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# taz.de -- Umgang mit Verschwörungsideologie QAnon: Als Psychose betrachten
> Die QAnon-Ideen sind so abwegig, dass man sich eigentlich schämt, sie
> auszusprechen. Und doch ist es lehrreich, sie genauer zu betrachten.
Bild: QAnon gabs schon 2018: Trumpfans mit dem Q
Auf [1][den Demonstrationen von Coronaleugnern] in den letzten Wochen war
immer wieder das Symbol der QAnon-Bewegung zu sehen. Auch in den sozialen
Medien versucht man derzeit, diesen Verschwörungsmythos, der seinen
Ursprung in den USA hat, in die deutschsprachige Debatte einzuschleusen.
Was die Anhänger dieses Kults glauben, [2][ist so idiotisch], dass man sich
eigentlich schämt, es wiederzugeben. Sie beziehen sich auf einen
mysteriösen QAnon, angeblich ein ranghoher Regierungsmitarbeiter, der im
Internet immer wieder unbelegte Anschuldigungen und Prophezeiungen in die
Welt gesetzt hat, die sich mit schöner Regelmäßigkeit als falsch erwiesen.
So existiere angeblich in den USA ein Ring von Kinderschändern, die
Minderjährige foltern und sie Politikern, Schauspielern, Mitgliedern der
„Elite“ als Sexsklaven zuführen. Donald Trump sei von ranghohen Militärs
ins Amt gebracht worden, um dieser „Kabale“ ein Ende zu bereiten. Darum sei
auch der Corona-Lockdown inszeniert worden – um diese Kinder aus
unterirdischen Tunneln im Central Park zu befreien.
Was zunächst ein Internetphänomen war, taucht inzwischen immer öfter auch
im öffentlichen Raum auf. Propagandasender wie Fox oder Russia Today
berichteten über QAnon. Auf Demos gegen Black-Lives-Matter-Kundgebungen
findet sich das Q auf Transparenten und T-Shirts. Mehr als ein Dutzend
republikanische Kandidaten für den US-Kongress haben sich [3][zu dem
Verschwörungsmythos] bekannt. In Deutschland verzapft unter anderem Xavier
Naidoo derartigen Unfug im Netz. Auch der Attentäter von Hanau verbreitete
in seinem Bekennervideo QAnon-Nonsens.
In den USA hat das FBI nach mehreren Anschlägen von Q-Anhängern die
Bewegung als Terrorgefahr eingestuft. Auch der deutsche Verfassungsschutz
wäre gut beraten, sich mit dem Phänomen zu beschäftigen, das hierzulande
weitere Gewalttaten triggern könnte – vielleicht schon am Wochenende, wenn
Teilnehmer der verbotenen Demonstrationen von Coronaleugnern doch nach
Berlin kommen und ihr Mütchen kühlen wollen.
## Öffentlich verbreiteter Bockmist
Aber so abwegig die QAnon-Ideen auch sind, ist es dennoch instruktiv, sich
diese [4][Verschwörungserzählung genauer anzusehen], um zu verstehen, wieso
sie allem gesunden Menschenverstand zum Trotz geglaubt wird. Es geht dabei
nicht darum, „die Menschen zu verstehen“ – wer öffentlich so einen Bockm…
verbreitet, hat das Recht verwirkt, ernst genommen zu werden. Eher muss man
die QAnon-Masche betrachten wie ein Psychoanalytiker eine Psychose, die ja
in verzerrter und vom Unterbewusstsein entstellter Form auch etwas über
wirkliche Probleme des Patienten verrät.
So betrachtet, adressieren Verschwörungstheoretiker oft real existierende
soziale Konflikte, für welche sie freilich vollkommen absurde
Interpretationen und Lösungsvorschläge liefern. Schon der Slogan der
Bewegung „Where We Go One We Go All“, der als Hashtag #WWG1WGA in den
sozialen Medien kursiert – was er genau bedeuten soll, ist so unklar wie
das meiste [5][im Weltbild der Q-Anhänger] –, verweist vielleicht auf ein
Bedürfnis nach gesellschaftlicher Solidarität, die vielen nach vier
Jahrzehnten neoliberaler Verwüstung des amerikanischen Gemeinwesens fehlt.
Ein Bedürfnis, das von Parteien, Gewerkschaften oder Religion nicht mehr
gestillt wird. Man könnte sich zwar auch politisch darüber empören, dass 1
Prozent der Amerikaner 30 Billionen Dollar besitzt, während der
Durchschnittslohn in den USA seit 40 Jahren nicht mehr gestiegen ist. Oder
darüber, dass die drei reichsten US-Bürger zusammen mehr Geld haben als die
ärmsten 160 Million ihrer Landsleute, wobei Afroamerikaner
überdurchschnittlich stark von Armut betroffen sind. Oder darüber, dass
45,7 Millionen Amerikaner keine Krankenversicherung haben.
Doch wem das zu kompliziert ist und wer für seine verständlichen Ängste vor
sozialer Deklassierung ein einfaches Feindbild zum Abreagieren braucht, der
findet es in angeblich gut vernetzten Eliten und „Globalisten“, die
vermeintlich über dem Gesetz stehen und sich ungestraft an Kindern vergehen
können. Leider finden sich immer auch Beispiele, die solche – oft
antisemitisch konnotierten – Ansichten scheinbar unterfüttern.
## US-Justiz funktioniert besser für Reiche
Der Banker Jeffrey Epstein konnte wirklich jahrzehntelang Minderjährige
missbrauchen und war mit Celebritys von den Clintons über Trump bis Prinz
Andrew befreundet. Nach seiner ersten Verurteilung 2006 wurde er von einem
Richter, der später unter Donald Trump Arbeitsminister der USA wurde, vor
einer ernst zu nehmenden Strafe bewahrt und konnte über ein Jahrzehnt
weiter Halbwüchsige missbrauchen.
Donald Trump selbst hat damit geprahlt, dass er auf offener Straße jemanden
erschießen könne, ohne dafür belangt zu werden – was bei einem
Justizsystem, das vor allem für diejenigen funktioniert, die sich teure
Anwälte leisten können, als Zuspitzung realer Ungerechtigkeit verstanden
werden kann. Und was die „Globalisten“ betrifft – der Protest gegen die
neoliberale, profitorientierte Globalisierung, die für weltweite Ausbeutung
und Umweltzerstörung verantwortlich ist, ist seit den 90er Jahren ein
linkes Projekt von Organisationen wie Attac.
Für solchen realpolitischen Widerstand wird man die Schreihälse, die sich
gegenwärtig unter dem Banner von QAnon zusammenraufen, wohl nicht gewinnen
können. Bei dieser Art von Faktenresistenz kann man nur darauf warten, dass
ihr Treiben irgendwann langweilig wird. Aber linke Politik hat hier
durchaus Ansatzpunkte für einen Aktivismus, der diese Probleme einfach mal
angeht – etwa durch höhere Steuern für Reiche, die Abschaffung von
Steuerparadiesen, Stärkung der Gewerkschaften, Krankenversicherung für alle
und ein faires Justizsystem. Dass in den USA und auch in Deutschland
allerhand im Argen liegt, ist nämlich keine Verschwörungstheorie.
28 Aug 2020
## LINKS
[1] /Coronaproteste-in-Berlin/!5705179
[2] /Coronagegner-und-Grundrechte/!5703408
[3] /Trump-und-rechte-QAnon-Bewegung/!5702928
[4] /Game-Entwickler-ueber-Verschwoerungsmythen/!5705998
[5] /Verschwoerungstheorien-und-Corona/!5685699
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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