohne Reue, auch wenn jetzt überall betont
wird, dass es mit Fleisch noch nicht so ist wie mit Zigaretten. Aber es
geht schwer in die Richtung.
Denn klar, wer möchte schon an Magen- oder Darmkrebs sterben? Kein schöner
Tod. Der Bruder meiner Oma, die kürzlich 90 geworden ist und dank Morphium
(ihre Wirbelsäule hat sich zum Torbogen gekrümmt) schmerzfrei durch ihre
Tage in der Abteilung „Betreutes Wohnen“ dämmert – gelegentlich raucht s…
übrigens noch und kann also locker mit Helmut Schmidt mithalten – äh, der
jedenfalls müsste auch allmählich auf die 90 zugehen, hat aber schon seit
mehreren Jahren keinen Magen mehr. Oder nur noch Reste. Oder einen
Kunstmagen.
Ich weiß es eigentlich nicht genau. So entfernte Verwandte haben ja gefühlt
immer dasselbe Alter, sie sind irgendwie für immer 58. Irgendwann haben sie
irgendwas Schlimmes, das sie oft aber überleben, und dann vergehen
Jahrzehnte und irgendwann findet eine Beerdigung statt. Ihre Leben scheinen
irgendwann festgefroren zu sein, tatsächlich stillzustehen.
Was hat das mit Fleischverzehr zu tun? Nicht so viel. Mit Zigaretten schon
eher (man braucht halt seine Suchtstoffe und die sind leider oft schädlich;
zum Glück trifft das auf Kaffee nicht so richtig zu). Mit der „Odyssee“
vielleicht gar nichts, höchstens auf einer anderen Ebene: Wie langweilig
wäre die „Odyssee“, wenn alle nur Gemüse gegessen hätten? Und schön zu
Hause geblieben wären?
31 Oct 2015
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/inland/who-fleisch-krebs-101.html
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
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