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# taz.de -- Die Wahrheit: Selfie mit dem T-Rex
> Der Animalismus dominiert immer stärker die grassierende
> Selbstfotografie. Nach dem Duckface hat nun der „Giraffe-Neck“
> Konjunktur.
Bild: Selbstbildnisse als Saurier lassen sich auch mit Hilfsmitteln erstellen
Mit einem Duckface für das perfekte Selfie zu posen, das beherrschen
mittlerweile auch fünfjährige Selbstdarsteller ansatzlos. Die Entenschnute
(Lippen zum Schmollmund formen, Augen aufreißen und dabei die Wangen
einsaugen) war in der Öffentlichkeit schon so verbreitet, dass Zoologen
Kongresse zur Fragestellung „Verliert die Ente ihr Gesicht? Zur Bedeutung
animalischer Verhaltensübernahmen in der Selbstfotografie durch Homo
Sapiens Digitalis“ abhielten.
Während die Habitualisierung des Duckfaces bereits abgeschlossen ist und
dieser Gesichtsausdruck eine feste Konstante in der medial inszenierten
Gesellschaft einnimmt, drohte kurzfristig das Fishgape dessen
Vormachtstellung im Reich der narzisstischen Posen zu übernehmen.
Dem Trend zum Animalismus in der Selbstfotografie weiter folgend orientiert
sich der Selfie-Shooter hierbei an der Fischwelt: Der Mund wird leicht
geöffnet, der Blick entleert und dabei etwas Zahn entblößt. Doch offenbar
sind die prägenden Attribute des Fischs (Fischgeruch, Schuppen) nicht
kompatibel mit dem Selbstverständnis der Selbstdarsteller, denn der
Fishgape konnte sich nicht durchsetzen.
Jetzt scheint ein ungleich potenterer Nachfolger in der Selbstfotografie
gefunden, der sich in hohem Tempo über Instagram verbreitet. Soziale Medien
und Klatschportale setzen bereits zu Jubelstürmen an: Die T-Rex-Hand
erobert die Welt der eitlen Posen. Der Dinosaurier Tyrannosaurus Rex ist
medial eine Art Dauerbrenner – ob in großen Hollywoodproduktionen,
trashigen B-Movies oder als Namensgeber für eine Rockband. Die tödliche
Fressmaschine mit permanentem Hungertrieb und notorischer Unterbelichtung
inspiriert nun den neuesten Selfie-Trend.
## Verstümmelten Klauen gleich
Die Hand wird gleich der verstümmelten Klauen des T-Rex leicht aufgespreizt
und möglichst beiläufig an Kinn, Wange oder Körper angelegt. Der Mund kann
dabei sogar geschlossen bleiben – ein Variante, die besonders der sozialen
Umgebung des Fotografierenden zugutekommt.
Evolutionstheoretisch ist das Verhalten der sich selbst Fotografierenden
hoch interessant, schließlich ist die Ente wesentlich weiter evolviert, als
es Tyrannosaurus Rex je war. Und Fische sind bekanntlich ein besonders
übler Scherz der Evolution. Wir sprechen also hier über eine modische
Regression in der Selbstfotografie, die sich lohnt, genauer untersucht zu
werden.
Zu einfach erscheint die Herleitung, Verfechter der sogenannten Paläodiät
hätten diesen Trend inszeniert. Vor allem, weil die meisten der prominenten
Selfie-Shooter aktuellen Umfragen zufolge eher dem Lager der
glutenunverträglichen, laktoseintoleranten und veganernährenden Spezies
zuzurechnen sind.
## Shelfie-Shooter haben mehr Hirn
Schnell ließe sich der unvorsichtige Beobachter auch dazu verleiten, vom
erbsengroßen Hirn des T-Rex auf ein eben solches bei den Selfie-Shootern zu
schließen. Doch während die Forscher mittlerweile vermuten, dass der
Saurier trotz perfekt entwickelter Raubtierfähigkeiten hauptsächlich Aas
verspeiste – mutmaßlich aus reiner Dummheit – wird den sich selbst
Fotografierenden eine eher gesundheitsorientierte Ernährung zugeschrieben.
Ein Restintellekt muss dafür vorhanden sein, so beschränkt der auch
ausfallen mag. Also greift auch dieser Erklärungsansatz deutlich zu kurz.
Stattdessen muss davon ausgegangen werden, dass wir es bei diesem Phänomen
mit einer Verbrüderung im Geiste zu tun haben. Der Tyrannosaurus Rex ist
vor rund 65 Millionen Jahren ausgestorben. Der Selfie-Shooter ist sich
seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst und reflektiert diese mittels
medialer Inszenierung der T-Rex-Hand.
Die verkümmerten Klauen symbolisieren dabei die Unmöglichkeit, am Leben
festzuhalten. Der T-Rex klammerte sich einst vergeblich an das Sein, so wie
heute der Selfie-Shooter. Ist es also eine pessimistische lebensverneinende
Pose? Keinesfalls, hat es der T-Rex doch als Popikone zur Unsterblichkeit
und ewigem Ruhm gebracht. Der sich selbst Fotografierende hofft also, es
ihm gleichzutun.
Wie lange dieser neue Trend bestand haben wird, ist völlig offen. Bereits
jetzt finden sich zahlreiche potenzielle Nachfolgerposen, die jederzeit
„trenden“ könnten. Für das sogenannte Rabbit-Face muss sich der sich selb…
Fotografierende alle Zähne bis auf die zwei vorderen Schneidezähne
ausschlagen – auch in der Offline-Welt ein Alleinstellungsmerkmal.
Geringere persönliche Kosten verursacht hingegen der „Giraffe-Neck“: Der
Selfie-Shooter lässt hierbei die Schultern tief hängen und streckt den Hals
maximal in die Höhe. Ein Blatt im Mundwinkel rundet die Inszenierung ab.
Mit dem Trend zum Animalismus in der Selbstfotografie zeigt sich ein
weiteres Mal: Der Mensch ist das Tier mit dem dünnsten Fell.
13 Apr 2016
## AUTOREN
Nico Rau
## TAGS
Fotografie
Selfie
Narzissmus
Gemüse
Arbeitsplätze
Lifestyle
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Fastfood
Flüchtlinge
Party
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