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# taz.de -- Verhältnis zwischen Polizei und taz: Als der Schlagstock regierte
> Berlins Polizei versuchte, die Arbeit der taz zu behindern. Erst unter
> Rot-Rot setzt sie auf Dialog. Die Geschichte einer 40-jährigen
> Annäherung.
Bild: Deeskalation? Nie gehört! Die Berliner Polizei griff gern hart zu, hier …
Berlin taz | Es ist der 27. November 1980, der Berlinteil der taz ist noch
keine vier Wochen alt. „Der Freund und Helfer schweigt“, lautet die
Überschrift über dem Kommentar. Zum wiederholten Male hat die Redaktion von
der Berliner Polizeipressestelle keine Auskünfte bekommen – wegen „unfairer
Berichterstattung“, wie es zur Begründung heißt.
Der Kommentar von Johann Legner endet so: „Unfair, wie taz-Menschen nun mal
gegenüber Polizeiaktionen sind, bleibt nichts anderes übrig, als zu
konstatieren, dass die Pressestelle der Polizei selbst schuld daran ist,
wenn wir in Zukunft noch misstrauischer sind gegen die Polizei.“
Das Verhältnis der taz zur Polizei ist von Abneigung, um nicht zu sagen von
Feindschaft geprägt. Aus der Geschichte und den Gewalterfahrungen heraus,
die die Linke mit dem Repressionsapparat gemacht hat, haben wir dazu allen
Grund. Und: Wir dürfen ein Feindbild haben, für uns gilt die
Pressefreiheit. Wir dürfen Partei sein, die Polizei darf es nicht. Gegen
diese Neutralitätspflicht hat sie jahrzehntelang immer wieder verstoßen.
Das ist belegt.
Am 12. September 1984 entscheidet das Berliner Verwaltungsgericht, dass
Klaus Hübner, von 1969 bis 1987 Polizeipräsident von Westberlin, die taz zu
seiner Mittwochsrunde einladen muss. So heißen die Hintergrundgespräche,
bei denen uns der Sozialdemokrat nicht dabeihaben will.
Die taz-Anwälte Christian Ströbele und Johannes Eisenberg hatten gegen die
wechselnden Begründungen des Polizeipräsidenten immer wieder Beschwerde
eingelegt. Jahrelang. Bis das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit beendet:
Die Mittwochsrunde sei keine private Plauderei des Polizeipräsidenten,
sondern ein Informationsgespräch, zu dem die Presse gleichermaßen Zutritt
haben müsse.
Hübner ist ein schlechter Verlierer. Er beschimpft die taz als Sprachrohr
einer Szene, die sich dem „Kampf gegen die Schweinegesellschaft“
verschrieben habe. Dann stellt er die Mittwochsrunden kurzerhand ein.
Es ist bereits Hübners zweite Niederlage gegen die taz. Ein Jahr zuvor
hatte das Kammergericht entschieden, dass das Wort „Bulle“ nicht mehr
automatisch eine Beleidigung ist. Die Redaktion verwendet den Begriff nur
sparsam; die Leserbriefschreiber sind weniger zimperlich. Gegen die
presserechtlich Verantwortlichen der taz hagelt es Strafanzeigen der
Polizeibehörde wegen Beleidigung. Nach dem Schöffengericht folgt nun auch
das Kammergericht der Argumentation der taz-Anwälte: Der Begriff „Bulle“
werde in der Regel ohne Hintergedanken verwendet. Schließlich würden sich
Polizisten selbst Bullen nennen, es gebe Bullenorden und ein Bullenballett.
Die 80er Jahre waren eine Zeit der auch physisch harten
Auseinandersetzungen zwischen linker Szene und Polizei. Es gibt keine auf
Festnahmen spezialisierten polizeilichen Greiftrupps und keine
Dokumentationseinheiten; Deeskalation ist ein Fremdwort, der Schlagstock
regiert. Auf Demonstrationen und bei Protesten kommt es zu unzähligen
Festnahmen und Verletzten, auch taz-Redakteur Benny Härlin wird von einem
Polizisten der Arm zertrümmert.
## Zeugengesuche und Kommandoerklärungen
Auf der Kleinanzeigenseite „Berliner Wiese“ publiziert die taz
Zeugengesuche. Wir veröffentlichen Lagepläne, wie man der Polizei durch
Hinterhöfe entkommen kann, drucken Kommandoerklärungen ab. Wiederholt rückt
der Staatsschutz zur Durchsuchung der taz an. Respekt vor dem
Redaktionsgeheimnis? Bei der Berliner Polizei nicht vorhanden.
Beispiele für weitere offene Rechtswidrigkeiten gibt es zuhauf. Etwa am 6.
Juni 1987: Ronald Reagan besucht Westberlin zum zweiten Mal. Der Bezirk
Kreuzberg ist über Stunden von der Außenwelt abgeriegelt. „Polizeistaat
ist, wenn polizeiliche Machtausübung keine Beschränkung mehr durch
rechtsstaatliche Institutionen findet. Kein Betroffener fand einen
Richter“, schreibt die taz.
Oder am 28. September 1988: Während der Tagung von IWF und Weltbank, zu der
rund 12.000 Banker nach Berlin kommen, gleicht die Stadt einer
Polizeifestung. Hunderte Demonstranten wandern in Vorbeugehaft,
Journalisten werden eingekesselt. „Am Tatort muss die Pressefreiheit schon
mal zurücktreten“ – dieser Satz des damaligen CDU-Innensenators Wilhelm
Kewenig ist legendär. Linse zugehalten, Kamera zerstört: Nicht nur
taz-Fotografen ergeht das so. Wir schreiben: „Wieder ist Journalisten von
vermummten Polizisten die Fresse poliert worden.“
## Die Behörde wird umgekrempelt
Bis in die 90er Jahre ändert sich wenig am schlechten Verhältnis zwischen
taz und Polizei. Eigentlich kommt erst mit der rot-roten Landesregierung
die Wende. SPD-Innensenator Ehrhart Körting holt Dieter Glietsch 2002 als
Polizeipräsidenten aus Nordrhein-Westfalen an die Spree. Der krempelt die
Behörde um.
Ein auf Dialog, Deeskalation und Kooperation ausgerichteter Geist hält
langsam Einzug. Dazu gehört auch, Fehler öffentlich einzugestehen. Er
verstehe die Presse als kritischen Begleiter; in diesem Sinne „wollen wir
sie auch unterstützen“, sagt Glietsch. 2011 setzt er gegen erhebliche
Widerstände in der Behörde die Kennzeichnungspflicht durch – eine alte
Forderung der Bürgerrechtsbewegung ist damit erfüllt.
Über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg begegnen sich Polizei und taz
nun mit Respekt. Die taz berichtet weiterhin über fast alles, was die
Polizei betrifft: von Todesschüssen über Strukturreformen bis hin zu
Ausrüstungsfragen. Mit Otto Diederichs, der mehr als 20 Jahre für uns
schreibt, verfügen wir über einen Autor mit großem Insiderwissen.
Diederichs ist gleichzeitig Herausgeber des Informationsdienstes
Bürgerrechte und Polizei/Cilip.
Im April 2018 bekommt Berlin erstmals eine Polizeipräsidentin. Kritik in
der Polizeibehörde müsse „hierarchieunabhängig“ möglich sein, sagt Barb…
Slowik bei ihrem Amtsantritt. Zwei Jahre später dominiert [1][das Thema
Rechtsextremismus in der Polizei] die Schlagzeilen. Auch in Berlin scheinen
sich die Vorfälle zu mehren.
Neu ist das Phänomen allerdings nicht: Bereits am 11. März 1995 hatte
taz-Autor Diederichs beklagt, dass es deutschlandweit keine seriösen
Untersuchungen zum Thema Fremdenfeindlichkeit und Rechtstendenzen in der
Polizei gibt und dass die Vorfälle von den politisch Verantwortlichen stets
als Einzelfälle abgetan würden. Diederichs erklärte sich das so: „Es ist
der Korpsgeist, der die Aufdeckung von Straftaten so schwierig macht.“
Bis heute ist das so. Der Zusammenhalt in den Reihen der Polizei ist im
Zweifel größer als Verfassungstreue und Rechtsstaatlichkeit. Auch vor der
Justiz macht dieser Korpsgeist nicht halt: Staatsanwaltschaft und Gerichte
schlagen sich tendenziell eher auf die Seite der beschuldigten Polizisten.
Die große Mehrheit der Verfahren wird eingestellt.
Auch das ist unverändert: Bei Einsätzen gegen die linksradikale Szene lässt
sich die Polizei nicht in die Karten gucken. Während der Räumung der
Neuköllner Kiezkneipe Syndikat vor wenigen Wochen oder dem Hausprojekt
Liebig34 wird sich Journalisten in den Weg gestellt, ist der Presseausweis
nichts wert. Oder es werden wie bei der Räumung des Szeneladens Friedel54
Fake News verbreitet: [2][Ein Türknauf sei unter Strom gesetzt worden,] um
die Räumung zu verhindern, erklärte die Polizei damals. Alles schon mal
gehabt. 1990 nach der Räumung der Häuser in der Mainzer Straße in
Friedrichshain hatte die Polizei eine Gallone auf dem Dach zum Supermolli
stilisiert. In Wirklichkeit war es gegorener Apfelsaft.
Was die Berliner Einheiten heute deutlich von früher unterscheidet, ist,
dass sie auch bei schwierigsten Versammlungslagen imstande sind, die Ruhe
zu bewahren. Andere Polizeien im Bundesgebiet könnten sich davon eine
Scheibe abschneiden. Man kann sie ja auch mal loben, die Hauptstadtbullen.
8 Nov 2020
## LINKS
[1] /Rechte-Chatgruppe-bei-Berlins-Polizei/!5721920/
[2] /Raeumung-der-Friedel54-in-Berlin/!5426014/
## AUTOREN
Plutonia Plarre
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