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# taz.de -- EU-Verbot der Mentholzigarette: Alles spricht gegen Menthol
> Ab Mittwoch ist die Mentholzigarette in der EU verboten. Wir
> verabschieden uns schon einmal von der Sorte in der grünen Schachtel.
Bild: Newport ist die meistverkaufte Marke von Mentholzigaretten weltweit
Viel Gutes ist über das Rauchen zu sagen, vor allem wenn man denken muss.
Der niederländische Arzt Beintema von Palma schrieb schon vor 300 Jahren:
„Einer, der studiert, muss notwendig viel Tabak rauchen, damit die Geister
nicht verloren gehen und er wohl überlegen und beurteilen kann.“
Insbesondere die Zigarette verdient Lob, die eine proletarische Erfindung
ist. Spanische Tabakarbeiterinnen kamen auf die Idee, Reste in Papier zu
wickeln und anzuzünden. Eine große, entschieden zu wenig gewürdigte Tat.
Nichts Gutes ist hingegen über die Mentholzigarette zu sagen. Lassen wir
beiseite, dass Konzerne in den USA in den 50ern gratis Mentholzigarretten
an schwarze Kinder verteilen ließen, um die Schwarzen als Konsumenten für
diese merkwürdige, zweitklassige Form des Rauchens zu gewinnen. Ähnlich
Abgründiges gab es auch im Zigarettenbusiness.
Gegen die Mentholzigarette aber spricht alles: Sie ist nicht ehrlich. Das
anscheinend frische, arg künstlich wirkende Menthol übertüncht den
wunderbaren Geschmack des Tabaks. Das ist schändlich. Warum raucht man,
wenn man gerade das Herrliche, den Geruch von Tabak, zum Verschwinden
bringen will? Mir scheint das so verlockend, wie Marihuana mit
Himbeergeschmack zu rauchen.
Von Helmut Schmidt, dem bekannten Menthol-Paffer, gibt es die Legende, dass
er sich mit 200 Stangen eindeckte, als die EU das Verbot plante. Es hätte
bis zu seinem 100. Geburtstag gereicht. Man musste kein Schmidt-Anhänger
sein, um das irgendwie rührend zu finden.
Nun wird sie verboten, weil sie besonders gefährlich für Konsument:innen
sein soll, die offenbar zu doof sind, das selbst zu verstehen. Das hat die
Mentholzigarette, verachtenswert wie sie ist, auch nicht verdient. Ich bin
ein Anhänger der Europäischen Union, die es jederzeit gegen tumbe
Nationalisten zu verteidigen gilt. Aber das geht zu weit. Was kommt als
Nächstes? Piña Colada verbieten, weil man den Alkohol nicht schmeckt?
Stefan Reinecke
## Wie Wiener Schnitzel aus Algenbrei
Niemand, der bei Trost ist, raucht Mentholzigaretten. Und trotzdem ist es
selbstverständlich ein weiterer Schritt in Richtung
Protestantismusfaschismus, ihr das Existenzrecht abzustreiten. Denn:
Demokratie beginnt im Aschenbecher.
Selbst wer sich mit Schwarzer Krauser oder Roth-Händle ohne Filter seine
Zähne ruiniert, seine Lunge perforiert und nach dem Aufhören mit heftigen
körperlichen Kompensationsforderungen zu tun hatte, steht heute, in diesen
schwierigen Zeiten hinter den Mentholern. Für das Recht auf Rauchfreiheit!
Und das, obwohl Ottonormalraucher die Mentholer schon immer für eine nicht
ernst zu nehmende Spezies hielten. Eine starke Raucherin fasst die Menthol
noch nicht mal dann an, wenn die Schachtel alle ist und schon die Reste aus
dem Aschenbecher oder dem Teebeutel eng werden.
Die Mentholzigarette ist wie Apfelmus aus Meerrettich oder Wiener Schnitzel
aus Algenbrei. Streng genommen dürfte sie im Zigaret-tenregal gar nicht
unter „Zigaretten“ einsortiert werden. Menthol rauchen höchstens Snobs.
Wegen der weißen Stummel. Weil einem der Snob schon im Aschenbecher sein
Anderssein, Schönersein, Coolersein zeigen will.
Aber der Dandy hat ja recht: Im Aschenbecher sind wir alle gleich. Nur
manche sind eben gleicher. Auch noch da, wo alle bloß ihre Kip-pen
ausdrücken, eine Haltung von „I am different“ reinzudrücken, das muss
weiter möglich sein. Die Mentholer sind eine kriminali-sierte Minderheit.
Gerade im Zeitalter der Achtsamkeit und Empfindlichkeit ist es das Gebot
der Stunde, an ihrer Seite zu stehen. Jene Bürger, die sich derzeit
Pappschilder malen, auf denen sie Maulkorb statt Meinungsfreiheit
konstatieren, wären gut beraten, auch die Mentholer mit ins Boot zu holen.
Wehret den Anfängen: Vom Mentholverbot zum Marlboroverbot ist es nur ein
kleiner Schritt. Doris Akrap
## Black lungs, white cigarettes
Gegen eine Mentholzigarette an einem südlichen Strand geraucht, wo man in
den geminzten Mund hinein kleine Schlucke eiskalten Peronibiers fließen
lässt – dagegen ist überhaupt nichts zu sagen.
Im Gegenteil: Diese beiden gern als Ersatzprodukte für „richtiges“ Bier und
„richtige“ Zigaretten geschmähten Genussmittel gehen mit Sonne und
Salzbrise eine vollendete Kombination ein – die man sich wie alle Genüsse
natürlich auch sparen kann und tatsächlich sparen sollte; und die wie alle
Genüsse ihre Wirkung nicht durch sich selbst entfalten, sondern durch den
Mythos, der ihnen anhängt beziehungsweise kommerziell oder kreativ
angehängt worden ist.
Mein Menthol-Mythos ist der von [1][Sergeant Hoke Moseley, Kri-minaler bei
der Mordkommission im Miami Police Department]: „Kann ich ein bisschen
Kleingeld für Zigaretten haben“, fragt ihn – wir sind in den mittleren
1980er Jahren – seine Teenie-Tochter Sue Ellen. “‚Nein.‘ Hoke nahm zwei
Kool aus seiner Schachtel und reichte sie ihr. ‚Teil sie dir ein. Wenn du
dir das Rauchen mit dem Taschengeld, das ich dir gegeben habe, nicht
leisten kannst, dann solltest du damit aufhören, bis ich einen Job für dich
gefunden habe.‘ Sue Ellen schob die Unterlippe vor. ‚Ich mag keine
Mentholzigaretten.‘ Hoke schnappte sich die beiden Kool und schob sie in
seine Schachtel zurück.“
That’s the spirit, ihr Mentholverächter – dann eben nicht! Beziehungsweise:
Das war der Spirit. Beziehungsweise: Das war’s. Jene Zeiten, in denen
Romangeschöpfe noch über ihre Zigaret-tenmarken charakterisiert werden
konnten und die Kritik sich die Mühe machte, aufzuzählen, wer HB, Benson &
Hedges oder eben Kool quarzte – sie sind dahin wie Rauch im Wind: Wer heute
noch in einem Roman als Raucher dargestellt wird, hat ein Problem, Punkt.
Flasche leer, Aschenbecher voll.
Die Mentholzigarette und die Kritik an ihr ist nicht zuletzt deswegen
interessant, weil sie das Genussgift von Minderheiten ist. Die
Dokumentation „Black Lives / Black Lungs“ [2][erforscht die
Marketingstrategien der US-Tabakindustrie], die dazu führten, dass heute
fast 90 Prozent aller afroamerikanischen Raucher:innen zu Menthol greifen
und 47.000 von ihnen Jahr für Jahr am Rauchen sterben. Würden
Mentholzigaretten auch in den USA verboten, entstünde ein Schwarzmarkt mit
entsprechenden polizeilichen Unterdrückungsmaßnahmen, [3][unter denen vor
allem Schwarze US-Amerikaner:innen zu leiden hätten, befürchten
Bürger-rechtsverbände]. Hoke Moseley würde sich an solchen Ma-chenschaften
jedenfalls schon mal nicht beteiligen. Ambros Waibel
19 May 2020
## LINKS
[1] https://www.alexander-verlag.com/autoren/autor/10-charles-willeford.html
[2] https://truthinitiative.org/research-resources/targeted-communities/black-l…
[3] https://sfbayview.com/2020/05/attorney-john-burris-and-black-lives-matter-a…
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Doris Akrap
Ambros Waibel
## TAGS
Verbot
Zigaretten
Hamburg
Rauchen
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