# taz.de -- Stillstand in Europas Hauptstadt: Brüssel trotzt der Angst | |
> Zwei Terroristen könnten Anschläge verüben, warnen die Behörden. Die | |
> Hauptsorge der meisten Einwohner ist allerdings praktischer Natur. | |
Bild: Die U-Bahn fährt nicht mehr, die Einkaufszentren sind geschlossen, die h… | |
Brüssel taz | Auf der Place Stéphanie steht ein Panzerwagen. Dort, wo sonst | |
das schicke Brüssel shoppen geht, herrscht an diesem Sonntag gespenstische | |
Stille. Der Lauf des Maschinengewehrs, das aus dem Aufbau des Panzerwagens | |
ragt, ist auf den Kreisverkehr gerichtet. Doch es sind kaum Autos | |
unterwegs. Die Kriegswaffe zielt ins Leere. | |
Ganz anders das Bild an der Place Flagey. Hier, im Zentrum des jungen und | |
hippen Stadtteils Ixelles, merkt man nichts vom Ausnahmezustand, den die | |
belgische Regierung schon in der Nacht zum Samstag über Brüssel verhängt | |
hatte. Zwar wurde der Sonntagsmarkt abgesagt, so wie überall in der Stadt. | |
Doch die Geschäfte sind offen – und voll. | |
Im Café Belga, dem Treffpunkt der Studenten und Internet-Nomaden, ist kein | |
einziger Platz mehr frei. „Für uns ist das ein Sonntag wie jeder andere“, | |
sagt ein Barkeeper, der selbst von dem Andrang überrascht ist. Junge Eltern | |
mit ihren kleinen Kindern bestellen wie immer ihren „Lait russe“, den | |
belgischen Milchkaffee. Sogar die Terrasse ist geöffnet. | |
Genau wie die Pariser wollen sich auch die Bürger der belgischen Hauptstadt | |
von den Islamisten nicht ins Bockshorn jagen lassen. „La vie continue“, das | |
Leben geht weiter, sagt ein Gast im Belga. Doch der Terror ist in allen | |
Köpfen, die Bedrohung prägt viele Gespräche – denn die Nachrichten an | |
diesem 22. November sind beunruhigend, ja furchterregend. | |
## Mehrere Verdächtige werden dringend gesucht | |
„Wir haben erfahren, dass sich zwei Terroristen auf Brüsseler Territorium | |
befinden und gefährliche Taten verüben könnten“, warnt der Bürgermeister | |
der Gemeinde Schaerbeek, Bernard Clerfayt. Innenminister Jan Jambon spricht | |
sogar von „mehreren Verdächtigen“. Sie könnten bewaffnet sein und | |
Sprenggürtel tragen, heißt es. | |
Die Brüsseler Bürger wurden aufgefordert, Menschenansammlungen, Konzerte, | |
Bahnhöfe und Flughäfen zu meiden. Das verfehlt seine Wirkung nicht: „Die | |
Leute haben Angst“, sagt eine Mitarbeiterin des Krisentelefons, das die | |
belgischen Behörden eingerichtet haben. „Sie wollen wissen, wie es | |
weitergeht, wann endlich wieder die Normalität einkehrt.“ | |
Normalität? Davon kann in Brüssel schon lange keine Rede mehr sein. Bereits | |
seit Januar stehen schwer bewaffnete Soldaten vor Botschaften und jüdischen | |
Einrichtungen Wache. Damals war eine Terrorzelle im ostbelgischen Verviers | |
ausgehoben worden. Und bereits seit einer Woche, seit den Attentaten in | |
Paris mit inzwischen 130 Toten, herrscht in Belgien landesweit Alarm. | |
Die Behörden fahnden nach Salah Abdeslam, dem Bruder eines der Pariser | |
Terroristen, der offenbar mit zwei seiner Komplizen in Richtung Belgien | |
entkommen ist. Mehrere Razzien verliefen bisher erfolglos. Doch am Freitag | |
vergangener Woche wurden die Ermittler im Brüsseler Problemviertel | |
Molenbeek schließlich fündig. In einer Wohnung fanden sie Waffen und | |
Chemikalien, die für ein Sprengstoffattentat genutzt werden könnten. | |
## Über Nacht zur Geisterstadt geworden | |
Seither herrscht Terrorwarnstufe vier – das höchste Level, das nur bei | |
einer „ernsthaften und unmittelbaren Bedrohung“ ausgerufen wird. Die U-Bahn | |
fährt nicht mehr, die Einkaufszentren wurden geschlossen, die historische | |
Grand Place und die großen Boulevards wurden von vermummten Soldaten | |
besetzt. Fußballspiele und Konzerte wurden abgesagt. Selbst Bistros und | |
Kneipen machten dicht, Brüssel wurde über Nacht zur Geisterstadt. | |
„Die Stimmung ist sehr merkwürdig“, berichtet ein Busfahrer, der regelmä�… | |
durch das Zentrum fährt. „Die wenigen Leute, die sich noch auf die Straße | |
trauen, laufen wie die Zombies.“ Selbst den Soldaten, die sich alle paar | |
hundert Meter postiert haben, ist mulmig zumute. „Uns macht das auch zu | |
schaffen“, sagt ein Militär, „früher oder später wird bestimmt etwas | |
passieren!“ | |
Doch es passierte nichts – jedenfalls nicht bis Sonntagabend. Die 1,2 | |
Millionen Brüsseler, darunter Tausende Diplomaten und Beamte der | |
EU-Institutionen, konnten ein paar Stunden durchatmen. Doch es könnte die | |
Ruhe vor dem Sturm sein – genau wie in Paris, wo die Sicherheitskräfte erst | |
am Mittwoch, fünf Tage nach der Terrornacht, die mutmaßlichen Drahtzieher | |
stellten. | |
Bei dem Gefecht im Pariser Vorort Saint-Denis kam auch [1][Abdelhamid | |
Abaaoud] ums Leben, der meistgesuchte Terrorist Belgiens. Nun fürchten die | |
belgischen Behörden, seine ehemaligen Freunde oder Komplizen könnten Rache | |
nehmen. Vor allem Salah Abdeslam gilt als unberechenbar. | |
## Keine Details | |
Bei seiner Flucht von Paris in Richtung Belgien sei er „extrem nervös“ | |
gewesen und „möglicherweise bereit, sich in die Luft zu sprengen“, gab die | |
Rechtsanwältin eines später gefassten Begleiters zu Protokoll. Abdeslam | |
habe eine dicke Jacke getragen, unter der sich möglicherweise ein | |
Sprenggürtel verborgen habe, vermutet die Anwältin. | |
Beweise gibt es dafür allerdings nicht. Ähnlich wie nach dem abgesagten | |
Fußball-Länderspiel in Hannover wollen auch die belgischen Behörden keine | |
Details verraten. | |
Die Hauptsorge der meisten Brüsseler gilt denn auch nicht einem möglichen | |
Attentat, sondern einer ganz praktischen Frage: Wann wird die Metro wieder | |
fahren? Und wann werden die Geschäfte und Schulen wieder öffnen? | |
Auch am Montag bleibt für Belgiens Hauptstadt die höchste | |
Terrrorismus-Warnstufe bestehen. Die U-Bahn wird nicht fahren, Schulen und | |
Universitäten bleiben geschlossen. Das teilte Belgiens Premier Charles | |
Michel Sonntagabend nach einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrates mit. | |
Am Montag werde die Lage dann neu entschieden, sagte Michel. | |
Wenn der Terroralarm nicht gelockert wird, dann dürfte auch das Leben im | |
Brüsseler Europaviertel zum Erliegen kommen. Noch am Freitag hatten dort | |
die Innenminister der 28 EU-Länder schärfere Anti-Terror-Gesetze | |
beschlossen. Die meisten dieser Sicherheitsmaßnahmen werden aber erst | |
später wirksam, frühestens im Januar nächsten Jahres. Und auf die | |
Terrorgefahr in Belgien gingen die Minister mit keinem Wort ein. | |
22 Nov 2015 | |
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[1] /Anti-Terror-Einsatz-nach-Paris-Attentaten/!5254340/ | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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