| # taz.de -- Manuela Schwesigs politischer Aufstieg: Mit Rückenwind von der Kü… | |
| > Sie wälzte Akten und telefonierte in Schwerin auch nachts Leuten | |
| > hinterher: Hinter Manuela Schwesigs Karriere steckt mehr als politisches | |
| > Talent. | |
| Bild: Manuela Schwesig im Wahlkampf in Brüel in Mecklenburg | |
| Schwerin taz | Ist es die Wärme, das Bier oder das Volksgemurmel? In | |
| Wirtshäusern kommt der sozialdemokratische Geist jedenfalls leichter zu | |
| sich selbst als auf zugigen Plätzen. Die SPD-Annalen sind voll von | |
| geschichtsträchtigen Lokalen und das Martins in Schwerin könnte bald | |
| dazugehören. Ja, sagt eine der Kellnerinnen, natürlich weiß sie, dass hier | |
| der Stern aufgegangen ist, der seitdem über Schwerin und ganz | |
| Mecklenburg-Vorpommern strahlt. Im Martins wurde Manuela Schwesig als | |
| Politikerin geboren. [1][Bei der Landtagswahl am 26. September wird sie | |
| allen Prognosen zufolge einen großen Sieg einfahren.] | |
| Seinen Anfang nahm dieser Triumph im Jahr 2002 in dem Lokal. Die | |
| Sozialdemokraten aus der Schweriner Paulsstadt trafen sich im Vereinszimmer | |
| hinterm Tresen, und irgendwann tauchte dabei das Ehepaar Schwesig auf. Die | |
| SPD hat sich inzwischen einen anderen Treff gesucht, bedauert die Kellnerin | |
| und eilt zur Küche. Verwaist ist Das Martins trotzdem nicht. Wer einen | |
| Platz will, sollte vorbestellen. Das Bier ist süffig, das Essen rustikal, | |
| der Renner ist Sauerfleisch. Die Schwesigs suchten Anschluss, erinnert sich | |
| einer, der damals dabei war. Das Ehepaar, beide Steuerbeamte, sah seine | |
| Zukunft in Schwerin, der Heimat des Mannes. | |
| 2003 holen die beiden in der Schweriner SPD-Zentrale ihre Parteibücher ab. | |
| „Da unten ist ein junges Paar, das in die SPD eingetreten ist. Es wäre | |
| schön, wenn jemand mit den Leuten reden würde.“ Mit diesen Worten kam eine | |
| Sekretärin ins Büro, erinnert sich Thomas Haack. Also habe Haack, Mitglied | |
| in der Schweriner Stadtvertretung und im Hauptberuf Anwalt, die beiden | |
| begrüßt, erzählt er am Telefon. „Die wollten aktiv mitarbeiten.“ | |
| In Schwerin regiert damals Harald Ringstorff, ein moderner Onkel Bräsig, | |
| seit 1998 als SPD-Ministerpräsident, ein echter Kümmerer. Sein Credo: Es | |
| muss gerecht zugehen. Manuela Schwesig – ihr Vater verliert nach der Wende | |
| seine Arbeit – dürfte das angesprochen haben. Sie tritt dem Ortsverein | |
| Paulsstadt bei, der sich im Martins trifft. | |
| „Es gab nicht nur die üblichen Diskussionen, wer welches Amt annehmen | |
| soll“, sagt Haack, man habe über Themen geredet. „Und da haben sie ziemlich | |
| bald gemerkt, dass Manuela sehr selbstbewusst auftritt. Sie hat den alten | |
| Hasen als Neuling sofort erklärt, was die SPD will.“ Haack lacht. Kein | |
| Zweifel, die SPD, in Schwerin kaum 300 Mitglieder stark, hat ein neues | |
| Talent. | |
| Thomas Haack ist 2004 bei der Wahl zur Schweriner Stadtvertretung | |
| SPD-Zugpferd und holt Schwesig in sein Team. Die SPD erreicht gut 17 | |
| Prozent und bekommt acht Sitze, Platzhirsch ist die CDU mit 14 Sitzen. | |
| Haack wird Fraktionsvorsitzender, Manuela Schwesig Vize. Wie war die | |
| Zusammenarbeit? „Manchmal ging es in der Fraktion hoch her“, sagt Haack. | |
| Schwesig festigt ihre Position. „Ihre Anrufe, auch spätabends, waren | |
| gefürchtet. Sie ließ erst locker, wenn sie hatte, was sie wollte. Sie | |
| wirkte auf mich völlig unerschrocken, auch wenn sie gegen Wände rennt“, | |
| sagt Haack. | |
| Wer dann aber gegen eine Wand rennt, ist Thomas Haack. „Ich wollte 2007 | |
| Finanzdezernent von Schwerin werden“, erzählt er. „Darüber haben wir uns | |
| überworfen.“ Warum? Manuela Schwesig habe selbst Ambitionen gehegt. „Sie | |
| fühlte sich nach meiner Wahrnehmung persönlich sehr angegriffen.“ | |
| Allerdings hätte sie das Amt gar nicht bekleiden können. Haack, | |
| promovierter Jurist, erläutert die beamtenrechtlichen Feinheiten: Als | |
| Diplomfinanzwirtin (FH) verfügte sie zwar über die Befähigung zum | |
| gehobenen Dienst, nicht aber zum höheren. Eine Finanzdezernentin Schwesig | |
| würde es nie geben. „Da war die Politik eine willkommene | |
| Aufstiegsmöglichkeit.“ | |
| Neuer Finanzdezernent wird ein Mann der SPD, allerdings nicht Haack. Der | |
| beklagt in der SVZ den mangelnden Rückhalt in der Fraktion und gibt den | |
| Vorsitz ab. Ab dem 1. Oktober 2007 prangt auf den Briefen der Fraktion | |
| unter dem Logo der SPD ein neuer Name: „Manuela Schwesig, | |
| Fraktionsvorsitzende“. Ihre Unterschrift unter den Schreiben ist makellos | |
| wie Kalligrafie. | |
| Eine Zeit lang habe er schon geschmollt, räumt Haack ein. Für Manuela | |
| Schwesig findet er heute nur noch anerkennende Worte. Durchsetzungsstark | |
| und durchsetzungsfreudig sei sie. „Und sie hat von vornherein das komplette | |
| Besteck eines Berufspolitikers mitgebracht.“ Heute ist Thomas Haack | |
| Professor und Dekan an der Fachhochschule Westküste, lehrt in Heide im | |
| Kreis Dithmarschen Unternehmensrecht und verarbeitet die Zeit mit Manuela | |
| Schwesig auf seine Art. „In meinen Vorlesungen dient sie als gutes Beispiel | |
| dafür, wie schnell es in der Politik gehen kann, wenn man Chancen und | |
| Netzwerke zu nutzen weiß.“ Da schwingt Stolz mit. | |
| „Manuela Schwesig hat viel gefragt“, sagt Gerlinde Haker. „Etwa: Wie macht | |
| man am besten Wahlkampf?“ Sie lacht. Haker hat den Schweriner Dom als Treff | |
| vorgeschlagen. In der Sakristei mit Kreuzgewölbe und Fresken hat sie eine | |
| Kerze angezündet. Für sie, Jahrgang 1945, ist die Kirche ein zweites | |
| Zuhause. Gerlinde Haker ist aber auch eine kommunalpolitische Institution. | |
| 1994 wurde sie erstmals in die Stadtvertretung gewählt und war bis 2019 in | |
| der SPD-Fraktion, dazu 15 Jahre lang stellvertretende Stadtpräsidentin. | |
| Die erfahrene Kommunalpolitikerin und der Politneuling – die beiden haben | |
| sich auf Anhieb verstanden. Es ist nicht selbstverständlich, dass sich eine | |
| junge Frau politisch engagiert. „Viele scheuen das.“ Familie, Arbeit, | |
| Ehrenamt – Gerlinde Haker konnte das schultern, ihre Kinder waren bereits | |
| groß. Aber junge Frauen? Natürlich, Schwesigs Mann hält ihr den Rücken | |
| frei. Doch die Triebfeder steckt woanders. „Manuela Schwesig ist im guten | |
| Sinne ehrgeizig. Das habe ich von Anfang an geschätzt.“ | |
| [2][Im November 2007 verhungert in Schwerin die fünfjährige Lea-Sophie.] | |
| Das Jugendamt war zuvor nur halbherzig den Hinweisen auf überforderte | |
| Eltern nachgegangen, und der CDU-Oberbürgermeister bezeichnet die Tragödie | |
| als „Pech für uns“. Schwesig, die neue SPD-Fraktionsvorsitzende, gerade | |
| selbst das erste Mal Mutter geworden, ist außer sich. „Der Fall Lea-Sophie | |
| hat sie persönlich angegriffen“, sagt Gerlinde Haker. „Sie hat sich | |
| reingekniet bei der Aufklärung.“ Schwesig wälzt Vorgänge, nimmt | |
| Akteneinsicht, sitzt im Untersuchungsausschuss. Mit Erfolg. 2008 muss der | |
| OB gehen. Neues Stadtoberhaupt wird allerdings nicht, wie von Schwesig | |
| erhofft, der SPD-Mann. Der unterliegt knapp der Kandidatin der Linkspartei. | |
| ## In Schwerin kennt man sich | |
| Dafür geht es für eine andere empor. „Die Senkrechtstarterin“, überschre… | |
| die SVZ einen Bericht über die junge Sozialministerin, die der neue | |
| Ministerpräsident Erwin Sellering berufen will. [3][Harald Ringstorff hatte | |
| nach zehn Jahren die Staatskanzlei geräumt.] „Manuela Schwesig hat keine | |
| typische Parteikarriere hinter sich“, schreibt die Zeitung. „Sie war nicht | |
| bei den Jusos und trat erst mit 29 Jahren in die SPD ein. Dann verlief die | |
| Karriere allerdings rasant.“ | |
| Schwerin ist ja klein, sagt Gerlinde Haker, nur 95.000 Einwohner. In der | |
| geradezu zierlichen Landeshauptstadt überschneiden sich die Kreise. Was in | |
| der Stadtvertretung passiert, das bleibt in den Ministerien nicht | |
| verborgen. Vieles läuft über den kleinen Dienstweg, alles ist zu Fuß | |
| erreichbar. Die Minister residieren in den klassizistischen | |
| Hinterlassenschaften der alten Residenz, der Ministerpräsident steigt im | |
| Touristengewimmel aus dem Wagen und eilt zur Staatskanzlei hinauf, und über | |
| allem thront das golden schimmernde Schloss, als wäre Schwerin eine | |
| Märchenwelt, wo eine junge Beamtin wie ein Schneewittchen plötzlich als | |
| Ministerin erwacht, umringt von höflichen Männern. | |
| ## Auf der Suche nach neuen Talenten | |
| Weit gefehlt, sagt Gerlinde Haker. Machogehabe, Alphatiere, endlose | |
| Monologe – alles hat sie in der Politik erlebt. „Lass sie doch reden, denke | |
| ich dann.“ Haker winkt ab. „Es geht Manuela genauso. Und Merkel auch.“ Die | |
| übelste Herabwürdigung leistete sich 2011 CDU-Innenminister Lorenz Caffier, | |
| als er seine junge Kollegin als „Küsten-Barbie“ schmähte. [4][Im November | |
| 2020 stürzte Caffier nach taz-Recherchen zu Verwicklungen ins rechtsextreme | |
| Netzwerk Nordkreuz.] Da war Manuela Schwesig bereits seine Vorgesetzte. | |
| 2017 war Erwin Sellering, vierter Ministerpräsident nach der Neugründung | |
| des Landes, zurückgetreten. 15 Jahre nach dem Abend im Martins wurde an der | |
| Staatskanzlei eine Tafel ausgewechselt. Unter dem Wappen von | |
| Mecklenburg-Vorpommern prangt seitdem: „Die Ministerpräsidentin“. | |
| Zeit, dass sich die SPD in Schwerin wieder nach neuen Talenten umsieht. Der | |
| Ortsverein Paulsstadt trifft sich inzwischen im Club Jo21, nach eigenen | |
| Angaben „der Treffpunkt für Schwule, Lesben und ihre Freunde“. | |
| 12 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Gerlach | |
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