Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern: In schlechter Verfassu…
> Nach dem Rücktritt von Innenminister Caffier schaffen die
> Sicherheitsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern kaum Aufklärung.
Bild: Ohne Innenminister: das Schweriner Schloss, Sitz des Landtags von Mecklen…
SCHWERIN/BERLIN taz | Am Donnerstagmorgen, anderthalb Tage nach dem
Rücktritt des Ministers, kommt in Schwerin der Innenausschuss zusammen. Er
tagt im Plenarsaal des Landtagsgebäudes, es ist ein Schloss auf einer
Halbinsel, das aussieht wie in einem Märchenfilm.
Die Linksfraktion hat beantragt, den Tagesordnungspunkt Waffenaffäre
öffentlich zu besprechen. Lorenz Caffier (CDU) hatte eine Pistole bei einem
Händler gekauft, der Mitglied der Preppergruppe Nordkreuz war, die
massenweise Waffen und Munition hortete – in Vorbereitung auf einen „Tag
X“. Caffier hatte [1][die Angelegenheit vergangene Woche erst zu einer
Privatsache] erklärt, sie dann zugegeben und ist am Dienstag überraschend
[2][von seinem Amt zurückgetreten]. Der Kauf der Waffe sei kein Fehler
gewesen, erklärte er, wohl aber der Umgang damit.
Caffier ist am Donnerstag nicht im Schloss Schwerin. Erst hieß es, er habe
sich krank gemeldet, dann sagte das Ministerium, er komme nicht, weil er
nicht mehr im Amt sei. Journalist*innen müssen den Saal gleich wieder
verlassen, die Koalitionsfraktionen SPD und CDU stimmen gegen die
öffentliche Sitzung.
Dabei stellen sich jetzt viele die Frage: Wie ernst nimmt das
Innenministerium ein rechtes Preppernetzwerk, das in die eigenen Behörden
reicht?
Anstelle des Innenministers erklärt sich der Staatssekretär Thomas Lenz
(CDU) knapp zwei Stunden lang. Nach der Ausschusssitzung stellen ihm
Journalist*innen Fragen. Lenz ist der ranghöchste Beamte im
Ministerium, über seinen Schreibtisch laufen alle wichtigen Vorgänge. Vor
den Journalist*innen will er den Verdacht beseitigen, dass womöglich
brisante Erkenntnisse in Abteilungen des Innenministeriums liegen geblieben
sein könnten. Er sagt: Minister Caffier sei “immer zeitnah“ informiert
worden. Die entscheidende Frage lautet: Wusste Caffier vor dem Waffenkauf,
dass Nordkreuz existiert und der Waffenhändler Frank T. Mitglied war? Es
entspinnt sich ein seltsamer Dialog:
Lenz: „Es ergaben sich keine Bezüge dazu, dass Frank T. In einem
Nordkreuz-Komplex rechtsextremistisch aufgefallen ist.“
Auf unsere Anmerkung, dass den Behörden doch Erkenntnisse vorlagen, dass
Frank T. bei Nordkreuz war, wendet sich der Staatssekretär zum Gehen.
Wir fragen noch mal, ob niemand den Minister informiert hat, bevor er eine
Waffe bei T. kaufte. Lenz sagt: „Alles Quatsch“ und „das ist dummes Zeug�…
Er wiederholt, dass es keine Erkenntnisse über T.s rechstextreme Gesinnung
gegeben habe.
Dann führt Lenz aus, dass er noch mal in Chatnachrichten von T. nachgelesen
habe. Er geht nicht darauf ein, dass mehrere Nordkreuz-Leute schon lange
als Rechtsextremisten eingestuft sind, nicht auf Tag-X-Szenarien oder
Leichensäcke. Er geht.
Inzwischen sieht selbst das Innenministerium bei T. Anhaltspunkte für
rechtsextreme Bestrebungen. Er soll rassistische und fremdenfeindliche
Chatnachrichten geschrieben haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in
mehreren Verfahren gegen ihn, da geht es wohl um waffenrechtliche Fragen,
auch die zuständige Waffenbehörde überprüft seine Lizenzen. Während die
Ministeriumsvertreter im Landtag [3][T.s vergleichsweise kurze
Mitgliedschaft bei Nordkreuz] eher herunterspielen, kam das Landgericht
Schwerin zu einem anderen Schluss. Jede*r kann das im Urteil vom 19.
Dezember 2019 nachlesen.
Das Verfahren richtete sich gegen den ehemaligen SEK-Polizisten und
Nordkreuz-Gründer Marko G., bei dem Ermittler*innen zehntausende Schuss
Munition und Waffen fanden. Das Gericht befasste sich auch mit Nordkreuz
selbst und hält fest: Von Frank T. stammt der Text eines Regelwerks, das an
Nordkreuz-Mitglieder ging. Darin werden sie eingeschworen: „Desto besser
die Kommunikation, umso einfacher ist die Organisation und das Sammeln
untereinander am Tag X. Doch bis dahin gilt es für jeden von UNS, so wenig
wie möglich aufzufallen.“ [4][Das Gericht sieht es auch als erwiesen an],
dass die Nordkreuz-Leute für den Tag X Munition und Waffen besorgten. Auch
belegt durch die Aussage von Frank T.
Wie kann es sein, dass die zweitwichtigste Person im Innenministerium von
Mecklenburg-Vorpommern T.s Wirken in der rechten Preppergruppe bis heute
unterschätzt?
## Ex-Verfassungsschützer kommt mit Personenschutz
Während der Staatssekretär des Innenministeriums in Schwerin Fragen nicht
zu beantworten vermag, sind Mitarbeiter aus dem Verfassungsschutz seines
Landes derzeit dazu verpflichtet: Der Untersuchungsausschuss zum
Breitscheidplatz-Attentat tagt im Bundestag. Dieser will herausfinden: Wie
kam es, dass brisante Informationen über den Attentäter Anis Amri
Bundesbehörden nicht erreichten?
Das zumindest behauptet ein ehemaliger Mitarbeiter des
Landesverfassungsschutzes in Mecklenburg-Vorpommern. Der
Untersuchungsausschuss hat ihn geladen. Er kommt mit Personenschutz.
In einer nicht öffentlichen Sitzung am Donnerstag schildert er, was zuvor
in Berichten vom WDR und später auch der Zeit zu lesen war: Eine Quelle
berichtet von Verbindungen Anis Amris zu einer Familie in Berlin-Neukölln,
von Geld und einem Fluchtwagen. Es ist eine besondere Spur, denn bis heute
ist ungeklärt, wie Amri Berlin verlassen konnte. Der Hinweis aus
Mecklenburg-Vorpommern deutet auf Unterstützer hin, auch deshalb drängten
die Verfassungsschützer bei ihrem Referatsleiter darauf, das Wissen mit dem
Bundeskriminalamt zu teilen. Doch der wiegelte ab und gab nur einen kleinen
Teil der Informationen weiter.
Es dauert mehr als zwei Jahre, bis die Ermittler von dem Geld und dem
Fluchtwagen erfahren und das auch nur, weil der Verfassungsschützer, der
nun als Zeuge im Bundestag aussagt, sich im Oktober 2019 über seine
Vorgesetzten hinwegsetzte: Er schreibt an das Bundesamt für
Verfassungsschutz, an den Generalbundesanwalt – und auch an den
Staatssekretär Lenz des Innenministeriums in Mecklenburg-Vorpommern.
Vor dem Ausschuss in Berlin legt der Verfassungsschützer dar, wie er sich
zunächst an seinen Referatsleiter gewandt hatte, dann an den
Verfassungsschutzchef. Wie er mit dem Staatssekretär sprach, der ihm
versicherte, Lorenz Caffier umgehend einzuschalten. Alle drei möchte der
Untersuchungsausschuss nun befragen.
Der Verfassungsschützer wurde inzwischen mehrmals versetzt, derzeit ist er
beim LKA und äußert sich im Bundestag unzufrieden darüber. Sein damaliger,
inzwischen pensionierter Referatsleiter wird ebenfalls im Bundestag
befragt. Erst erklärt er, keine Kenntnis von den Informationen gehabt zu
haben, dann, dass er den Hinweisgeber als nicht zuverlässig erachtet habe.
Wie er zu dieser Einschätzung kam, kann er dem Ausschuss nicht darlegen.
## Anderes Referat, ähnliche Rechtfertigungn
Der Fall weist starke Parallelen zu einem anderen Vorgang innerhalb des
Verfassungsschutzes in Mecklenburg-Vorpommern auf. Nur das Referat ist
dieses Mal ein anderes: Rechtsextremismus.
Es ist der [5][Fall des Informanten, der 2018 den Verfassungsschutz mit
Interna zum mutmaßlich rechtsextremen Verein Uniter versorgt hat.] Die taz
hatte im Juli Recherchen dazu veröffentlicht.
Liest man im Protokoll des Landesinnenausschusses nach, klingen die
Rechtfertigungen ganz ähnlich. Innenminister Caffier erklärte im August,
dass es Zweifel an der Zuverlässigkeit des Hinweisgebers gegeben habe.
Einerseits habe er tatsächlich interessante Details aus dem Inneren des
Netzwerks übergeben. Andererseits sei die Beschreibung – mal handelt es
sich um ein Berufsnetzwerk, mal ging es um paramilitärische Trainings – „in
sich nicht schlüssig gewesen“. Also beschließen die Verfassungsschützer,
die Informationen liegen zu lassen. Auch noch, als das Bundesamt für
Verfassungsschutz (BfV) alle Landesämter explizit um Hinweise bittet.
Erst nachdem die Fehleinschätzung der Amri-Informationen im Frühjahr
öffentlich wird, geben sie ihr Wissen über den Verein Uniter weiter. Darauf
erklärt das BfV Uniter zum Verdachtsfall.
Sieben Tage nachdem Caffier seine Verbindungen zu einer rechten
Preppergruppe zur Privatsache erklärte, stehen seine Sicherheitsbehörden
schlecht da. Die Aufarbeitung hat erst begonnen, schon jetzt ist klar, dass
Gefahren strukturell unterschätzt wurden und sein Verfassungsschutz nicht
ordentlich arbeitet.
Als der ehemalige Verfassungsschutzmitarbeiter vor dem
Untersuchungsausschuss seine Aussage beginnt, dürfen nur Abgeordnete und
wenige Mitarbeiter*innen dabei sein, darunter ein Jurist vom
Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern.
Was niemand weiß: Der Jurist taucht in den Schilderungen des Zeugen auf.
Auch er war in die Vorgänge um liegen gebliebene Informationen zu Amri
involviert. Auch er könnte befragt werden.
Der Zeuge weist den Bundestag auf diesen Umstand hin. Daraufhin muss der
Jurist den Saal verlassen. Der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern,
dem sowieso einiges zu entgehen scheint, bekommt an diesem Abend im
Bundestag nicht einmal mehr mit, was die eigenen Leute machen.
21 Nov 2020
## LINKS
[1] /Rechte-Prepper-in-Mecklenburg-Vorpommern/!5728354
[2] /Waffenaffaere-um-Landesinnenminister/!5729697
[3] /Rechte-Prepper-Gruppe-Nordkreuz/!5674282
[4] /Rechter-Nordkreuz-Prepper-Marko-G/!5679557
[5] /Verfassungsschutz-ignoriert-Hinweise-zu-rechtem-Netzwerk/!5704654
## AUTOREN
Sebastian Erb
Christina Schmidt
## TAGS
Schwerpunkt Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern
Mecklenburg-Vorpommern
Anis Amri
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
Lorenz Caffier
Uniter
Verfassungsschutz
Wahlkampf
Polizei Sachsen
Nordkreuz
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
Schwerpunkt Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern
Schwerpunkt Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern
Schwerpunkt Hannibals Schattennetzwerk
Schwerpunkt Hannibals Schattennetzwerk
## ARTIKEL ZUM THEMA
Manuela Schwesigs politischer Aufstieg: Mit Rückenwind von der Küste
Sie wälzte Akten und telefonierte in Schwerin auch nachts Leuten hinterher:
Hinter Manuela Schwesigs Karriere steckt mehr als politisches Talent.
Ermittlungen gegen Polizisten: Munitionsklau in Sachsen
Mehr als 7.000 Patronen sollen Polizisten in Sachsen entwendet haben. Sie
landeten bei einem Schießplatzbetreiber, bekannt aus der Nordkreuz-Affäre.
Terroranschlag auf den Breitscheidplatz: Der Staatssekretär war´s
Wieso versickerten Infos zum Fall Amri im Verfassungsschutz von
Mecklenburg-Vorpommern? Im Bundestag musste sich jetzt Ex-Minister Caffier
erklären.
Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz: Showdown im Bundestag
Was macht eigentlich der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern? In
Berlin sagen die Abgeordneten: So etwas haben wir noch nie erlebt.
Nach Caffiers Rücktritt: Noch einiges aufzuklären
Auf Lorenz Caffier soll Torsten Renz folgen. Nach dem Rücktritt des
Innenministers Mecklenburg-Vorpommerns wartet auf dessen Nachfolger viel
Arbeit.
Landesinnenminister Lorenz Caffier gibt Amt ab: Die Aufklärung beginnt erst
Der Rücktritt des Innenministers wegen eines Waffenkaufs ist konsequent. Es
wäre aber ein Fehler, die Affäre allein als persönliches Versagen zu lesen.
Waffenaffäre um Landesinnenminister: Lorenz Caffier tritt zurück
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister kaufte eine Waffe von einem Prepper.
Im Kampf gegen rechts agierte er mindestens stümperhaft.
Waffenaffäre um Landesinnenminister: Lorenz Caffier gibt Amt auf
Nach taz-Recherchen musste der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns
zugeben, einem Prepper eine Pistole abgekauft zu haben. Nun ist er
zurückgetreten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.