| # taz.de -- Rückblick auf 40 Jahre taz Berlin (I): Das schwarze Jahrzehnt | |
| > Die CDU an der Macht, Bauskandale, Gewalt zwischen Polizei und Linken: | |
| > Berlin drohte in den 80ern, in Ritualen zu erstarren. Dann kam der | |
| > Mauerfall. | |
| Bild: Nach der revolutionären „1. Mai Demo“ 1989 in Kreuzberg begann die i… | |
| Die taz Berlin wird 40 Jahre alt. Dies ist der erste von vier Texten, in | |
| denen wir auf die Entwicklung der Stadt und der Zeitung zurückblicken. Und | |
| fragen: Was bleibt? | |
| Berlin taz | Das Westberlin der 80er Jahre fand in der Nacht vom 12. auf | |
| den 13. Dezember 1980 zu sich selbst; am Fraenkelufer in Kreuzberg. Nachdem | |
| Polizist*innen ein gerade von Jugendlichen besetztes Haus geräumt hatten, | |
| entwickelte sich in der Dämmerung eine Straßenschlacht mit jungen | |
| Anarchist*innen, die bis weit nach Mitternacht tobte. | |
| Die taz hatte in dieser Nacht als einzige Zeitung einen Reporter vor Ort. | |
| Steine flogen, Scheiben klirrten, Blaulichter zuckten, Knüppel sausten. Es | |
| wurde geplündert, es gab Verletzte auf beiden Seiten. Es war eine von | |
| vielen, vielen Straßenschlachten, die Westberlin in den 80er-Jahren erleben | |
| sollte. Politische Gewalt prägte immer wieder das Bild der Halbstadt in | |
| ihrer letzten Dekade, die am 9. November 1989 mit dem Fall der Mauer | |
| vorzeitig endete. | |
| Schon in ihrer [1][Ersten Nullnummer vom September 1978] hatte es in der | |
| taz, angelehnt an Karl Marx, geheißen: „Ein Gespenst geht um in Kreuzberg, | |
| das Gespenst der ‚Instand(be)setzung‘.“ Das hatte niemand wirklich ernst | |
| genommen. Doch zwei Jahre später war die Revolte da. Sie war, nach Michel | |
| Foucault, ein „Feuerwerk im Dunkel der Macht“. | |
| Eine Gruppe in der taz hatte einige Monate vor der Randale in Kreuzberg | |
| einen vierseitigen Westberliner Lokalteil konzipiert. Nachdem dieser am 3. | |
| November 1980 erstmals erschien, dauerte es nur sechs Wochen und es brach | |
| die heftigste linke soziale Bewegung los, die Westberlin seit der Revolte | |
| der Studierenden und Jugendlichen in den Jahren 1968 und 1969 erlebt hatte. | |
| Für die taz war das ein unerwarteter Glücksfall. Ihre Redakteur*innen | |
| hatten enge Beziehungen zu den Besetzern, etliche von ihnen waren selbst | |
| welche. In der Zeitung tobte auch der Kampf zwischen Mollis und Müslis, | |
| Punks und Hippies, Militanten und Verhandler*innen, die die Häuser für | |
| alternatives Leben sichern wollten. | |
| In der taz stand, was wichtig war im Häuserkampf. Der Berliner Innensenator | |
| schickte abends einen Personenschützer in eine linke Szenekneipe, um von | |
| einem Handverkäufer ein Exemplar der Ausgabe des nächsten Tages zu | |
| ergattern. Er wollte so früh wie möglich wissen, was bei den | |
| Hausbesetzer*innen los war. | |
| Der zweite Paukenschlag zum Auftakt der 80er-Jahre erfolgte gut vier Wochen | |
| nach der Randalenacht: am 15. Januar 1981 im Rathaus Schöneberg. Die SPD | |
| hatte in Westberlin seit 1955 den Regierenden Bürgermeister gestellt. Jetzt | |
| hatte Dietrich Stobbe neue Senatsmitglieder für seine Koalition mit der FDP | |
| zur Wahl präsentiert, aber sie waren im Abgeordnetenhaus durchgefallen. | |
| Stobbe trat zurück. | |
| Vorausgegangen war die stückweise Enthüllung eines klassischen Berliner | |
| Bauskandals: Der Stararchitekt Dietrich Garksi hatte mit Krediten, die mit | |
| Bürgschaften des Landes Berlin abgesichert waren, in Saudi-Arabien | |
| Militärakademien bauen wollen. 115 Millionen Mark waren im Wüstensand | |
| versickert, Garski war spurlos verschwunden. | |
| Im Mai 1981 wurde daraufhin die CDU mit Richard von Weizsäcker an der | |
| Spitze erstmals stärkste Partei in Westberlin. Die Achtzigerjahre | |
| entwickelten sich, politisch gesehen, zum schwarzen Jahrzehnt. | |
| ## Law-and-Order-Propaganda | |
| Dafür waren auch die Besetzer verantwortlich. Anfangs stießen sie wegen | |
| ihrer entschlossenen Opposition zu der verfehlten Wohnungspolitik auf viel | |
| Sympathie. Unterstützung erfuhren sie auch von den aufstrebenden Grünen, | |
| die damals in Berlin Alternative Liste hießen. Aber je militanter sie auf | |
| den Straßen kämpften, um Räumungen zu verhindern, umso mehr verfing die | |
| Law-and-Order-Propaganda der etablierten Medien. | |
| Die CDU hatte im Wahlkampf versprochen, mit den Besetzer*innen | |
| aufzuräumen. Doch am 22. September 1981, bei der ersten größeren | |
| Räumaktion von acht Häusern, kam der 19-jährige Klaus-Jürgen Rattay aus | |
| Kleve bei einem Polizeieinsatz zu Tode. Daraufhin suchte der CDU-Senat | |
| ernsthaft nach Möglichkeiten, wie Besetzer*innen in ihren Häusern bleiben | |
| konnten, auch wenn damit ihr Hausfriedensbruch legalisiert wurde. | |
| Die Bewegung der Besetzer*innen machte die 80er zu einem Jahrzehnt der | |
| Konfrontation. Berufsberliner*innen gegen Chaoten; Bürger*innen, BZ- und | |
| Bild-Leser*innen gegen Punks, Hippies und Autonome. Brennende Barrikaden, | |
| Blaulicht, Steine und Polizeiknüppel wurden Teil des Images von Westberlin. | |
| Der Krawall und die Plünderungen in Kreuzberg am 1. Mai 1987 bildeten dabei | |
| das Ende dieser Jahre der Straßenschlachten. Das Datum markiert zugleich | |
| den Beginn eines neuen politischen Rituals. | |
| Im Herbst 1984 räumten Polizist*innen das letzte besetzte Haus, den | |
| letzten „rechtsfreien Raum“. Die Bewegung war inzwischen von inneren | |
| Spaltungen gezeichnet und nicht zuletzt durch zunehmende Repression, durch | |
| Strafverfolgung gegen Tausende, gebrochen und resigniert. | |
| Nach späteren Senatsangaben wurden von 169 Anfang der 1980er besetzten | |
| Häusern 76 durch Verträge legalisiert, 68 von der Polizei geräumt; die | |
| übrigen freiwillig aufgegeben. In den meisten der dem Kreislauf der | |
| Spekulation entzogenen Häusern leben heute Mieter*innen von | |
| Genossenschaften. Sie bezahlen monatlich lediglich zwischen 1 Euro und 5 | |
| Euro Kaltmiete. | |
| ## Die Ermordung der alten Stadt gestoppt | |
| Von heute aus betrachtet haben sich die Häuserkämpfer*innen große | |
| Verdienste um die physische Stadt erworben. Sie haben dafür gesorgt, dass | |
| die Ermordung der alten Stadt weitgehend gestoppt wurde, dass zum Beispiel | |
| kein Autobahnkreuz auf dem Kreuzberger Oranienplatz aufbetoniert wurde, | |
| dass Altbauten nicht weiter blockweise gesprengt und abgeräumt wurden. | |
| Statt „Flächensanierung“ hieß die hart erkämpfte neue Devise fortan | |
| „behutsame Stadterneuerung“. | |
| Als der weltläufige Freiherr von Weizsäcker 1984 zum Bundespräsidenten | |
| gewählt wurde, folgte ihm „Ebi aus’m Wedding“ als Regierender Bürgermei… | |
| nach, Eberhard Diepgen. Die Übergabe entsprach dem Bedeutungsverlust | |
| Westberlins in den 80er Jahren: Lange Zeit die bedrohte Insel im roten | |
| Meer, Blockade und Kubakrise, jetzt leicht surreale Halbstadt im Abseits. | |
| Westberlin hing finanziell am Tropf, die Subventionen mussten fließen, | |
| sonst wären die Lichter ausgegangen. In den 80ern kamen über die Hälfte der | |
| Berliner Jahreshaushalte vom Finanzministerium in Bonn, 1989 waren das rund | |
| 13 Milliarden Mark. Die Industriearbeitsplätze verschwanden dennoch, die | |
| Bevölkerungszahl nahm ab. Viele, die eine traditionelle Karriere machen | |
| wollten, gingen als Wirtschaftsmigranten gen Westen. Nach Westberlin kamen | |
| neben Zehntausenden von wehrunwilligen jungen Männern auch Figuren, die | |
| abzocken wollten. | |
| Am besten funktionierte die Privatisierung von Staatsknete beim | |
| hochsubventionierten Bauen. Im November 1985 verhaftete die Kriminalpolizei | |
| den Charlottenburger CDU-Baustadtrat Wolfgang Antes. Bauunternehmer, die | |
| von seinem Amt Genehmigungen bekommen hatten, räumten ein, Antes mit | |
| insgesamt 600.000 Mark bestochen zu haben. Er wurde 1986 zu fünf Jahren | |
| Haft verurteilt – die er allerdings als Schwerbehinderter nicht absitzen | |
| musste. | |
| Im Zuge das Antes-Skandals mussten die stramm rechten CDU-Senatoren | |
| Heinrich Lummer und Klaus Franke [2][zurücktreten]. Und es wurde bekannt, | |
| dass auch der Regierende Bürgermeister Diepgen 75.000 Mark in bar von einem | |
| Bauunternehmer angenommen hatte, in einem neutralen Umschlag. Wo die | |
| illegale Parteispende letztlich landete, ist nie aufgeklärt worden. | |
| Auch ein paar SPD-Politiker hatten wieder illegale Parteispenden | |
| kassiert. Aber im Vergleich mit der Gier der korrupten CDU-Männer waren sie | |
| Waisenknaben. In Sachen Berliner Sumpf, Filz und Korruption hatte die | |
| Berliner CDU sich in drei, vier Jahren mehr geleistet, als die SPD in | |
| fünfundzwanzig. | |
| ## Der Strippenzieher blieb im Amt | |
| Dass der Axel Springer Verlag schließlich seine Reporter*innen abzog, die | |
| über den Antes-Skandal recherchierten, um den CDU-Senat und das | |
| Westberliner Image zu schützen, führte dazu, dass nie alles aufgedeckt | |
| wurde. Der starke Mann der Westberliner CDU, Klaus-Rüdiger Landowsky, | |
| konnte bis zum Bankenskandal im Jahr 2001 weiter Strippen ziehen. | |
| Besonders amüsierte sich die Stadt während des Antes-Skandals über das | |
| CDU-Parteimitglied Otto Schwanz. Der war – nomen est omen – tatsächlich | |
| Zuhälter und Bordellbesitzer. Schwanz hatte Parteifreund Antes 50.000 Mark | |
| Schmiergeld gezahlt und bei anderen Kunden des Stadtrats Schmiergeld | |
| eingetrieben. Der Lude mit seiner Tornadobrille und der blonden Matte – | |
| Vokuhila: vorne kurz, hinten lang – war in seinem provinziellen Mittelmaß | |
| ganz Westberlin. | |
| Otto Schwanz wurde schnell aus der CDU ausgeschlossen. Dennoch erlitt die | |
| Regierungspartei zwei Jahre später im Januar 1989 bei den Wahlen zum | |
| Abgeordnetenhaus eine heftige Niederlage. Sie verlor mehr als 8 Prozent und | |
| der Sozialdemokrat Walter Momper konnte einen rot-grünen Senat bilden. | |
| Der Aufstieg der Grünen und der taz und ihres Berlin-Teils verlief weniger | |
| parallel als gleichzeitig und aus ähnlichen Gründen. Mehr und mehr 68er und | |
| jüngere Alternative kamen auf dem von Rudi Dutschke propagierten „Marsch | |
| durch die Institutionen“ in der Stadt und ihrer Gesellschaft an. | |
| Und die Redakteur*innen des taz-Lokalteils, die in viel direkterem Kontakt | |
| mit den Protagonist*innen ihrer Berichterstattung und mit ihren politischen | |
| Gegnern*innen standen als die Kolleg*innen in der überregionalen Redaktion, | |
| wechselten reihenweise aus der linksradikalen Szene in das sich | |
| liberalisierende Establishment der Halbstadt. Der Weg aus der | |
| taz-Berlin-Redaktion in die Pressestelle einer Senatsverwaltung war nichts | |
| Ungewöhnliches. | |
| ## „taz lügt“ | |
| Die Autonomen, die sich im Häuserkampf gefunden hatten, reklamierten die | |
| taz vergeblich als ihre Zeitung und wandten sich enttäuscht ab. „taz lügt“ | |
| hieß es auf etlichen Kreuzberger Hauswänden. Redakteur*innen wie Gerd | |
| Nowakowski, der die Autonomen kritisierte, wurden von ihnen | |
| zusammengeschlagen oder bekamen eine scharfe Patrone zugeschickt. Die | |
| Solidarität mit Nowakowski in der taz hielt sich allerdings in Grenzen. Der | |
| müsse sich doch nicht wundern, wenn er so was schreibe, meinten | |
| Kolleg*innen, die aus sicherer Entfernung mit den Militanten | |
| sympathisierten. | |
| In einer Reminiszenz an den legendären Besuch John F. Kennedys forderte der | |
| US-Präsident Ronald Reagan im Juni 1987 am Brandenburger Tor: „Mr. | |
| Gorbatschow, tear down this wall!“ Als es dann geschah am 9. November 1989 | |
| begann ein neues Berlinkapitel: das der Übernahme der Hauptstadt der DDR. | |
| In puncto Ostberlin war die taz-Berlin-Redaktion ihrer Zeit voraus. Zwei | |
| Jahre vor dem Fall der Mauer produzierte sie Ostberlin-Seiten, mit | |
| Berichten über oppositionelle Gruppen und deren Aktivitäten. Von dem | |
| ausgebürgerten Jenaer Rebellen Roland Jahn instruiert, reisten | |
| taz-Redakteur*innen ein, nahmen Kontakt zu Oppositionellen auf und | |
| berichteten über das Milieu, das bald den Kollaps der DDR initiieren | |
| sollte. | |
| Was die tazler*innen nicht wussten: In der Redaktion spionierte ein | |
| Volontär und Ex-Terrorist für die Stasi und meldete die Pseudonyme und | |
| Reisepläne der klandestinen Ostberlin-Reporter*innen fleißig der | |
| Staatssicherheit. Aufgrund der Tipps von Till Meyer verhängte die Stasi ein | |
| Einreiseverbot. So etwas gab es in den 80ern auch nur in der taz. | |
| Die zwölfseitige Sonderausgabe zu 40 Jahren taz Berlin erscheint als Teil | |
| der Print-Wochenendzeitung am Samstag, 7. November. Darin u. a. außerdem: | |
| Ein Blick auf das schwierige Verhältnis zwischen Polizei und der Redaktion | |
| und ein Doppelinterview mit jenen, die die Stadt am längsten regierten: | |
| Eberhard Diepgen und Klaus Wowereit. | |
| 6 Nov 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /40-Jahre-taz-Wie-alles-begann/!5536160 | |
| [2] /Nachruf-Heinrich-Lummer/!5600644 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Sontheimer | |
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