# taz.de -- Die Wahrheit: Die Burger-Revolution | |
> Der Kampf gegen den Hipster-Imbiss hat begonnen. Otto-Normal-Esser wehren | |
> sich gegen die Kulinarifizierung. | |
Bild: Der Burger muss wieder in die Schmuddelecke | |
„Erst das Rennrad, jetzt der Burger! Diese Hipster machen vor nichts halt! | |
Und wer badet es aus? Wir Sozialarbeiter.“ Lennard Laskow ist sauer. Der | |
36-jährige Sozialarbeiter betreut „hungrige Otto-Normal-Esser“, wie er | |
seine Klientel nennt. Menschen, die sich nicht in die angesagten | |
Burgerläden mit klangvollen Namen wie Hans im Glück, Schiller Burger oder | |
Burgeramt trauen, die mittlerweile überall in Deutschland aus dem Boden | |
schießen. | |
Ahmed Schneider hat die Hände tief in den Taschen seiner weiten Jogginghose | |
vergraben. Seit vierunddreißig Stunden steht er vor einem der angesagten | |
Burgerläden in Berlin-Neukölln und schaut resigniert ins klischeehaft | |
abgerockte Innere. Hipster, It-Girls und brotlose Künstler haben die | |
wenigen Plätze unter sich aufgeteilt. „Ich kann da doch nicht rein! Ich | |
habe ja nicht mal ein Tattoo!“, seufzt Schneider. | |
Laskow, der den Endvierziger vor Ort betreut, bietet ein offenes Ohr für | |
Menschen, die nahezu von jetzt auf gleich ihre wichtigste | |
Grundnahrungsquelle verloren haben. „Die werden völlig unvorbereitet mit | |
Burgerpattys aus handmassiertem Wagyu-Rind und Mungobohnen-Topping | |
konfrontiert. Das haut die um!“ Laskow lässt seine Klienten erst mal von | |
ihren Sorgen berichten. „Ja, und dann müssen wir nach Alternativen Ausschau | |
halten. Was mit weniger Coolness-Faktor.“ Ahmed Schneider schaut | |
hoffnungsvoll. „Gibt’s nicht diese Heiße Hexe an der Tanke?“ Laskow legt | |
väterlich den Arm auf dessen schmale Schultern. „Mensch Ahmed, das war mal | |
in den Neunzigern.“ | |
Selbst zu „Mäckes“ könnten er und seine Jungs nicht mehr gehen, klagt | |
Schneider. „Innen ist alles so öko und dann die Motto-Burger! Die versuchen | |
doch auch, was Besseres zu sein! Und was zur Hölle ist Quinoa?“ Selbst die | |
Fast-Food-Riesen McDonald‘sund Burger King – besorgt um ihre Marktanteile �… | |
versuchen mit den Edelburgern der jungen Konkurrenz mitzuhalten. | |
## Auch die Currywurst hilft nicht mehr | |
Soziale Entwurzelung mit einhergehender Identitätskrise, so nennt der | |
Sozialarbeiter Laskow die Folgen dieses gastronomischen Trends, die er an | |
vielen Menschen im Kiez beobachten kann. „Was ist denn mit Currywurst, | |
Lennard?“, will Ahmed Schneider von seinem Betreuer wissen. Doch auch hier | |
muss der abwiegeln. „Die gibt es doch auch nur noch vergoldet und mit | |
Schampus, Ahmed.“ | |
Das sind Zustände, die Udo „Hotte“ Fernandéz nicht mehr länger ertragen | |
will. Der Unternehmer und Freigeist aus Garmisch-Partenkirchen will eine | |
„soziale Revolution des Burgeressens“ einleiten. „Es kann doch nicht sein, | |
dass Otto Normalverbraucher vor so einem Laden steht, einen | |
Wahnsinns-Kohldampf hat und nicht reingeht, weil da so Typen mit zu engen | |
Hosen, Vollbart und albernen Holzfällerhemden abhängen und Soße auf ihre | |
Macs kleckern!“ | |
Fernandéz, der viele Jahre intensiv mit dem Gedanken gespielt hat, | |
Betriebswissenschaften zu studieren, ist überzeugt: „Das Marktpotenzial ist | |
hier doch gigantisch! Wir müssen nur den Burger wieder in die Schmuddelecke | |
bekommen!“ Dazu hat er nun in Berlin mehrere Ladenlokale angemietet, die | |
seit dem letzten Bubble-Tea-Trend leer stehen. Das Konzept des Unternehmers | |
ist denkbar simpel: „Als Einrichtung Plastik-Schick mit null Charme. So | |
wartehallenmäßig. Und aus der Küche weht permanent ein Geruch nach altem | |
Frittierfett rüber!“ | |
## Käsige Gesichtsfarbe, leichte Adipositas | |
Überdimensionierte Flatscreens hängen über jeder der Sitzgruppen. Der | |
eingeschaltete Shopping-Sender sorgt für einen unerträglichen Lärmpegel. | |
Schnauzbärtige Alleinunterhalter preisen 24 Stunden die Vorzüge von | |
Wunderkristallen und orthopädischen Schuhen. Statt tätowierten Stylern | |
arbeiten bei Marketingexperte Fernandéz ausschließlich, wie er es nennt, | |
anschlussfähige Identifikationsfiguren: „Einstellungsbedingungen sind | |
käsige Gesichtsfarbe, leichte Adipositas und ein Bildungsniveau zwischen | |
`Frauentausch´ und `Jungle Camp´. Da erkennt sich doch der | |
durchschnittliche Kunde sofort wieder!“ | |
Fernandéz hat sein unternehmerisches Ziel klar definiert: „Wir wollen | |
wieder die breite Masse in die Burgerläden locken. Und das mit dem breit, | |
das meine ich wörtlich! Meinen Sie, ein arbeitsloser Betonierer mit | |
Alkoholproblem kann was mit Quinoa anfangen?“ | |
Trotzdem legt der Unternehmer auf die verwendeten Zutaten großen Wert. | |
Statt Superfood will Fernandéz den Fokus wieder auf „die Basics, die den | |
Burger groß gemacht haben“, legen. In seinen Burgerläden gibt es | |
ausschließlich Rind aus unbiologischer Haltung und Kopfsalat aus garantiert | |
gespritzten Beständen. Die Eier, aus der die Mayonnaise gemacht wird, | |
stammten „zu hundert Prozent von unglücklichen Hühnern“, versichert der | |
Garmisch-Partenkirchener. Seine Kunden seien schließlich auch unglücklich | |
und könnten sich so besser mit dem Essen identifizieren. | |
## Umschulung von Klienten | |
„Du isst, was du bist“, weiß Fernandéz und schaut zuversichtlich auf die | |
nächsten Tage: „Wenn sich die Lebensmittelaufsicht endlich schmieren lässt, | |
eröffnen wir schon in zwei Wochen!“ | |
Sozialarbeiter Lennard Laskow arbeitet währenddessen weiter an der | |
Umschulung von Klienten wie Ahmed Schneider. Laskow hat ein Mettbrötchen | |
mit Zwiebeln organisiert. Doch Schneider ist skeptisch. „Das ist ja noch | |
roh! Wer isst denn so was?“ | |
21 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Nico Rau | |
## TAGS | |
Fastfood | |
Ernährung | |
Hipster | |
Wurst | |
Einkaufen | |
Lifestyle | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
Fotografie | |
Flüchtlinge | |
Autobahn | |
2016 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bäckereien und Metzgereien schließen: Oh Wurstbrötchen! | |
Über die vergangenen zehn Jahre hat ein Drittel der Bäckereien und | |
Metzgereien in Deutschland dichtgemacht. Eine wehmütige Mettpoesie. | |
Städtebauxperte über Einkaufszentren: „Die Kunden zieht es an die Luft“ | |
Frank Osterhage sieht einen Rückzug in die Innenstädte. Den Betreibern von | |
Shopping-Malls fehle es aber an Mut zu offenen und innovativen Konzepten. | |
Die Wahrheit: Eremiten leben länger | |
In diesen schweren Zeiten ist es allein auf weiter Flur doch am | |
allerschönsten. Eremitentum ist eine echte Alternative. | |
Die Wahrheit: Gold-Pussies auf Trab bringen | |
Olympische Spiele 2016: Einblicke in die schmutzigen Umtriebe der | |
hochgeheimen Sabotage-Abteilung des Internationalen Olympischen Komitees | |
Die Wahrheit: Selfie mit dem T-Rex | |
Der Animalismus dominiert immer stärker die grassierende Selbstfotografie. | |
Nach dem Duckface hat nun der „Giraffe-Neck“ Konjunktur. | |
Die Wahrheit: Zentrale des Grauens | |
Eine Stadt am Abgrund. Einblicke in die Skandalmetropole Köln, in der | |
selbst Tauben aggressiv auf Neuankömmlinge starren. | |
Die Wahrheit: Die Scheißhausrevolution | |
Stille Orte adé - deutsche Autobahnraststättenklos werden endgültig zu | |
stilvollen Tempeln der Erlebnisdefäkation. | |
Die Wahrheit: Fang die Sau! | |
Es wird Zeit für gute Zukunftsmusik – und Zeit für einen herrlichen | |
Wahrheit-Ausblick auf das Jahr 2016. |