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# taz.de -- Bäckereien und Metzgereien schließen: Oh Wurstbrötchen!
> Über die vergangenen zehn Jahre hat ein Drittel der Bäckereien und
> Metzgereien in Deutschland dichtgemacht. Eine wehmütige Mettpoesie.
Bild: Mett am Morgen: der Gegenentwurf zur Selbstoptimierung
Berlin kann nicht gemeint sein, und wenn doch, dann wäre das Sterben der
traditionellen Bäckereien und Metzgereien in der Hauptstadt kein allzu
großer Verlust. Denn in Berlin haben die Familienbetriebe und die
Billigdiscounter eines gemeinsam: Sie können, von sehr wenigen Ausnahmen
abgesehen, kein gutes Brot machen und gute Wurst auch nicht (und gutes Bier
schon gar nicht, aber darum geht es diesmal nicht).
Woanders aber wird das Wehklagen groß sein, und zwar zu Recht. [1][Eine
Leberkäs-Semmel] in Niederbayern kauft man nicht bei Aldi-Süd und wenn
doch, kann man auch gleich zu Hause in den Altpapierkarton beißen. „Drei im
Weggla“ gibt’s in Franken beim Metzger, wer die kleinen Bratwürste bei
Penny oder Lidl holt, muss ein zugezogener Berliner sein.
Ein Mettbrötchen im Ruhrgebiet, ein Schinkenbrötchen zwischen Münster und
Hannover und selbst [2][das Fischbrötchen an Nord- und Ostsee] (das ja auch
nur ein verkapptes Wurstbrötchen ist), all das ist meist leckerer, wenn man
es beim Bäcker oder Metzger holt.
Da hat sich nämlich morgens jemand Mühe gemacht: Ein paar Brötchen
aufgeschnitten, gut gebuttert, und dann belegt, nicht zu knapp und nicht zu
dick. Garnitur kann, muss aber nicht. Entscheidend bei Wurstbrötchen sind
ja eben nicht das Salatblatt, das Gürkchen, ein wenig Tomate. Nice to have,
das ja, aber trotzdem nur Garnitur. Es heißt Wurstbrötchen, nicht
Salatbrötchen, entscheidend sind die Wurst (gerne viel! Und gute Qualität!)
und das Brötchen (meist ein einfaches Brötchen, eher selten Mehrkorn).
## Wurstbrötchen als neues Rauchen
Wurst. Weißes Brötchen. Kombiniert. Das ist ungesund, vom Discounter
wahrscheinlich noch ungesünder als vom Bäcker oder Metzger. Aber auch
traditionelle Bäckereien und Metzgereien haben Gesünderes zu bieten als
Wurstbrötchen. Das Wissen, gleich ins Gegenteil einer lebensverlängernden
Maßnahme zu beißen, gehört zum Wurstbrötchen wie ein Klecks Senf, Remoulade
oder Ketchup. Wurstbrötchen war schon das neue Rauchen, als im Krankenhaus
noch geraucht wurde. Anders gesagt: Selbst die härtesten Raucher warnen in
der Raucherecke vor den Gesundheitsgefahren des Wurstbrötchens.
[3][Nehmen wir zum Beispiel das Mettbrötchen], auch Männermarmelade
genannt. Ein Weißbrötchen mit rohem Hackfleisch. Vom Schwein. Also Pappe
mit Pampe, Cholesterin, Antibiotika, Hormone, Keime, Erreger inklusive.
Dazu noch stark gewürzt: Salz (ungesund!), Pfeffer (auch ungesund!). Und
obendrauf ein halbes Pfund rohe Zwiebeln. Es gibt nichts Vergleichbares,
mit dem man so einfach und symbolisch perfekt sämtlichen Gesundheitsgurus
in den Arsch treten kann.
Ein Mettbrötchen aber wird niemand beim Discounter kaufen, wo es
eingeschweißt zwischen anderen „Frischeprodukten“ liegt, von denen einige
vielleicht sogar wirklich frisch sind. Nein, das gehört bei einem Bäcker
oder Metzger in die Auslage, zusammen mit Schinken- und Eibrötchen, und
allen muss man ansehen, dass sie eben nicht mehr ganz frisch sind, sondern
schon einen Vormittag über reifen konnten, um ihr volles Aroma zu
entfalten. Mit diesen Stellen, an denen sich Belag und Garnitur leicht
verfärben oder wellen.
Da heißt es dann zugreifen, denn genau so muss ein Wurstbrötchen sein – die
Welt ist ja auch nicht perfekt. Und auch Vegetarier und Veganer wollen wir
nicht vergessen: Der Anblick eines Mettbrötchens am Morgen dürfte dem
wachsenden Heer an Nichtfleischessern mehr Zulauf bringen als alle Kritik
an der Massentierhaltung. Denn, klar, schön ist so ein Mettbrötchen nicht.
Aber lecker. Mahlzeit!
24 Apr 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Maik Söhler
## TAGS
Wurst
Metzgerei
Bäckereien
Lebensmittel
Gesundheit
Digitalisierung
Veganismus
Fastfood
Unter Schmerzen
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