# taz.de -- taz-Mitgründer Benedict M. Mülder gestorben: Einer der ersten Gr�… | |
> Mülder schrieb über Berliner Landespolitik, später über die Krankheit | |
> ALS. Zwei Erinnerungen an einen Journalisten aus Leidenschaft. | |
Bild: Benedict Maria Mülder 1981 in der taz-Redaktion an der Wattstraße in Be… | |
## Vom Maoisten zum Tweedjacket | |
Benedict Maria Mülder zog Mitte der 70er nach Westberlin. Geografisch | |
gesehen kam er aus Emsdetten, einer Kleinstadt nördlich von Münster, | |
katholisch, konservativ. Politisch gesehen kam Benedict vom Kommunistischen | |
Bund Westdeutschland (KBW). Er war ein Kader der maoistischen Kleinpartei. | |
In der Mauerstadt studierte er an der Freien Universität Geschichte und | |
Publizistik. | |
Benedict schloss sich der Westberliner taz-Initiative an, das waren vor | |
allem Anarchisten, Spontis und Linksliberale. Der Stalinist wurde | |
umerzogen, was ihm entgegenkam, und wurde ein wacher Geist, der gern Dinge | |
hinterfragte. Als im Dezember 1980 eine wilde Hausbesetzerbewegung die | |
Halbstadt auf den Kopf stellte, war er Redakteur [1][der gerade gegründeten | |
„taz Berlin“, des Berliner Lokalteils]. | |
Als leidenschaftlicher Journalist wollte er weg vom Schreibtisch. Während | |
seine Kollegen Michael Sontheimer und Benny Härlin sich in den | |
Besetzerräten herumtrieben, auf den Straßenschlachten und Punkkonzerten, | |
ging Benedict lieber ins Rathaus Schöneberg, den Sitz des Regierenden | |
Bürgermeisters und des Westberliner Landesparlaments. | |
Nach einer Weile entging dem Rathaus-Reporter kaum eine Intrige, kaum eine | |
wichtige Personalie in der Westberliner Politik. Wenn der Redaktionsschluss | |
nahte und ein Zweispalter fehlte, hieß es: „Hey, Benedict, hast du nicht | |
noch 60 Zeilen über irgendwelchen Parteikram?“ Bei einer Endlosserie über | |
die FDP fügte ein Säzzer als Untertitel an „FDP-Querelen, Folge 39“, fort… | |
wurde weitergezählt. Das Kürzel, mit dem er viele seiner Berichte | |
zeichnete, war bmm. | |
Er wohnte zunächst in einer dieser Wohngemeinschaften mit | |
taz-Gründer*innen, dann mit seiner damaligen Freundin und taz-Kollegin | |
Sabine Porn in einer Neuköllner Fabriketage. Als sie dort eine Party gaben, | |
kamen CDUler vorbei, aber auch Grüne, der Sozi Walter Momper, der spätere | |
Regierende Bürgermeister. | |
Im Westberlin der 80er ging Benedict habituell und geistig dorthin zurück, | |
wo er hergekommen war, zur Bourgeoisie und zum Katholizismus. Er trug gern | |
Tweedjacketts und mit dem Monogramm seiner Familie gezierte Hemden. Dass | |
sein Vater mit der Kutsche in die Fabrik der Familie chauffiert wurde, ist | |
nicht verifiziert, Benedict erzählte es jedenfalls so. | |
Nachdem er die taz 1986 verlassen hatte, recherchierte und produzierte er | |
Dokumentarfilme und Beiträge für TV-Magazine. Er arbeitete für den SFB, | |
„Aspekte“, Arte und andere, gern über kulturpolitische Themen. | |
Von heute aus betrachtet war Benedict einer der ersten Grün-Schwarzen, die | |
nun eine reale Machtoption im vereinigten Deutschland darstellen. So | |
gesehen war bmm seiner Zeit deutlich voraus. Michael Sontheimer | |
## Aufhören, das kam für ihn nicht infrage | |
Man trifft sich immer mehrmals im Leben, heißt es so flapsig. Ab 1978 | |
gehörten Benedict und ich zu den vielen Gründern der taz. In der | |
Arbeitsgruppe und dem Ressort „Betrieb und Gewerkschaft“ – heute | |
„Wirtschaft und Umwelt“ – entwickelten wir Konzepte, wie man anders über | |
das Arbeitsleben und die Wirtschaft berichten könnte, abseits des | |
Mainstreams von FAZ und Handelsblatt. Wir stellten die Bedürfnisse der | |
Beschäftigten in den Vordergrund. | |
Mit dem täglichen Erscheinen der taz im April 1979 entwickelte sich eine | |
Dynamik in der Redaktion, unsere Wege trennten sich und so ging ich bald in | |
die Nachrichtenredaktion und Benedict, gut ein Jahr später, in den | |
Berlin-Teil. Wir verloren uns aus den Augen, Benedict verließ noch vor mir | |
die taz. | |
Doch dann lud er mich zu seinem 50. Geburtstag auf eine Bootsfahrt auf der | |
Spree ein und neue Verbindungen knüpften sich. Schließlich waren wir nicht | |
nur Redakteure, wir waren auch Freunde, fuhren zusammen nach in Italien an | |
den Strand und auch zum Skifahren. Benedict war längst in die | |
Fernsehbranche gewechselt, aber dass wir beide in Friedenau wohnten, ließ | |
die Bande wieder enger werden. | |
Als bei ihm 2008 ALS (Amytotrophe Lateralsklerose), eine unheilbare | |
Nervenkrankheit, diagnostiziert wurde, wollte ich mich um ihn kümmern. „Wir | |
stehen das gemeinsam durch“, sagte seine liebevolle Frau Dagmar zu ihm, und | |
die beiden heirateten. | |
Der Verlauf der Krankheit zeichnete ihn schwer. Anfangs konnte er sich noch | |
mit einem Rollator helfen, dann war Benedict auf den Rollstuhl angewiesen, | |
aber mit der Arbeit aufhören, das kam für ihn nicht infrage. Er produzierte | |
Beiträge für das Fernsehmagazin „Kontraste“. Im Frühjahr 2012 | |
verschlechterte sich sein Zustand so stark, dass er künstlich beatmet | |
werden musste, um weiterleben zu können. Mit ihrem eigenen | |
Intensivpflegedienst betreute Dagmar ihren Mann zu Hause. | |
Aber eines der wichtigen Kommunikationsmittel fehlte, er konnte nicht mehr | |
sprechen. Die künstliche Atemluft ging direkt in die Lunge, nicht mehr | |
durch die Stimmbänder. Augen, Gehör, vor allem sein Kopf funktionierten | |
bestens. Besucher empfing er mit einem freundlichen „Hallo, schön, dass du | |
da bist“ mithilfe seines Sprachcomputers, den er über eine Tastatur mit | |
seinen Augen steuerte. | |
Benedict war nicht der Mensch, der aufgibt, sondern einer, der sich | |
einmischt und einbringt. | |
Im April 2015 debattierte der Deutsche Bundestag die Legalisierung der | |
Sterbehilfe. [2][In einem Aufmacher des Tagesspiegels plädierte er vehement | |
dagegen]: „Die Lebendigkeit des Menschen wird nicht prinzipiell durch eine | |
schwerwiegende Krankheit infrage gestellt. Auf Hilfe, aufeinander | |
angewiesen sein, ist keine Schande. Der eine trage des anderen Last“, | |
schrieb der inzwischen gläubige Katholik. | |
Schon bei Besuchen vorher stellten wir eine andere, gemeinsame Vorliebe | |
fest: Beide waren wir Fan von Nina Hoss, Benedict vielleicht auch, weil er | |
ihren Vater, den grünen Bundestagsabgeordneten Willi Hoss, kannte. Wir | |
guckten Filme mit ihr, aber [3][sie spielte ja in Berlin im Theater]. Ob | |
wir dahin gehen könnten, fragte ich Dagmar, ja klar, entgegnete sie. Du | |
besorgst die Tickets für Rollstuhl und Begleitung und ich organisiere den | |
Transport, die Betreuung und die Beatmung. [4][Nina Hoss live, in „Hedda | |
Gabler“ im Deutschen Theater], rührte Benedict zu Tränen. Es war | |
unglaublich, wie ergriffen er war. So leicht konnten wir ihm eine riesige | |
Freude bereiten. | |
Bei diesem Besuch war es nicht geblieben. „Richard III.“ in der Schaubühne, | |
obwohl fast ein Drei-Stunden-Stück, bewältigte Benedict mit Bravour. Um ihm | |
Kontakt zu seinen taz-Mitstreitern zu ermöglichen, trafen wir uns vor der | |
Verleihung des taz-Panterpreises in der Schumannstraße, ein Wiedersehen mit | |
vielen alten tazlern. | |
Seine Krankheit forderte ihren Preis, das Bewegen der Muskeln ließ nach, | |
Benedict konnte die Augen nur noch mühsam öffnen, aber er konnte hören. Und | |
weil ich in den Anfangszeiten der taz öfter mit ihm beim Jazzfest war, | |
wusste ich um sein Interesse am Jazz, ja am Freejazz. Und so pilgerten wir | |
vor gut einem Jahr in den Zig Zag Jazz Club in Friedenau. Selbst die | |
Kameraleute, die uns damals begleiteten, berichteten, so lebendig hätten | |
sie ihn während der Dreharbeiten fürs ZDF nie erlebt. [5][Ihr Bericht über | |
Benedict lief im Sommer in der Reihe „37 Grad“]. | |
„Mein Herz hüpft vor Freude, wenn ich meine Frau kommen höre“, schrieb er | |
damals im Tagesspiegel. Jetzt schlägt sein Herz nicht mehr. Benedict starb | |
am Abend des 16. Dezember in Berlin. Wolfgang (Zaggi) Zügel | |
20 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /40-Jahre-taz-Berlin/!t5726396 | |
[2] https://www.tagesspiegel.de/politik/leben-mit-dem-sterben-mein-herz-huepft-… | |
[3] /Nina-Hoss-erstmals-an-der-Schaubuehne/!5050432 | |
[4] /Nina-Hoss-als-Hedda-Gabler/!5067267 | |
[5] https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad/37-mein-wille-geschehe-100.html | |
## AUTOREN | |
Michael Sontheimer | |
Wolfgang Zügel | |
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