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# taz.de -- Coronagegner und Grundrechte: Wut und Widerstand
> Da sitzen sie, die Coronagegner, mit kindischen „Ferkel-Merkel“-Postern
> und faseln von Diktatur. Mit Blick auf Belarus macht das wütend.
Bild: Corona my ass: Die „Querdenken 711“-Demo denkt ein Pandemie-Ende ford…
Neulich lernte ich eine Frau kennen, die professionell Menschen bei der
Karriere- und Lebensplanung berät. Als ich ihr sagte, ich sei
Tageszeitungsjournalistin, fragte sie, ob mir das nicht abends noch
nachgehe – all die Krisen, Katastrophen, was man so „die Weltlage“ nennt.
Seit diesem Gespräch denke ich immer wieder darüber nach: Macht das was mit
mir – und wenn ja, was: Libanon, Belarus, der US-Wahlkampf, die
Coronareisewarnungen?
Als ich abends von der Redaktion heimradle und sehe, wie ein Grüppchen vor
dem Kanzleramt routiniert sein „Merkel muss weg“-Transparent entrollt –
„Schönen guten Tag, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur
hundertsoundsovielten Kundgebung unserer Initiative...“ –, da steigt
dasselbe Gefühl in mir hoch wie schon ein paar Tage zuvor, als sich auf der
Wiese gegenüber dem Kanzleramt ein temporäres Camp der Coronaleugnertruppe
Querdenken – „Zentrale Außenstelle Berlin“ – breitgemacht hatte.
Wut. Eine große, persönliche Wut ergriff mich. Da saßen diese Menschen,
viel mehr Männer als Frauen, größtenteils Ü50, und spielten Musik ab, in
der sehr oft das Wort „Freiheit“ vorkam. Dazu kindische
„Ferkel-Merkel“-Poster und Slogans wie „Wer in der Coronakrise schläft,
wird in einer Diktatur aufwachen“.
Was zur Hölle wollen diese Menschen? Welche Grundrechte werden ihnen denn
versagt? Niemand hindert sie ja daran, die Kanzlerin zu verunglimpfen,
direkt in deren Sichtweite, ja, sie werden dabei sogar von Polizeibeamten
geschützt. So wie sich das in einer Demokratie eben gehört. Und niemand
lädt die Protestierenden am helllichten Tag in schwarze Lieferwagen mit
getönten Scheiben und verschleppt sie in irgendwelche Folterknäste, so wie
es Demonstrierenden in Minsk, dieser echten Diktatur in Europa, gerade
geschieht. Alles in Ordnung mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit
hierzulande, will man doch meinen?
Jeder und jede darf hier herumlaufen und irgendwelches Zeug verzapfen:
Davon, dass „die Eliten“ Kinder quälten und nur ein ominöser Q die
Weltwahrheit besitze, wie der QAnon-Sympathisant Attila Hildmann meint.
Oder dass Merkel sich per „Ausnahmezustand“ ewig an der Macht zu halten
versuche, wie die Ex-DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld in ihrem Blog
behauptet – als wäre Merkel [1][Lukaschenko]. Oder Putin, der sich gar
nicht erst damit aufhält, seine Kritiker zu verhaften, sondern sie lieber
gleich vergiften lässt – aber das ist natürlich nicht bewiesen. Sondern
leider nur sehr, sehr wahrscheinlich.
## Laschet ins Rennen zurückgeschubst
Nein, Merkel verhält sich wahrlich nicht wie eine Amtsinhaberin, die sich
am Sessel festkrallt: Sie hat ihrem schwächelnden Nachfolgekandidaten aus
NRW mit ihrem Besuch Aufmerksamkeit verschafft und ihn mit dem Prädikat
„Der kann das“ zurückgeschubst ins Rennen um ihre Nachfolge.
Und sie hat sich mit einer Delegation der [2][Fridays-for-Future-Bewegung]
zum freundlichen Austausch getroffen – weil es ihr jetzt egal sein kann, ob
dem Wirtschaftsflügel ihrer Partei (der gasbetriebene Heizpilze als
Winterlösung für die Gastronomie propagiert) dabei die Messer in den
Taschen aufgehen: In einem Jahr wird Merkel weg sein, darum müssen sich
weder Frau Lengsfeld noch irgendwelche selbsternannten Querdenker Sorgen
machen.
Ach ja: Merkel ist ja nur ein Symbol. Für die ewiggleiche
„Altparteienclique“, die unser Land im Würgegriff hat? Also, ich sehe unser
Land höchstens im Würgegriff eines Virus, der Wirtschaft, Bildung und
Klimaschutz plattmacht und zu dessen Bekämpfung niemandem bisher etwas
Besseres einfällt als: Mund und Nase bedecken, Abstand halten und weiter am
Impfstoff forschen. Ja, das ist großer Mist für alle: Für die Kinder, die
vor lauter Händewaschen schon ganz dünne Haut haben. Für die Eltern, die
Angst vor der nächsten Schulschließung haben. Für Mittelständler,
Kneipenwirte und Konzertveranstalter, die finanziell in die Knie gehen. Und
für die Menschen, die viel Zug fahren müssen.
## Stolzer ziviler Ungehorsam
Auf der Seite von [3][Querdenken] kann man sich übrigens Musterschreiben
herunterladen. Für Strafanzeigen wegen „Nötigung“: Weil das Kind ohne Mas…
nicht in die Kita oder Schule darf. Oder es sich die Temperatur messen
lassen soll. Es gibt auch Vordrucke für Menschen, die sich selbst von der
Maskenpflicht befreien lassen wollen, aus gesundheitlichen oder „sonstigen
Gründen“. Was für Zeugnisse stolzen zivilen Ungehorsams! Denn, wenn so
viele Menschen in dieselbe Richtung marschieren, dann muss es ja falsch
sein, stimmt’s?
Stimmt eben nicht. Dieser „Widerstand“ ist ein Armutszeugnis. Nicht für die
Demokratie. Sondern für die, die sich gern als mündige BürgerInnen sehen –
und doch bloß wohlstandsverwöhnte EgoistInnen sind, denen die eigene
Maskenfreiheit mehr wert ist als die Gesundheit kranker und alter
Mitmenschen.
22 Aug 2020
## LINKS
[1] /Machthaber-Lukaschenko-in-Belarus/!5702899&s=Lukaschenko/
[2] /Greta-Thunberg-bei-der-Kanzlerin/!5702964&s=Thunberg/
[3] /Beamteter-Verschwoerungstheoretiker/!5703047&s=Corona+Demos/
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
Verschwörungsmythen und Corona
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Belarus
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Lesestück Recherche und Reportage
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