# taz.de -- Homophobie in der Gaming-Szene: Eine Lesbe rettet die Welt | |
> Mit der lesbischen Hauptfigur erzürnt das Videospiel „The Last of Us“ | |
> homophobe Gamer. Doch zugleich führt es viele an eine queere Identität | |
> heran. | |
Bild: Erhitzt Gemüter in der Gaming-Szene, weil sie lesbisch ist: Ellie | |
Games können genauso gut fremde Welten kreieren wie Bücher, Filme oder | |
Serien. Dass sie künstlerisch wie kulturell wertvoll sind, ist allerdings | |
weiterhin umstritten. Wohl auch, weil es nur die erfolgreichsten Titel | |
schaffen, außerhalb der Szene wahrgenommen zu werden. | |
Die Mehrheit der [1][zehn meistverkauften Games] für die PlayStation 4 ist | |
nun mal dem Ego-Shooter-Genre zuzuordnen: Egal ob „Call of Duty“ oder | |
„Battlefield“ – es geht immer ums Schießen. Ähnlich monoton sind auch d… | |
Hauptfiguren: Fast alle sind weiß, heterosexuell und männlich. Weibliche | |
Figuren sind höchstens eine nette Zusatzvariante und werden von Gamer*innen | |
meist links liegen gelassen und belächelt. | |
Ja, es gibt durchaus auch Triple-A-Games – diese Kategorie entspricht dem | |
„Blockbuster“ in der Filmwelt –, die ausschließlich Protagonistinnen | |
vorsehen. Lara Croft in der bekannten „Tomb Raider“-Reihe oder Aloy in | |
„Horizon Zero Dawn“ etwa. Selbst im Charakterdesign gibt es Fortschritte: | |
Lara wird auf ihren Abenteuern nicht mehr durch eine überdimensionale | |
Oberweite aufgehalten und darf sich endlich in funktionaler Kleidung durch | |
die Katakomben kämpfen. | |
Doch sind sie weiterhin einem gewissen blumig-ästhetischen Ideal | |
unterworfen. Großer Bizeps oder auffällige Narben im Gesicht sind, anders | |
als bei männlichen Figuren, immer noch tabu. Da sie den gleichen Strapazen | |
ausgesetzt sind, ebenso wenig vor Schießereien und Messerkämpfen | |
zurückschrecken, Berge erklimmen und kräftezehrende Fußmärsche zurücklegen, | |
ein echtes „plot hole“. Dass eine solche Heldin dann auch noch dezidiert | |
nicht-heterosexuell sein könnte, war lange unvorstellbar. | |
## Homophobe Shitstorms | |
Da überrascht es nicht, dass das neue Spiel „The Last of Us: Part II“ für | |
Furore sorgt. Im ersten Teil ließ das Entwicklerstudio „Naughty Dog“ die | |
Gamer*innen noch in die Rolle des väterlichen Fanlieblings „Joel“ | |
schlüpfen, seine süße Ziehtochter Ellie stets an seiner Seite. Gemeinsam | |
streiften sie durch die Reste der Zivilisation. Die Ausbreitung eines | |
mysteriösen Pilzes, der infizierte Menschen in eine Art „Zombie“ | |
verwandelt, hat zuvor zu ihrem Zusammenbruch geführt. | |
In der vor wenigen Wochen veröffentlichten Fortsetzung des Blockbusters | |
übernimmt nun besagte Ellie, mittlerweile 19 Jahre alt, selbst die | |
Hauptrolle – und stellt sich als Lesbe heraus. Mit Rivalin Abby steht ihr | |
gleich noch eine überaus muskulöse Antagonistin gegenüber, die man in etwa | |
über die gleiche Spielzeit hinweg steuert. Letztere kämpft auf ihrer Tour | |
de Force zeitweise an der Seite eines trans* Jungen namens Lev. | |
Das erhitzt die Gemüter vieler, vor allem männlicher Gamer*innen. Auf | |
Reddit, Twitter, Facebook & Co überschlagen sich Hasstiraden: | |
„Unrealistisch“ seien die Charaktere. Ellie hätte keine glaubhafte | |
charakterlichen Entwicklung durchgemacht, sondern sei das Produkt einer | |
„gezielten politischen Agenda“ der Spielemacher*innen, die sich als | |
„Social Justice Warrior“ dem Zeitgeist anbiedern wollten. | |
Abby hingegen sähe aufgrund ihrer muskulösen Statur aus „wie ein Mann“, | |
also unerhört unansehnlich. Einige werfen es dem Spiel vor, dass man für | |
Lev und damit für eine trans*-Figur Sympathien entwickle. | |
Auf „Metacritic“, der wohl wichtigsten Website für Videospielkritiken, | |
versammelten sich die vermeintlich enttäuschten Fans zu einem sogenannten | |
„Review Bombing“, also einer gezielten Negativbewertung des Titels. Schon | |
wenige Stunden nach Veröffentlichung sank das Rating in den Keller, noch | |
bevor die Bewertenden das Spiel durchgespielt haben konnten. | |
## Warum der Hass? | |
Anfang Juli 2020 landet es dort mit knapp 109.000 Bewertungen bei nur fünf | |
von zehn möglichen Sternen. Bei Medienvertreter*innen erreicht das | |
Game hingegen stolze 94 von 100 möglichen Punkten. Es ist klar, dass es | |
sich weniger um berechtigte Kritik als [2][vor allem um Misogynie, | |
Alltagshomo- und Transphobie] handelt. | |
Doch warum zieht dieses Spiel dermaßen viel Hass auf sich? LGBTQ-Charaktere | |
gibt es schließlich, seit es Videospiele gibt. Wie die Ausstellung „Rainbow | |
Arcade“ des [3][Schwulen Museums in Berlin] 2019 zeigte, kamen sie jedoch | |
bis vor Kurzem nur am Rande vor und wurden mit klischeehaften Darstellungen | |
lächerlich gemacht. Mehr Vielfalt findet sich erst seit wenigen Jahren, | |
abseits der großen Blockbuster, unter den Indie-Games, die keinen | |
millionenschwere Vermarktung im Rücken haben und an ein kleineres Publikum | |
gerichtet sind. | |
Zuletzt erfreute queere Gamer*innen der letzte Teil der „Walking | |
Dead“-Reihe. Zwischen 2012 und 2019 wurden insgesamt vier Spiele zum | |
bekannten Zombie-Comic und Serien-Hit veröffentlicht. Dort steht mit der | |
anfangs 8-, am Ende 17-jährigen Clementine ebenfalls eine toughe weibliche | |
Hauptfigur im Zentrum. | |
Wie üblich bei Indie-Games, treten Kampfsequenzen gegenüber Dialogen mit | |
verschiedenen Auswahlmöglichkeiten in den Hintergrund, sodass getroffene | |
Entscheidungen und zwischenmenschliche Beziehung teilweise Auswirkungen auf | |
den Spielverlauf nehmen. In der finalen Ausgabe steht es der*dem Spielenden | |
frei, eine Beziehung zu einem Jungen, einem Mädchen oder gar niemandem | |
einzugehen. | |
Auch die „Life is Strange“-Reihe hatte ein sehr positives Echo [4][in der | |
LGBTQ-Community]. Während im Hauptspiel die junge Max mit ihren | |
Superkräften im Zentrum steht, geht es in der Vorgeschichte „Before the | |
Storm“ vor allem um ihre beste Freundin Chloe, eine punkige Skater-Lesbe. | |
Die Story ist zwar ebenfalls interaktiv, die Sexualität kann allerdings | |
nicht verändert werden. Sie ist sogar wesentlicher Bestandteil besagter | |
Vorgeschichte, da es hauptsächlich darum geht, ihrer Partnerin Rachel bei | |
der Suche nach ihrer leiblichen Mutter zu helfen. | |
Dennoch ist „The Last of Us: Part II“ ein absolutes Novum. Anders als bei | |
Clementine, ist Ellies Homosexualität von Beginn des Spiels an ein | |
wesentlicher Teil der Handlung, nicht nur leicht auszublendende Option. Die | |
Gamer*innen müssen mit Ellie über mehr 20 Stunden in ihre Haut schlüpfen, | |
sich mit ihr fürchten, kämpfen, immer wieder sterben und es gleich noch mal | |
versuchen, bis die Gegner*in endlich besiegt und die Herausforderung | |
gemeistert ist. | |
## Großes Aufklärungs-Potenzial | |
Ähnlich wie zwischen Leser*innen und einer liebgewonnenen Romanfigur | |
entwickelt sich eine Beziehung, die im Game womöglich noch intensiver | |
durchlebt werden kann. Das nervenaufreibende Setting schweißt nicht nur | |
zusammen. Es führt sogar dazu, sich mit der lesbischen Ellie zu | |
identifizieren. | |
Das Publikum, das in Ellies Haut schlüpft, ist ein ganz anderes und | |
breiteres als das von Indie-Spielen. Bereits der erste Teil wurde über drei | |
Millionen Mal verkauft – an Spielende, die damals nicht damit rechnen | |
konnten, in der Fortsetzung mit LGBTQ-Themen in Kontakt zu kommen. Nie | |
zuvor mussten sich Shooter-Fans über einen so langen Zeitraum in einen | |
nicht-heterosexuellen Charakter hineinversetzen. | |
All das macht „The Last of Us: Part II“ zu einem queeren Meilenstein in der | |
Gamingwelt. Während in kleineren Games Vielfalt immer mehr zelebriert wird, | |
ist „The Last of Us: Part II“ ein Prestigetitel, der mit Sony als Publisher | |
ins Herz der Gaming-Szene trifft. | |
Im Mainstream, wo Homosexualität und ein nicht-stereotypes Frauenbild immer | |
noch anstößig sind, hat das eine hohe gesellschaftliche Relevanz – und ein | |
großes Potenzial, eine breite Masse an queere Identitäten zu gewöhnen. | |
Trotz der Welle an Hasskommentaren wurde „The Last of Us: Part II“ binnen | |
der ersten 48 Stunden übrigens mehr als vier Millionen Mal verkauft. Nie | |
hat sich ein PlayStation-4-Exklusivtitel derart schnell so gut verkauft. | |
Ellie mag die Erste sein, die Letzte ist sie vermutlich nicht. | |
14 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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